Erinnerungen an Oliver Storz:Zartheit und Tapferkeit

Sie hätten einander viel mehr sagen können als je zuvor. Sie sagten es natürlich nicht. Aber trotzdem entstand eine nie gekannte Nähe und die Faszination für die unangestrengte Zartheit eines Menschen, der jeglicher Versuchungen zum Imponiergehabe widerstand.

seine letzte Begegnung mit dem jetzt verstorbenen Oliver Storz.

Er war Filmemacher, Autor, Essayist und Kritiker, jetzt ist Oliver Storz nach einer Krankheit im Alter von 82 Jahren gestorben. Der Schriftsteller Martin Walser, 84, erzählt von seinem letzten, für ihn sehr einschneidenden Oliver-Erlebnis.

OLIVER STORZ

"Und wenn er jetzt nicht gestorben wäre, wüsste ich nicht, was ich verloren habe": Martin Walser über Oliver Storz und eine nicht erschöpfbare Nähe, die plötzlich möglich geworden zu sein schien.

(Foto: DPA)

Als wir das letzte Mal nebeneinander saßen - es ist ein halbes Jahr her - haben wir mehr geraucht als getrunken und mehr getrunken als geredet. Aber als ich heimfuhr, hatte ich das Gefühl, Oliver Storz habe mir sein ganzes Leben erzählt.

Weil ich als Student in Tübingen seinen Vater reden hörte und mich immer noch beeindruckt zeigte von dessen Stimme, Statur und Stil, hat Oliver dann weit ausgeholt und hat mir die Jahre hingeblättert wie ein Kartenspiel, das gewonnen werden kann.

So wird er mir jetzt bleiben. Ein Erzähler mit einem Feingefühl für Richtigkeit, Gerechtigkeit und Schicksalspointen, die moralisch nicht anfechtbar sind. Und was er da schon als Krankheit ertrug, das hat seiner Erzählung den Glaubwürdigkeitsglanz verliehen.

Natürlich denkt man, wenn einer so viel Ausdrucksarbeit geleistet hat wie Oliver Storz, dann kennst du ihn. Aber dieser Abend vor einem halben Jahr hat meinem Oliver-Storz-Bild Züge hinzugefügt, die mir nie so deutlich geworden waren. Alles, was er erzählte, landete in mir bei zwei Wörtern: Tapferkeit und Zartheit. Das, was uns als Berufsfeld gemeinsam war, kommt gern ohne diese zwei Tugenden aus. Und dass es Tugenden sind, und dass sie Oliver Storz zu eigen waren, das war ein Eindruck, von dem er selbst gar nicht wusste, dass er ihn machte.

Er will überhaupt nichts anderes sein, als was er ist

Es ist alltäglich, in unserem Berufsfeld, dass man nebeneinander sitzt, und einer redet mehr als der andere. Aber eher selten kommt es vor, dass der, der zuhört, einen Menschen erlebt, der keine Sekunde lang dem verzweifelten und komischen Imponierzwang verfällt. Er will überhaupt nichts anderes sein, als was er ist. Und das ist er nicht durch die Produktion einer Meinung oder einer Tendenz, sondern durch jedes Detail, das er vorbringt, also durch jeden Satz, den er sagt. Als ginge es in jeder Sekunde seiner Lebensschilderung nur darum, diese Sekunde als solche vorstellbar zu machen. Ihn belebt, was er erzählt, aber er lässt sich nie hinreißen, er bleibt zart.

Und dazu die in allem zum Ausdruck kommenden Haltungen, die sich am deutlichsten im Wort Tapferkeit zusammenfinden. In mir nahm das Gefühl zu, diesen Oliver Storz versäumt zu haben. In einem Betrieb, in dem jeder mit jedem Wort, mit jeder Geste ums Überleben kämpft, kämpfen muss, wirkte diese unangestrengte Zartheit, diese nichts von sich wissende Tapferkeit entspannend, anziehend; man möchte näher hin zu dem, der so sein kann.

Und diesen Menschen hast du schon so und so lang nicht mehr gesehen, und wirst ihn wahrscheinlich wieder so und so lange nicht mehr sehen! Der Betrieb führt euch aneinander vorbei. Aber es ist kein Zufall, sondern Ausdruck innerer Zusammengehörigkeit, dass wir beide zum 91.Geburtstag des Produzenten Jedele gekommen waren, des Meisters der Film- und Fernsehwelt. Helmut Jedele ist im Leben von Oliver so wichtig gewesen wie in meinem. Einer vielstimmigen Geburtstagsversammlung verdankst du also dein letztes Oliver-Erlebnis, nimmst es mit, aber zuerst muss er dann doch noch sterben, dass dir bewusst wird, was du all die Zeit versäumt hast.

Er stiftete ein Weltgefühl

Und weil man bei einem Verlust nur von dem sprechen kann, was man selber verloren hat, muss ich sagen, die nachhaltigste Wirkung, die Oliver Storz bei mir hatte, war das Gefühl: Auf den könntest du dich verlassen. Eine gar nicht erschöpfbare Nähe schien plötzlich möglich geworden zu sein. Die Menschen sind prinzipiell unschuldig. So ein Weltgefühl stiftete er an diesem Abend. Es war Freisprechung. Wir hätten einander viel mehr sagen können als je zuvor. Wir sagten es natürlich nicht. Aber auch das, was jetzt sagbar gewesen wäre, hat, nach meiner Erfahrung, unter uns Seltenheitswert. Und diese Nähe brauchte keinen inhaltlichen Ausdruck.

Oliver Storz war eben auch spätabends ein zur Feinheit fähiger Erzähler. Da setzt er zwei Figuren nebeneinander, die in keiner Sekunde davon reden, dass dieser Abend sie einander angenähert hat, und doch erleben beide nichts so deutlich wie diese Nähe. Das ist sie dann: die Oliver-Storz-Dramaturgie.

Und wenn er jetzt nicht gestorben wäre, wüsste ich nicht, was ich verloren habe. Das heißt, ich lebe von der Illusion, ihm nachrufen zu können: Lieber Oliver, so zart und tapfer wie Du warst, ist jetzt keiner mehr.

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