Ende der ersten Staffel: Stuckrad Late Night:Verzappelt, chaotisch, aber brillant

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Bei "Stuckrad Late Night" plaudern die Gäste aus dem Nähkästchen - obwohl der Moderator sie nicht ernst zu nehmen scheint. Was ist das Geheimnis der Sendung?

Marc Felix Serrao

Benjamin von Stuckrad-Barre macht als Fernsehmoderator viel nicht richtig. Er schwitzt, weil im kleinen Studio von Berlin-Neukölln keine Klimaanlage kühlt. Er blickt an den Kameras vorbei. Er zieht Grimassen, verhaspelt sich, spricht Wörter aus, als wolle er sie zerkauen, vor allem aber stakst und zappelt er mit seinem schlanken Körper über die Bühne, als wäre er auf der Flucht.

Zwar chaotisch und etwas zappelig, aber mit politischem Gespür: Moderator Benjamin von Stuckrad-Barre. (Foto: Svea Pietschmann)

Fast in jeder Ausgabe seiner Sendung Stuckrad Late Night, die seit Mitte Dezember wöchentlich im digitalen Spartenkanal ZDF Neo läuft, spricht der Journalist, Moderator und Schriftsteller über seine Ängste und Neurosen. Immer lustig, oft überdreht.

Wer Herlinde Koelbls einfühlsamen Dokumentarfilm Ruhm und Rausch kennt, in dem der heute 36-Jährige völlig verspult über seine langjährige Drogensucht im Besonderen und den Irrsinn eines öffentlich geführten Lebens im Allgemeinen spricht, der wundert sich nicht, dass der Motor dieses nun auch nicht mehr ganz so jungen Mannes noch immer heißläuft.

Ein Zappelphilipp, ja. Trotzdem ist Benjamin von Stuckrad-Barres Fernsehshow, deren zwanzigste und vorerst letzte Folge an diesem Donnerstagabend läuft, das Interessanteste, Klügste und Lustigste, was das deutsche Late-Night-Gewerbe zurzeit zu bieten hat.

Das ist zwar nicht so schwer, weil es da neben dem großen, immer mal wieder starken Harald Schmidt, dem kleinen und zu Recht abgestürzten Oliver Pocher und dem ewigen Raab nichts gibt. Aber egal. Wenn im deutschen Fernsehen, zumal in einem gebührenfinanzierten Warmwasserbecken wie dem ZDF, etwas herausragt, dann ist das erstmal schön.

Minister a. D. auf Kur bei Stuckrad-Barre

Ein gutes Beispiel für die Stärke von Stuckrad Late Night ist die jüngste Ausgabe vom 12. Mai (abrufbar in der Mediathek des ZDF). Zu Gast war der frühere CSU-Chef und Staatsminister a. D. Erwin Huber. Als "Kuraufenthalt" kündigt der Moderator das Gespräch an. Und wirklich, so entspannt wie eine dreiviertel Stunde später hat man diesen Politiker selten gesehen, zumal im Fernsehen.

Es beginnt mit einer Schnellfragerunde. Was er, Erwin Huber, denn zur Modelleisenbahn im Keller von Horst Seehofer sagen könne, will der Moderator wissen. "Ich finde, Pfister hätte den Nannen-Preis wirklich verdient gehabt", antwortet der CSU-Mann. Oben auf der Empore fangen der knorrige CDU-General a. D. Jörg Schönbohm und der blonde Conférencier Hajo Schumacher an zu klatschen, die beiden Sidekicks und politisch irgendwie Sachverständigen der Show.

Stuckrad-Barre erklärt seinem jungen Studiopublikum, worum es geht: Pfister, das sei dieser Reporter vom Spiegel, der nie selbst im Keller von Seehofer war, aber so getan habe, als ob, und dann "gab's ein bisschen Ärger mit 'nem Preis, den er dafür bekommen hat".

Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Ulmen, der als Produzent von "Stuckrad Late Night" die Verhandlungen mit ZDF Neo führt. (Foto: Svea Pietschmann)

Huber erwidert, er habe die Eisenbahn selbst auch nie gesehen, worauf Stuckrad-Barre mit dem Zeigefinger durch die Luft hämmert und den schönen Satz anfängt: "Wenn sogar enge Seehofer-Freunde wie er...".

Huber, der alles andere als ein Freund von Seehofer ist und an diesem Abend noch oft die Gelegenheit erhält, Bösartigkeiten über den Bayerischen Ministerpräsidenten abzusondern, grinst vergnügt. Ein Grund dafür, dass Erwin Huber in der Show so schön mitspielt, ja, später sogar Bälle durchs Studio wirft und barfuß in kaltem Wasser herumplantscht, ist sicher der, dass seine politische Karriere lange vorbei ist.

Ein anderer Grund für seine Offenheit (und die der meisten anderen Gäste) dürfte der Gastgeber sein. Sicherlich ist es wahr, dass Politiker und andere professionelle Talkshow-Gäste im Fernsehen meist furchtbar blechern daherreden. Sehr oft liegt das aber auch an den blöden und erwartbaren Fragen der Gastgeber.

Stuckrad-Barre, den Ahnungslose immer noch für einen Popliteraturdödel halten, ist bei aller Zappeligkeit ein brillanter politischer Beobachter. Das merkt man seinen Artikeln an, die er zurzeit nur für Blätter des Springer-Verlags schreibt. Man merkt es aber auch in der Show. Auf eine Spitze, die naheliegt, kommt oft noch eine zweite, subtilere, die dann richtig sitzt.

Zweite Staffel sehr wahrscheinlich

Als Huber am Ende der Show und einem "Teechen zum Runterkommen" im Massagestuhl durchgeknetet wird, fragt der Moderator, wie es denn seinem "Stoiberplexus" heute so gehe. Ach, der sei geheilt, sagt der Politiker. "Keine Narbe zurückgeblieben, um mal Beckmannmäßig..?", hakt der Gastgeber mit einem vollendet unvollendeten Satz nach.

Unmittelbar nach der Sendung an diesem Donnerstag, hört man, soll es Gespräche zwischen Benjamin von Stuckrad-Barre, seinem Produzenten Christian Ulmen und den Sender-Verantwortlichen geben - darüber, ob und wie es weitergeht. Man kann ZDF Neo nur wünschen, dass sich der kleine Tochterkanal mit den sicher sehr freien radikalen Kreativen einigt. Ulmen hat wissen lassen, die Show werde auf jeden Fall weitergehen.

Stuckrad Late Night, ZDF Neo, Donnerstag 19. Mai, 22.25 Uhr.

© SZ vom 19.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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