Ethik:Darf man die Super-Bowl-Spots gut finden?

Ethik: Mr. Clean, in Deutschland bekannt als Meister Proper, legt sich vor der Dame des Hauses im Super-Bowl-Spot mächtig ins Zeug.

Mr. Clean, in Deutschland bekannt als Meister Proper, legt sich vor der Dame des Hauses im Super-Bowl-Spot mächtig ins Zeug.

(Foto: AP)

US-Unternehmen werben in der Pause des Super Bowl für Gleichberechtigung und eine offene Gesellschaft - und wollen damit vor allem Geld verdienen. Zuschauer stellt das vor ein Dilemma.

Von Julian Dörr

Ein Boot legt an, ein Mann geht von Bord. Mit ihm der Traum von einem neuen Leben in einer neuen Welt. Dann wird er angerempelt, angepöbelt und beschimpft: "Wir wollen dich hier nicht! Geh nach Hause!" Aber dieser deutsche Auswanderer hat ein Ziel: Er möchte Bier brauen in den Vereinigten Staaten. Und er wird Bier brauen. Es ist die klassische amerikanische Geschichte. Da setzt sich einer durch, against all odds, gegen Fremdenhass, gegen Wind, Wetter und Feuer. Der amerikanische Traum, erzählt in knapp einer Minute während der Halbzeitpause des größten Sportspektakels der USA, des Super Bowl.

Und doch sorgt dieser Werbespot der Brauerei Anheuser-Busch gerade für Diskussionen. Trump-Anhänger sehen in ihm einen Angriff auf die Politik des US-Präsidenten. Unter dem Hashtag #BoycottBudweiser rufen sie deshalb zum Bier-Boykott auf. Und die Brauerei ist nicht das einzige Unternehmen, das die Super-Bowl-Zuschauer mit gesellschaftspolitischen Untertönen konfrontiert. Die Baumarktkette 84 Lumber zeigt die Reise einer Mutter und ihrer kleinen Tochter durch das mexikanische Ödland bis an die Grenze der USA und löst mit einem für die TV-Austrahlung zensierten Spot eine eigene Kontroverse aus. Coca-Cola lässt die inoffizielle Nationalhymne "America the Beautiful" von Stimmen und Sprachen aus aller Welt singen, Procter & Gamble reaktiviert den alten Meister Proper als Kämpfer für die Gleichstellung im Haushalt und AirBnB ruft ganz allgemein und geradeaus zu mehr Akzeptanz auf.

All die an sich positiven und inklusiven Botschaften führen den Zuschauer jedoch in ein Dilemma. Darf man diese Werbespots und ihre Geschichten von einem offenen und toleranten Amerika gut finden und auf seiner Facebook-Timeline liken und teilen? Auch wenn man weiß, dass die Unternehmen hinter diesen irrsinnig teuren Werbespots ein in erster Linie profitorientiertes Kalkül verfolgen? Kann man den Audi-Spot, der mit rührigen Bildern für Gleichberechtigung wirbt, beklatschen, auch wenn man weiß, dass im Vorstand des Autoherstellers keine einzige Frau sitzt?

Wo Kapitalismus drauf steht, kann kein Altruismus drin stecken

Im Kern geht es dabei um ein Grundproblem der Ethik: Wie ist eine Handlung - in diesem Fall eben ein Werbespot - moralisch zu bewerten? Anhand ihrer Motive? Oder anhand ihrer Folgen?

Konzentriert man sich allein auf die Beweggründe hinter einer Handlung, landet man in der deontologischen Ethik. Unabhängig von den Konsequenzen zählt hier alleine die Pflicht, das "Sollen". Richtet sich eine Handlung nach einer Norm der Pflichtethik, wie zum Beispiel dem Kategorischen Imperativ von Immanuel Kant, so ist sie gut. Eine Lüge ist hier nicht zu rechtfertigen, selbst wenn sie positive Folgen hätte. Ein Werbespot zur Gewinnmaximierung bleibt ein Werbespot zur Gewinnmaximierung. Wo Kapitalismus drauf steht, kann kein Altruismus drin stecken.

Anders sieht es die teleologische Ethik. Hier wird eine Handlung nach ihren Konsequenzen bewertet. In der Betrachtung des bestmöglichen Nutzens tritt die Intention zurück. Und diese Sichtweise löst auch das Super-Bowl-Dilemma. Natürlich darf man die Spots als Mensch, der sich für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung ausspricht, gut finden. Denn ihre Wirkung überschattet alle fragwürdigen Motive. Klar, Audi, Coca-Cola und Anheuser-Busch produzieren diese Werbefilme, um Geld mit ihnen zu verdienen. Sie senden aber zudem eine positive und tugendhafte Botschaft. Und das ist ein Wert an sich.

Eine Win-Win-Situation, die gleich noch ein prägendes Problem unserer Zeit angeht: das Dilemma der Filterblase. Es geht hier immerhin um die Super-Bowl-Werbepause. Das ist keine linksliberale Nische, das ist der wichtigste Werbeblock der Welt. In Zeiten von Individualisierung und gesellschaftlicher Zersplitterung ist das eine der wenigen Chancen, wirklich ein ganzes Land zu erreichen. Und wo könnte man besser zur Einheit in diesen gespaltenen Tagen aufrufen? Wo besser an gemeinsame Werte der Vergangenheit und der Zukunft appellieren? Auch wenn man aus Versehen die Welt verbessert, macht man die Welt besser.

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