Europäischer Gemeinschaftssender:Blattgrüne Welt

Der Sender Euronews aus Lyon ist ein blasses Neutrum geblieben. Viel bunter: der neue Mehrheitseigner Naguib Sawiris aus Kairo. Er verlangt mehr Vitalität und Profit.

Von Christian Wernicke

Anfang September ging sein Name um die Welt. Naguib Sawiris hatte das schreckliche Foto von Aylan gesehen, dem toten Flüchtlingskind am Strand. Der ägyptische Milliardär war schockiert, er wollte etwas tun. "Die Leute glauben immer, reiche Menschen hätten kein Herz und kein Gewissen", empörte sich der 61-jährige Tatmensch aus Kairo, "aber ich habe beides."

Also verfiel Sawiris auf die Idee, sich im Mittelmeer eine Insel zu kaufen - als Heimstatt für mindestens 30 000 Flüchtlinge. "Aylan-Island" sollte das Refugium heißen, egal, ob es letztlich in griechischen oder italienischen Gewässern liegen würde. Tatsächlich fand er verkaufsbereite Insel-Eigentümer. Aber der koptische Christ braucht die Genehmigung einer Regierung, entweder aus Athen oder Rom. "Ich habe beide Premierminister angeschrieben", sagt er, "aber keiner antwortet." Dass er sein Geld nicht loswird, so räumt Sawiris ein, "das frustriert mich".

Das ist Naguib Sawiris, der Gutmensch. Nur, den gibt er selten. Ende voriger Woche in Lyon, bei seinem Auftritt als neuer Mehrheitsaktionär des Fernsehsenders Euronews, hat er das klargestellt. "Ich bin vor allem Geschäftsmann", sprach der Investor aus Kairo, der seit Februar mit 53 Prozent beteiligt ist, als er das neue "Welt-Hauptquartier" von Euronews am Ufer der Saône einweihte: ein futuristisches Rechteck, verkleidet mit blattgrünem Metall. Die Atmosphäre im Neubau ist kühl, passend zu Sawiris nüchternem Kalkül: "Dies ist keine Wohltätigkeit."

Pressekonferenz in der Kantine von Euronews, Sawiris lehnt lässig an seinem Sitzhocker. Er muss grinsen, weil er - wieder einmal - die Frage vernimmt, welches Motiv ihn dazu treibe, 35 Millionen Euro in einen Nachrichten-Kanal zu investieren, der bisher nur für sein überaus biederes News-Programm, nicht aber für aufregende Gewinnprognosen bekannt ist. Der Ägypter kennt das: Der Verdacht, da wolle ein Großunternehmer aus Nahost sich ein Spielzeug kaufen, um weltweit die Massen zu manipulieren, amüsiert ihn: "Nein, ich will nicht in die Redaktion eingreifen." Er zitiert journalistische Tugenden ("Ehrlichkeit, Neutralität, Genauigkeit") - um dann sein wahres Problem mit Euronews zu beziffern: "Zehn Millionen Euro Verlust - im Jahr!" Das müsse sich ändern: "Ich bin kein Mann, der gern Geld verliert."

Sawiris will raus aus den roten Zahlen, in drei Jahren. Ehe seine 35 Millionen Euro verbrannt sind. Der neue Herr des neuen Hauses versichert zwar, Euronews werde niemals einer Weltanschauung dienen ("Wer glaubt, er sei schlauer als seine Zuschauer, ist dumm."). Aber Sawiris teilt die Kritik, dass Euronews bisher zu viel Langeweile verbreitet: "Wir dürfen nicht nur eine Informationsmaschine sein", sagt er im Gespräch, "was fehlt, ist die Vitalität." Sein Verlangen: "Mehr Meinung!"

Europäischer Gemeinschaftssender: 25 Millionen Euro pro Jahr kommen bei Euronews von der EU-Kommission. Ende voriger Woche wurde das futuristische Hauptquartier in Lyon eingeweiht.

25 Millionen Euro pro Jahr kommen bei Euronews von der EU-Kommission. Ende voriger Woche wurde das futuristische Hauptquartier in Lyon eingeweiht.

(Foto: Philippe Desmazes/AFP)

Das klingt nach Traditionsbruch. Fast 23 Jahre ist es her, dass Euronews als Gemeinschaftsprojekt europäischer Rundfunkanstalten auf Sendung ging. Heute sind 21 nationale Sender beteiligt, neben Sawiris' Media Globe Networks halten France Télévisions, die italienische RAI und das russische Staatsfernsehen RTR die meisten Anteile (ARD, ZDF oder BBC mochten nie mitmachen). Allein, dem Anspruch seiner Gründer, die "europäische Antwort auf CNN" zu sein, wurde der europhile Nachrichtensender nie gerecht. Der multilinguale Kanal - anfangs in fünf, heute in 13 Sprachen ausgestrahlt - ist ein blasses Neutrum. Seine braven News und Kurzreportagen haben zwar eine weltweite Reichweite von 419 Millionen Haushalten in 158 Ländern. Das Unternehmen reklamiert, "Europas führender Nachrichtensender" zu sein: Mit 4,4 Millionen Zuschauer auf dem Kontinent spreche man mehr Zuschauer an als CNN International und BBC World zusammen. Nur, der Sender blieb ohne Profil - und klamm: Vor einem Jahr waberten Gerüchte einer drohenden Pleite durch die Redaktion.

Nun ist neues Geld da, und Vorstandschef Michael Peters, der starke Mann im Sender, will Sawiris Millionen für einen Relaunch nutzen. Euronews will die eigene Website aufrüsten, über Youtube oder Facebook aggressiver nach Zuschauern fischen. Und auch programmatisch glaubt der 44-jährige Peters, er habe bereits die Zauberformel für eine strahlende Zukunft von Euronews gefunden. Nur spricht Peters, als Manager eines Senders von Welt, lieber von "unserem neuen Unique selling point, unserem UPS": Ab sofort sei "Diversity" das Markenzeichen, "Vielfalt" also. Und aus Euronews wird "Euronews plus".

Das Plus verheißt, wie von Sawiris verlangt, mehr Meinung. In Maßen: Peters will die 400 festangestellten Leute seiner multikulturellen Redaktion in Lyon nutzen, um regelmäßig Kontroversen zu inszenieren. Mitarbeiter aus verschiedener Herren Länder sollen zu Ereignissen öfter ihre jeweilige Sicht versenden. Miteinander, gegeneinander, ohne ideologische Linie. Also mehr Pro und Contra, mehr "sowohl als auch". Ob das neue Spannung oder nur alte Langeweile produziert, muss sich erst zeigen.

Brüssel zahlt - aber mische sich nicht ein. Darauf schwören die Redakteure Stein und Bein

Das Geschäftsmodell von Euronews jedenfalls bleibt so unerschüttert. "Strikte Neutralität, das ist unsere DNS", betont Peters. Hinzu kommt die proeuropäische Gesinnung. Das Verlangen, eine "europäische Öffentlichkeit" zu kreieren, ist hehre Mission. Und außerdem auch schnöde Geschäftsgrundlage: Jährlich fließen 25 Millionen Euro aus den Kassen der Europäischen Kommission nach Lyon, ein Drittel des Jahresbudgets von 75 Millionen Euro.

Euronews, inauguration du siege de Lyon Confluence.

Sein Einstieg ins Fernsehen "ist keine Wohltätigkeit". Neulich wollte der ägyptische Milliardär Sawiris aber eine Insel für Flüchtlinge kaufen.

(Foto: Stephane Audras)

Europas Steuerzahler finanzieren sogar das Euronews-Büro in der EU-Hauptstadt. Denn die Studiomiete, die Gehälter der mehr als ein Dutzend Mitarbeiter sponsert EU-Kommissar Günther Oettinger aus seinem Budget. Investor Sawiris, der Deutsch, Englisch und Französisch parliert und sich selbst als geistigen Wahleuropäer beschreibt, hat Oettinger neulich versichert, Euronews werde "ein Sender mit europäischem Mindset bleiben". Die Redakteure in Lyon schwören Stein und Bein, dass Brüssel sich nie einmische. "Die EU-Kommission will keinen Propaganda-Sender", sagt Kirsten Ripper, die im Newsroom als Chefin vom Dienst arbeitet. Dennoch, Euronews beißt nicht die Hand, die den Sender nährt. Brüsseler Skandale werden vermeldet - aber nicht enthüllt. "Euronews ist kein Kanal der Investigation", sagt CEO Peters.

In seinem Unterhaltungsprogramm duldet Peters sogar Journalismus auf Bestellung. Aserbaidschan zahlte bares Geld für Euronews-Beiträge von den Europaspielen im Juni (auch wenn Baku sich beschwerte, dass Präsident Ilham Alijev zu selten im Bilde war). Das Fürstentum Monaco ordert regelmäßig sonnige Beiträge, anschließend erstatten die Grimaldis die Produktionskosten. Das sei, so Peters, nun mal "die Wirklichkeit des Marktes". Auch Sawiris findet nichts dabei, es gehe ja nicht um Politik. "Da kommt ein Land und sagt, sie wollen einen Bericht über Tourismus machen - was haben wir da zu verlieren?", sagt er, "dann zeigen wir alles, was schön ist, und die bezahlen dafür. Das ist ein eigenes Geschäft."

Nein, so beteuern Sawiris und Peters im Gleichklang, für politische Gefälligkeiten sei Euronews nicht zu kaufen. Zum Beweis der Unbestechlichkeit reicht Peters eine Anekdote nach: Im September habe alle Welt über Sawiris Idee einer Flüchtlingsinsel berichtet: "Nur ein Sender schwieg - wir!"

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: