Boulevardzeitung BIZ:Schon damals verkauften sich am ehesten People

Arbeiter beim Bau des Woolworth-Gebäudes in New York

Arbeiter montieren das Stahlskelett des Woolworth-Gebäudes in New York, 1912.

(Foto: ullstein bild)

Die "BIZ" begleitete einen Abgeordneten nach Ostafrika oder zeigte Soldaten beim Aufstehen und Rasieren. Eine Ausstellung widmet sich der ersten deutschen Boulevardzeitung.

Von Willi Winkler

Zehn Pfennig kostete das Blatt, als es 1892 zum ersten Mal auf den Berliner Straßen auftauchte, es war laut, noch nicht bunt zwar, aber voller Bilder. Die Berliner Illustrirte Zeitung (das "ie" der Illustrierten wäre erst mit der Rechtschreibreform von 1901 fällig geworden) warb nicht um Abonnenten und einen Leserkreis daheim, sondern um den sensationshungrigen Mann auf der Straße, der auch eine Frau sein durfte.

Der Titel, auf dem ein Foto im Offset-Druck lockte, musste das entscheidende Verkaufsargument sein, Verkehrskatastrophen und der wilhelminische Militärkult lieferten verlässlich Bilder in der rechten Mischung aus Angstlust, Patriotismus und einer Prise Exotismus.

Der Verleger Leopold Ullstein trieb das Blatt am Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bis zu einer wöchentlichen Auflage von fast zwei Millionen. Eigene Flugzeuge lieferten die BIZ von Berlin aus ins übrige deutsche Reich, während die Telegrafie die Übermittlung von Bildern aus der ganzen Welt ermöglichte.

Die BIZ war für ihre Käufer dabei, wenn der deutsche Abgeordnete Hermann Dietrich in Ostafrika neben einem selbstgeschossenen Krokodil posierte, wenn der Hagenbeck'sche Elefant Reklame durch Berlin lief oder eine Frauenrechtlerin eine Männerversammlung aufpeitschte.

So konzentriert wie in der Bild-Geschichte der BIZ lässt sich Glück, Glanz und Ruhm des Boulevard-Journalismus selten darstellen. Dass es sich dabei aber gleich um "Die Erfindung der Pressefotografie" handeln sollte, wie es der Titel der Ausstellung im Berliner Zeughaus behauptet, ist nur deshalb keine fette Zeitungsente, weil es quasi regierungsamtlich daher kommt.

Pressefotografie gab es bereits ein halbes Jahrhundert früher

Es ist das Deutsche Historische Museum, das die Bilder aus der Berliner Sammlung Ullstein präsentiert. Natürlich hat weder Ullstein noch die BIZ und erstaunlicherweise auch nicht die Axel Springer Syndication GmbH, aus deren Fundus die Bilder stammen, die Pressefotografie erfunden.

Sensationelle Fotos für die Zeitungen lieferte bereits ein halbes Menschenalter vor dem Boulevard-Erfolg der BIZ Mathew Brady aus dem amerikanischen Bürgerkrieg.

Brady zog mit einem rollenden Labor in die Schlacht und wäre, wie's Ruhm und Ehre des Kriegsberichterstatters seither verlangen, vor lauter Nähe zu den Kampfhandlungen beinah selber gestorben.

Die Zeitung kannte keine Parteien, nur Leser und Käufer. Deshalb durfte auf den kniefälligen Bericht von einer Audienz beim Papst ohne weiteres eine Reportage über das lustige Kasernenleben folgen, das die Soldaten beim verschlafenen Aufstehen am Morgen, beim lustigen Rasieren und beim aufmerksamen Unterricht am Gewehr zeigte.

Im Casino, wo sonst der gelegentlich majestätskritische Simplicissimus gehalten wurde, muss mit ein bisschen Retusche nachgeholfen werden, damit der Leser sieht, dass auch der Offizier und nicht bloß der Arbeiter aus dem Wedding die BIZ liest.

Kaiserliches dominiert die ersten Jahre: Wilhelm II. mit doppelerigierten Schnäuzer beim kundig-ausgelassenen Begutachten eines Sumpfschweins, aber auch bei seinen genialen Feldherrn Hindenburg und Ludendorff.

Schon damals verkauften sich am besten: Menschen

Im Krieg steigt der Preis auf 15 Pfennig, doch 1919 kann die BIZ ein Bild des abgedankten Monarchen im holländischen Exil bringen. Der Fotograf Ruben Vellemann, dem der Ehrentitel eines Paparazzo noch fehlte, hatte Wilhelm abgeschossen, indem er sich auf einem Heuwagen mehrmals an der Mauer von Schloss Amerongen vorbeifahren ließ.

In der Redaktion der BIZ wusste man genau, dass sich neben Tieren, Soldaten und Kaisern vor allem Menschen verkauften, also die heute sogenannten People. Drum posiert Ludwig Thoma lodengewappelt mit Gesteckpfeife und Zwicker; Gerhart Hauptmann ist bereits 1897 titelfähig und empfängt den Fotografen präsidentiell und goetheisch zugleich am Schreibtisch; Maxim Gorki gibt das Inbild des blutvollen Schriftstellers.

Die BIZ dokumentiert den Aufbruch der Stadtbevölkerung ins Freie und in die eben erfundene Freizeit, zeigt Männer und Frauen beim Tanz im Sand am Wannsee. Der deutsche Film, der durch Fritz Lang und G. W. Pabst in den Zwanzigern Weltgeltung erlangte, wird durch hochwertige Drehberichte betrommelt. Der Bubikopf und der Kapotthut finden über berühmte Schauspielerinnen Verbreitung. Heinrich Hoffmann darf den Weltstar Max Schmeling beim Albern mit Frau Anny Ondra am Swimmingpool beobachten.

Von 1933 wurde das jüdische Pressehaus Ullstein sofort gleichgeschaltet, aus der Fortschrittspropaganda wurde die für die Partei und ihre Führer. Hitler tätschelt einen Buben, Goebbels spielt mit seinen blonden Töchtern, selbst der massige Göring gibt sich für eine Homestory her, die ihn beim Eisenbahnspielen mit seinem Neffen zeigt, ein sorgfältig inszenierter Schnappschuss.

Hoffmann, der bald zum Professor und "Leibfotografen" des sogenannten Führers avanciert, dokumentiert die ersten Gefangenen im KZ, damit das Ausland auch sieht, wie gut das neue Regime seine Gegner zu behandeln weiß.

Passgenau zum Überfall auf die Sowjetunion 1941 bringt die BIZ Badekleidung

Der Blick auf die Welt oben, den der Zeppelin im Frieden erlaubt hatte, wirkt plötzlich wie die Landvermessung für den Krieg und die nationalsozialistische Welteroberung. Erst Polen und Frankreich, dann geht es gegen die Sowjetunion. Dazwischen wird dem Leser daheim gezeigt, mit wem der deutsche Volksgenosse zu kämpfen hat: systemkonform sind es Mongolen, Neger, die alle weit unter der Herrenrasse der BIZ-Leser stehen.

Der nach dem Zweiten Weltkrieg als menschenfreundlicher Elendsfotograf berühmt gewordene Hilmar Pabel rechtfertigt in einer Bildreportage den deutschen Krieg gegen die Juden, in dem er sie im Ghetto zeigt, das Wort "Ghetto" in scheinhebräischer Schrift: verkommen, schmutzig, und der deutsche Soldat auf Reinigungsmission.

Das Unterhaltungsbedürfnis wird trotzdem nicht vernachlässigt: Passgenau zum Überfall auf die Sowjetunion 1941 bringt die BIZ Badekleidung, in der Ausstellung leicht ahistorisch mit "Frauen in Bikinis" betitelt.

Bei Kriegsende ist Schluss

Die Zeiten sind hart geworden, die BIZ kostete mittlerweile 20 Pfennig, hielt aber aus bis fast zum Schluss. Am 29. April 1945 erscheint die letzte Ausgabe und verspricht noch eine Wendung des Kriegsglücks.

Zuvor ist nahe Tobruk der Fotograf Eric Borchert gefallen. Seit an Seit mit einem regulären Soldaten wird er im afrikanischen Wüstensand beerdigt, ein Kamerad dokumentiert das auf Borcherts Filmstreifen, der mit heldenhaften einem deutschen Angriff begann. Es war das Ende der glorreichen Berliner Illustrirten.

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