Estland: Sorge um Informantenschutz:Weiße Blätter

Protest mit leeren Titelseiten: Estnische Medien fürchten um den Informantenschutz. Ein neues Gesetz soll Journalisten zwingen, ihre Quellen zu offenbaren - oder sie müssen ins Gefängnis.

Matthias Kolb

Es war eine eigenwillige Art, sich an unliebsamen internationalen Gästen zu rächen: Manchmal spucke er Ausländern aufs Schnitzel, bevor er es serviere, erzählte ein Juri der Zeitung Eesti Päevaleht. Das Interview mit Juri, dem Kellner sorgte im Januar 2004 für Aufregung. Im Sommer bringen Kreuzfahrtschiffe täglich Tausende Touristen in die Altstadt Tallinns. Also versuchte die Polizei, die Identität von Juri herauszufinden und ging nicht zimperlich vor: Sergo Selder, der Reporter, der mit Juri sprach, wurde wie ein Verbrecher vor einer Wand fotografiert. Die Beamten drohten, seine Karriere zu zerstören. Selder schwieg, erst als der Staatsanwalt einschritt, ließ man ihn in Ruhe.

Nun wird in Estland wieder über Informantenschutz diskutiert. Justizminister Rein Lang von der liberalen Reformpartei plant ein so genanntes Pressequellenschutzgesetz, um in 50 Ausnahmefällen vor Gericht die Identität der Quellen offen legen zu können. Wer sich weigert, muss mit bis zu einem Jahr Gefängnis rechnen oder mit 500 Tagessätzen. Besonders brisant: Das Gesetz sieht vor, dass mit einer einstweiligen Verfügung Artikel verhindert werden können. An diesem Mittwoch muss das Parlament über den Gesetzentwurf abstimmen.

Leere Titelseiten

Aus Protest erschienen im März die drei größten Tageszeitungen Postimees, Äripäev und Öhtuleht mit leeren Titelseiten. Postimees-Chefredakteurin Merit Kopli erkennt in dem Vorhaben eine klare Einschränkung der Pressefreiheit.

In der Rangliste von Reporter ohne Grenzen (ROG) lag die Baltenrepublik 2009 zwar auf Platz 6 - zwölf Positionen vor Deutschland. Doch "wenn das Gesetz in Kraft tritt, wäre investigativer Journalismus in Estland zwar nicht unmöglich, aber in mehreren Fällen schwieriger", sagt auch Tarmo Vahter.

Eine Lücke schließen

Der 39-Jährige ist Vizechef des Wochenmagazins Eesti Ekspress, das immer wieder mal Korruptionsfälle aufdeckt. Vor zwei Jahren wurden Vahter Protokolle von mitgeschnittenen Telefonaten zugespielt, die belegten, dass der damalige Umweltminister in eine Schmiergeldaffäre verstrickt war. Nachdem Veröffentlichung der Geschichte wurden Vahter und ein Kollege von der Staatsanwaltschaft befragt. Beide schwiegen und beriefen sich auf den Verhaltenskodex des Journalistenverbandes und die Europäische Menschenrechtskonvention.

Die sichert Journalisten das Recht zu, ihre Quellen zu schützen. Justizminister Lang, 52, argumentiert jetzt, das Gesetz würde eine Lücke schließen und für Rechtssicherheit bei den Journalisten sorgen. Die leeren Titelblätter nannte er "übertrieben" und spottete: "Sollen sie ihre Seiten doch lieber mit Informationen füllen." Lang war in den neunziger Jahren ein bekannter Radiojournalist und moderierte noch 2003/3004 die Sendung "Zur Lage des Journalismus".

Doch seit er in die Politik einstieg, wachsen die Spannungen. Spätestens seit Juli 2007 gilt sein Verhältnis zu den einstigen Kollegen als vergiftet: Internationale Medien berichteten, dass bei der Feier zu Langs 50. Geburtstag das Theaterstück "Adolf" aufgeführt wurde - darin geht es um die letzte Rede des Diktators. Drei Monate zuvor war der Streit um ein Sowjetdenkmal in Tallinn eskaliert und hatte das Verhältnis zwischen Estland und dem Nachbarn Russland schwer belastet - Moskauer Medien bezeichneten die Esten stets Faschisten. Dass Kommentatoren seine Stück-Auswahl als unsensibel empfanden, kann Lang nicht verstehen - er sieht sich als Opfer einer Verschwörung zwischen russischen und estnischen Journalisten.

Ob sich im Riigikogu, dem Parlament, tatsächlich eine Mehrheit für das umstrittene Gesetz "656 E" findet? Zuletzt sagte Mart Laar, Fraktionschef der konservativen Regierungspartei Isamaa/Res Publica, es sei problematisch, wenn jene Gruppe, die durch ein Gesetz geschützt werde soll, die neuen Regeln ablehnt. Nach ihrer Protestaktion haben Medienvertreter wiederholt mit Politikern diskutiert. Tarmo Vahter hat deshalb Hoffnung. Er sagt:"Wir brauchen ein Gesetz, das die journalistische Qualität wirklich schützt."

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