Interview mit Erika Berger:Erst kam Kolle, dann kam sie

Erika Berger

"Am Anfang war es grauenhaft": Erika Berger über ihre ersten Sendungen.

(Foto: dpa)

Sie war die erste Person, die vor laufender TV-Kamera mit Anrufern über Sex sprach. Ex-RTL-Star Erika Berger über eigene Fauxpas, die Erotik reifer Frauen und andere Tabus.

Ulrike Bretz

Dieses Interview war zum 70. Geburtstag von Erika Berger am 17. Mai 2010 auf SZ.de zu lesen. Zum Tod der TV-Moderatorin veröffentlichen wir diesen Text ein zweites Mal.

In den USA gab es Ruth Westheimer, in Deutschland Erika Berger. In einer Zeit, als das Privatfernsehen noch etwas wagte, redete die gebürtige Münchnerin über Sex. "Eine Chance für die Liebe" hieß die Sendung der früheren Bild-Journalistin.

sueddeutsche.de: Lassen Sie uns doch über Sex reden.

Erika Berger: Auch nicht schlecht.

sueddeutsche.de: Können Sie das Thema überhaupt noch hören, oder hängt es Ihnen mittlerweile zum Hals raus?

Berger: Das kommt auf meine Tagesform an. Aber ich hab mir dieses Fachgebiet ausgesucht und spreche natürlich sehr, sehr gerne über die Liebe, Sex und Zwischenmenschlichkeit. Ich höre mir auch gerne die Nöte der Leute an und finde es ziemlich interessant, was da alles bei herauskommt.

sueddeutsche.de: Das Thema Sex ist allgegenwärtig - sind die Deutschen inzwischen völlig enthemmt?

Berger: Nein, ganz sicher nicht. Man kann sich zwar im Internet anschauen, was immer man will - ob das jetzt geschmackvoll ist oder nicht, bleibt dem User überlassen - aber enthemmt sind die Leute nicht. Sie sind in der Theorie viel aufgeklärter und weiter als vor 20 Jahren, aber in der Praxis hapert es immer noch.

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

Berger: Weil man dann zugeben müsste, dass man etwas nicht kann. Frauen untereinander reden da vielleicht ein bisschen offener, aber Männer würden in ihrem Leben nicht zugeben, dass sie im Bett versagen. Ich glaube, das liegt an der Erziehung der kleinen Jungs: Ein Indianer verspürt keinen Schmerz, und Männer können immer (lacht). Das ist natürlich ein Wunschdenken.

sueddeutsche.de: Aber immerhin wird bei Männern das Problem Impotenz thematisiert. Über die sexuellen Probleme von Frauen jenseits der Wechseljahre wird geschwiegen.

Berger: Stimmt. Die Männer sind da auch ziemlich gemein, die sagen "klimakterische Zicke". Oder behaupten, dass Männer interessant werden und Frauen alt.

sueddeutsche.de: Ältere Männer mit grauen Schläfen - wie Sean Connery und Richard Gere - gelten als sexy. Doch eine ergraute Frau ...

Berger: ... ist ein alter Feger. Das ist eine Unverschämtheit, wirklich. Aber man muss sich doch mal die Männer anschauen, sie werden ja nicht wirklich schöner. Die kriegen eine Wampe, ihnen gehen die Haare aus, sie achten nicht auf ihr Äußeres. Klar, Sean Connery sieht fabelhaft aus. Aber er ist eine Ausnahme. Schauen Sie sich doch bitteschön mal Jack Nicholson an, da wird's mir ja schlecht, wenn ich so was sehe. Der ist nicht schön! Und ein ganz fantastisches Beispiel: Marlon Brando. Was war das für ein wunderschöner Mann! Und wie ist er gestorben? Als dicker, fetter Knödel.

sueddeutsche.de: Trotzdem kriegen dicke, fette Knödel auch im Alter noch eine Frau.

Berger: Wenn sie genug Kohle haben, finden sie irgendwelche Tanten, die sie kurzfristig schmücken. Macht macht sexy. Die Typen können hässlich sein wie die Nacht und haben dann die jungen Weiber.

sueddeutsche.de: Und was macht die Frau im Alter, die Sex haben will? Muss sie zum Vibrator greifen?

Berger: Wenn sie gescheit ist, sucht sie sich einen jungen Liebhaber. Die gibt's natürlich auch nicht wie Sand am Meer. Klar, kann sie sich einen Vibrator kaufen, oder sie befriedigt sich selbst. Doch darum geht es nicht - schlimmer ist, dass man einer Frau abspricht, dass sie nach dem Klimakterium überhaupt noch Lust auf Sex hat. Denn das stimmt nicht. Jeder hat das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sex.

sueddeutsche.de: Hat die Lust einer älteren Frau keinen Platz in unserer Gesellschaft?

Berger: Das ist eine alte tradierte Rollenverteilung ...

sueddeutsche.de: ... mit der wir uns einfach abfinden müssen?

Berger: Wir Frauen haben uns doch glücklicherweise so weit emanzipiert, dass uns das egal sein kann.

Auf der nächsten Seite: Erika Berger über altersgerechte Kleidung und ihre Schwierigkeiten mit dem Wort "Sexshop".

"Man sollte nicht seinen Busen aufs Tablett legen"

sueddeutsche.de: Sind wir wirklich so emanzipiert, dass uns das gelingt?

Berger: Frauen, die im Berufsleben stehen und wirklich was leisten müssen, sind so emanzipiert, dass sie sich das auch nehmen, was sie haben wollen. Eine Frau, die ihr Leben lang nur im Haushalt gewurschtelt hat, hat schlechtere Karten. Die hat es vielleicht nicht gelernt, alleine auszugehen, alleine etwas zu machen.

sueddeutsche.de: Und was ist mit der alleinstehenden älteren Frau, die ein Bedürfnis nach Zärtlichkeit hat? Macht sie sich lächerlich, wenn sie das offen sagt?

Berger: Lächerlich macht man sich ganz sicher nicht. Man sollte nur nicht so offensichtlich nach Männern suchen, die man abschleppen könnte. Und man sollte sich altersgerecht kleiden. Wenn man mit 60 oder mit 70 im Minirock durch die Gegend läuft und seinen Busen aufs Tablett legt, ist das ziemlich lächerlich. Es gibt so schicke Klamotten und schönes Make-up für Frauen in jedem Lebensalter, dass man genauso sexy und erotisch aussehen kann wie eine junge Frau.

sueddeutsche.de: Dennoch gilt die Kombination "alte Frau und Erotik" als Tabu. Und das, obwohl es nicht nur eine Randgruppe in Deutschland betrifft.

Berger: Das liegt daran, dass uns die Medien Erotik und Sexualität immer als jung, schön und knackig verkaufen. Da zeigt man keine Falten. Aber denken Sie doch an den Film "Wolke 9" - das war ein mutiger Film. Auch die Werbung hat sich verändert. Zum Beispiel Dove. Die zeigen jüngere, straffere Frauen und auch ältere Frauen, das finde ich toll.

sueddeutsche.de: Würden Sie bei so einer Werbung mitmachen?

Berger: Weiß ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich mich ausziehen würde. Und im Wintermantel für eine Creme zu werben, ist ziemlich schwachsinnig. Aber man hat mich noch nicht gefragt.

sueddeutsche.de: Würden Sie nicht gerne selbst einen Beitrag dazu leisten, dass das Thema Erotik im Alter enttabuisiert wird?

Berger: Ich würde schon ganz gerne als Beispiel dafür gelten, dass man auch als reife Frau gut aussehen und seine Bedürfnisse ausleben kann.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass Sie durch Ihre Arbeit im Fernsehen, irgendwo zwischen Oswald Kolle und Lilo Wanders, etwas verändert haben?

Berger: "Eine Chance für die Liebe" war die erste Sendung, in der es um solche Themen ging. Ich habe mir das Vertrauen der Menschen erarbeitet. Und ich glaube, RTL hat mit meiner Sendung ein großes Tabu gebrochen. Das war einfach ein Aufbruch. Klar, Ossi Kolle war der ideologische Vorreiter, dann kam ich, und später Lilo mit diesen etwas abstrakteren Geschichten. Aber wir haben alle drei erreicht, dass man im Fernsehen über Sexualität offen und vernünftig sprechen kann.

sueddeutsche.de: Jetzt mal ehrlich - fiel es Ihnen leicht, vor laufender Kamera über Erektionsprobleme, vorzeitigen Samenerguss und Vaginaltrockenheit zu sprechen? Sie hielten den Telefonhörer manchmal mit sehr spitzen Fingern ...

Berger: Es war grauenhaft. Ich habe ja jahrelang über Sexualität geschrieben und viele Interviews gemacht. Aber es ist etwas ganz anders, zu schreiben, als vor der Kamera zu hocken. Bei der Probesendung ist mir auch das Wort für Sexshop nicht eingefallen - ich habe dann von einem "Laden für Ehehygiene" gesprochen (lacht). Ich wusste am Anfang überhaupt nicht, was man sagen kann und was nicht. Das war natürlich eine Katastrophe.

sueddeutsche.de: Und wie war es, mit den Anrufern im Fernsehen über Sexualität zu sprechen - und am Abend dem Sohn oder den Nachbarn zu begegnen?

Berger: Das habe ich immer ganz streng getrennt. Das eine ist mein Beruf und das andere das Privatleben.

sueddeutsche.de: Schauen Sie sich Sendungen wie den WDR-Nachttalk "Domian" heute noch an?

Berger: Nein, ich kenne die Themen bis zum Erbrechen. Und brauche das nicht mehr unbedingt, wenn ich nicht selbst beruflich damit zu tun habe.

sueddeutsche.de: Arbeiten Sie heute immer noch?

Berger: Ja, ich bin sehr gut ausgelastet, ich gehe um neun Uhr aus dem Haus und komme abends um sieben zurück. Ich habe viele Termine - ich habe nach dem Tod meines Mannes seine Firma übernommen und mache Pressearbeit für Fernsehformate, schreibe Bücher, habe Fernsehauftritte, gebe Interviews. Abends gehe ich mit Freunden zum Essen, ins Kino, zu Ausstellungen im Museum und einmal in der Woche zum Sport.

sueddeutsche.de: Und ab und zu reden Sie noch über Sex.

Berger: Ja, anders kann ich wahrscheinlich nicht. Das ist einfach so. Da hab' ich überhaupt kein Problem mit. Ich könnte genauso gut über Schnitzel und Kotelett reden. Oder übers Häkeln.

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