Eurovision Song Contest 2013:Dankbar für Almosenpünktchen

Im Jahr eins nach dem Rückzug von Stefan Raab aus dem ESC-Vorentscheid ist Deutschland wieder ungefähr dort, wo es 2009 aufgehört hat: auf Rang 21. Ab und an ein Almosenpünktchen für die magere Performance von Cascada, das war's. Welten lagen zwischen dem deutschen Beitrag und dem dänischen Siegersong. Der Auftritt von Deutschlands einstigem ESC-Sternchen Lena brachte auch keine Linderung.

Eine TV-Kritik von Hans Hoff

"Was ist denn da los?" Kommentator Peter Urban war für einen Moment ratlos, als irgendeiner der zugeschalteten Punkteverkünder sich eigenartig verhielt. Dabei ist eigenartiges Verhalten für einen Punkteverkünder beim Eurovision Song Contest (ESC) beileibe nichts besonderes. Es sind halt diese ganz wenigen Sekunden, die für die kurz im Bild Erscheinenden die einzigartige Chance bieten, sich einem Publikum von über 100 Millionen Fernsehzuschauern zu präsentieren, für einen Moment etwas Verrücktes zu tun, etwas, das neben dem überschwänglichen Dank für eine selbstredend ganz wunderbare Show vielleicht dem einen oder anderen im Gedächtnis bleibt.

So wie es die inzwischen im Hauptberuf zur Kieks-Sirene mutierte Lena am späten Samstagabend geschafft hat, als sie in ihrer Funktion als deutsche Jury-Chefin kurzerhand Länder verwechselte und falsche Punkte vergab. "Es war ein Komplettausfall. Es ist mir so unangenehm. Ich schäme mich", sagte die Überforderte nachher im Ersten. Aber das verhallte fast schon, denn das Versagen bei der Punktevergabe wird sich an ihr festsaugen und es unter Garantie in jeden zweiten Jahresrückblick schaffen, Abteilung Pleiten, Pech und Pannen.

Bei Lena bedanken darf sich Natalie Horler, denn durch den Ansage-Fauxpas der ESC-Gewinnerin von 2010 geriet der Misserfolg der als Cascada angetretenen Bonnerin glatt für ein paar Momente in Vergessenheit. Immerhin: Cascada ist nicht, wie von manchen befürchtet, Letzte geworden, aber für mehr als einen 21. Platz in einem Feld von 26 Finalteilnehmern reichte es dann auch nicht.

Im Jahre eins nach dem kompletten Rückzug von Stefan Raab aus dem ESC-Vorausscheidungsgeschäft ist Deutschland ungefähr wieder dort angekommen, wo es 2009 war, als "Alex Swings Oscar Sings" in Moskau es immerhin auf Rang 20 schafften. Es bewahrheitete sich gegen Mitternacht die Vermutung, dass der Cascada-Titel nicht nur den Deutschen furchtbar egal ist sondern ganz Europa komplett wurscht.

Kein Plagiat, aber eine dreist nachempfundene Kopie eben doch

Es hatte sich in der Abstimmung schon früh angedeutet, dass es nicht richtig gut für Deutschland laufen würde. Ab und an kam mal eine magere Wertung herein, und man war schon dankbar, als wenigstens die Schweiz ein winziges Almosenpünktchen übrig hatte. Aber zu mehr als 18 jämmerlichen Punkten reichte es am Ende nicht. Der Traum von einem gloriosen Triumph ist ausgeträumt.

Das mag auch an der eher mageren Performance liegen, mit der Cascada sich in Malmö präsentierte und streckenweise an den desaströsen Auftritt der No Angels 2008 in Belgrad erinnerte. War sie bei den Proben in Malmö am vergangenen Wochenende noch in bestechender Form gewesen, kam ihre Stimme nun wackelig und unsicher über den Sender. Sie wirkte, als fühle sie sich nicht wohl in ihrem viel zu engen Goldfummel, als bedrücke sie die Einsicht, dass sie sich mit dem arg kalkulierten Titel "Glorious" möglicherweise doch keinen so großen Gefallen getan hat wie das die ARD-Delegation im Vorfeld gerne glauben machen wollte.

Besonders peinlich wurde es, als in der Pause die Vorjahressiegerin Loreen ihren Siegertitel aus Baku noch einmal sang und kurz nach deren "Euphoria" im Schnelldurchlauf noch einmal "Glorious" zu hören war. Da zeigte sich unangenehm deutlich: Natürlich ist der deutsche Titel kein Plagiat, aber eine dreist nachempfundene Kopie eben doch.

Ein einfaches Liedchen, ein klassischer Popsong mit einprägsamer Hookline

Da offenbarte sich rasch, dass Welten zwischen dem deutschen Beitrag und dem letztlich siegreichen dänischen Titel liegen. Schon vorab war Emmelie de Forest mit ihrem Titel "Only Teardrops" als klare Favoritin gehandelt worden und setzte sich bei der Punktevergabe schon früh an die Spitze des Feldes. Bedrängt wurde sie dort eine Weile von den Mitbewerbern aus Aserbaidschan und der Ukraine, stand aber schon als Siegerin fest, als vier der 39 stimmberechtigten Länder ihre Entscheidungen noch gar nicht bekanntgegeben hatten.

"Only Teardrops" ist ein einfaches Liedchen, ein klassischer Popsong mit einprägsamer Hookline, und dass die Interpretin sich mit ihrem Äußeren nicht gerade verstecken muss, dürfte auch einen gehörigen Teil zum Erfolg beigetragen haben. So sehen verdiente Siegerinnen aus.

Nicht ganz so überzeugend präsentierten sich in diesem Jahr die Organisatoren. Zwar führte die schwedische Komödiantin Petra Mede souverän durch die Dreieinhalbstundenshow, allerdings konnte sie kaum darüber hinwegtäuschen, dass den Schweden das rechte Maß für eine große Show abhanden gekommen war.

Es sollte viel Selbstironie geboten werden, aber Ironie lebt nunmal davon, dass sie in behutsamer Dosis verabreicht werden muss, um tief zu wirken. Behutsamkeit ließen die Macher in Malmö indes vermissen. Sie strichen die Spaßbutter ganz dick aufs Showbrot und ließen es eine Spur zu sehr krachen.

ESC-Pflicht: Beschäftigung von Ausdruckstänzern

Nicht nur die komisch gemeinten Einspieler einer vermeintlichen EBU-Korrespondentin gerieten rasch aus der lustigen Bahn, auch die Show insgesamt litt über weite Strecken unter zu großer Gleichförmigkeit. Immer wieder dieselben Kamerakranfahrten, immer wieder dieselben Künstlerumkreisungen der Handkamera, immer wieder die Standardeinstellungen aus luftiger Hallenhöhe. Dazu die beinahe schon branchenübliche Lichtorgie, die auf alles, was ein bisschen Fläche bietet, Bilder projiziert, die hier Wind wehen, dort Rauch aufsteigen und von oben Gold regnen lässt.

Eine Weile schien es zudem, als sei irgendwo im ESC-Pflichtenkatalog ein Paragraph zu finden, der die Beschäftigung von Ausdruckstänzern fordert. Im Ergebnis stand dann oft vorne ein Sänger oder eine Sängerin, und daneben verrenkten sich gelenkige Artisten und lenkten ab vom akustisch Gebotenen. Das war bei vielen Titeln höchst angenehm, weil sie musikalisch nicht einmal genug Substanz haben, um mehr als ein paar Takte davon zehren zu können. Wenn es sich aber mehrfach wiederholt, dann ist das schnell als Masche erkannt.

Wie angenehm wirkte es da, als sich etwa der italienische Kandidat einfach alleine ans Mikrofon stellte und sein Lied sang. Keine Tänzer, keine Trommler, keine Backgroundsänger. Obwohl doch jedes Land das Recht hat, die Bühne mit bis zu sechs Akteuren zu bevölkern. Am Ende wurde Italien für den bewusst inszenierten Mangel an Brimborium mit einem respektablen siebten Platz belohnt.

Dass Deutschland 14 Plätze weiter hinten landete, schien schließlich sogar den routinierten ESC-Veteranen Peter Urban ein wenig aus der Bahn zu werfen. Das habe Cascada nicht verdient, stammelte er fast. Man muss ihm diesen Irrtum nachsehen. Er wird halt vom für den ESC zuständigen NDR bezahlt.

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