Erdoğan-Debatte bei "Maischberger":"Die türkischen Medien berichten ganz anders"

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Bei Sandra Maischberger ging es um den Konflikt mit der Türkei. (Foto: dpa)

Lässt sich die Eskalation im deutsch-türkischen Konflikt stoppen? Maischbergers Gäste suchen Antworten, finden aber keine. Dafür äußert sich die Integrationsbeauftragte zu Gaulands Entsorgungs-Phantasien.

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Die gute Nachricht lautet: Diesmal hat kein Gast empört das Studio verlassen. Die schlechte: Auf die Frage des Abends wurde wieder einmal keine Antwort gefunden. "Erdoğan - Deutschland: Kann die Eskalation gestoppt werden?", fragte Sandra Maischberger in der Nacht.

Zwar war die Auswahl der Gäste teils nicht uninteressant. Die taz-Redakteurin Doris Akrap etwa ist eine Freundin des deutsch-türkischen Welt-Journalisten Deniz Yücel, der seit mehr als 200 Tagen in der Türkei in Untersuchungshaft sitzt, wogegen es in Deutschland heftige Proteste gab. Der deutsche Außenminister nannte ihn eine "Geisel" der Türkei - weil Erdoğan für Yücels Freilassung angeblich die Auslieferung politischer Gegner forderte. Doch obwohl Doris Akrap der Bundesregierung vorwirft, den türkischen Präsidenten nicht stark genug unter Druck zu setzen, warnt sie gleichzeitig: Man könne Erdoğan "kein größeres Wahlgeschenk machen, als ihn weiter vom Westen zu isolieren".

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Denn die Botschaft aus Ankara an die fast eine Million Wahlberechtigte mit türkischen Wurzeln in Deutschland lautet schlicht: Werdet wieder Fremde, ihr lebt im Feindesland! Das ist dreist und gefährlich.

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Das ist der Grundkonflikt im Streit um den Umgang mit dem wütenden Mann vom Bosporus: Lässt man ihn gewähren, werden die Provokationen, die Kraftmeierei und die Grenzüberschreitungen immer stärker. Weist man ihn jedoch in seine Schranken, birgt das die Gefahr, dass der Teil der Türken, der nicht hinter ihm steht, sich vom Rest der Welt isoliert fühlt.

Soweit die politischen Überlegungen. Aber ticken die Türken wirklich so? Oder was kann Deutschland tun, damit die drei Millionen in Deutschland lebenden Türken, von denen knapp die Hälfte die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, also wahlberechtigt ist, sich wirklich als Deutsche fühlen - und nicht wie Fremde im Feindesland, obendrein ferngesteuert von ihrem Heimatpräsidenten, der zudem Wahlempfehlungen für die Bundestagswahl gibt? Das wären eigentlich die Fragen des Abends gewesen.

Stattdessen durfte Markus Söder als bayerischer CSU-Finanzminister dem für diese Runden üblichen einzigen Erdoğan-Unterstützer Tugrul Selmanoglu als Teil der deutschen Leitkultur beibringen: "Wir reden hier aus." Woraufhin der Heilbronner Unternehmer sich isoliert fühlte und von seinen Kindheitserlebnissen berichtete, als der Sohn eines CDU-Politikers ihn nicht zu seinem Kindergeburtstag eingeladen habe - aus Sicht von Selmanoglus Mutter, "weil ich Türke bin".

Dazu hatte Aydan Özoğuz als SPD-Bundes-Integrationsbeauftragte einerseits zu berichten, dass diese Erfahrung vieler Türken, in Deutschland immer wieder ausgegrenzt zu werden, stimme. Sie selbst musste gerade erst von Alexander Gauland hören, dass sie demnächst "in Anatolien entsorgt" werde. Von Maischberger dazu befragt, äußerte sie Sorge darüber, was in Deutschland jetzt alles zu sagen möglich sei und dass der AfD-Politiker zu dieser Verbalentgleisung am Folgetag auch noch lange im TV interviewt werde.

Andererseits beunruhige sie auch, dass manche in Deutschland lebende Türken sich zunehmend innerlich von dem Land abwendeten, in dem sie aufgewachsen seien - und einem Präsidenten folgten, der nicht der ihre sei. Das betreffe allerdings bei weitem nicht die Mehrheit der Deutsch-Türken, so Özoğuz.

Akhanli wird aus Spanien zugeschaltet

Interessant war die Zuschaltung des kürzlich in Spanien verhafteten Schriftstellers Doğan Akhanlı, der seinen Landsmann Selmanoglu, Mitglied der AKP, darüber aufklären musste, wie es in türkischen Gefängnissen aussieht. Dieser hatte zuvor erklärt, die Inhaftierung von Deniz Yücel laufe völlig rechtskomform ab und überhaupt würden die türkischen Medien ganz anders über Erdoğan berichten. Akhanlı lebt seit 25 Jahren in Köln, von wo aus er die Entwicklung der Türkei kritisch beobachtet, nachdem er in den 80er Jahren in Istanbul zweieinhalb Jahre lang mit Frau und Kind in einem Militärgefängnis eingesessen hatte und dort nach eigenen Angaben auch gefoltert worden ist.

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Wenn das TV-Duell gescheitert ist, dann vor allem wegen der vier Fragesteller. Welche Schwerpunkte sie setzten und wie sie das Thema Flüchtlinge behandelten, zeigte: Die AfD saß mit im Studio.

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Die türkische Regierung müsse ihn für ziemlich mächtig halten, nachdem sie ihm nun schon die Leitung so vieler terroristischer Vereinigungen unterstellt habe, scherzte er zum Abschluss des Interviews mit Galgenhumor. Akhanlı war im Spanienurlaub aufgrund eines internationalen Haftbefehls aus der Türkei festgenommen worden. Er wurde zwar nicht an die Türkei ausgeliefert, darf aber bisher auch nicht nach Deutschland zurück.

Am ausgewogensten äußerte sich der Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Günter Seufert, zu dem Konflikt. Zwar konstatiert auch er, Deutschland und die Türkei hätten "derzeit keine gemeinsame Sprache mehr". Die Gründe für die Eskalation sieht er allerdings nicht nur bei Erdoğan und der AKP. Auch Deutschland habe entscheidende Fehler gemacht - unter anderem, indem es keine klare Linie für oder gegen Auftrittsverbote türkischer Wahlkämpfer in Deutschland gezeigt habe.

Seufert: Mehr Ruhe, auch von deutscher Seite

Wenn nun Beitrittsgespräche abgebrochen würden, wie Martin Schulz das am Sonntag im TV-Kanzlerduell gefordert hatte, und wie es auch Söder bei Maischberger erneut formulierte, und dazu mit Wirtschaftssanktionen gedroht werde, würden die "zweiten und dritten Schritte vor den ersten gemacht". Er plädiere für mehr Ruhe auch auf deutscher Seite. "Wenn wir jetzt aufgrund des Streits mit Erdoğan die doppelte Staatsbürgerschaft infrage stellen, führt das zu einer stärkeren Integrationsleistung?"

Der bessere Weg sei, sich auf das Votum des EU-Parlaments von 2016 zu beziehen und die Beitrittsgespräche bis zur Aufhebung des Ausnahmezustands in der Türkei einzufrieren. Um andere europäische Länder mit an Bord zu nehmen, die Konfrontation nicht alleine zu schultern und und der Türkei als Ganzes zu zeigen: Europa ist bereit, die Gespräche weiterzuführen - und eine Absage gilt nicht dem ganzen Land, sondern nur der aktuellen Regierung.

Das klingt zwar ganz vernünftig. Dass Erdoğan sich dadurch allerdings in die Schranken weisen lässt, ist zu bezweifeln.

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