"Ellas Baby" im Ersten:Das Leben ist zu bunt, um sich auf einen Vater festlegen zu lassen

"Ellas Baby" im Ersten: Helmut Dietl schätzte die Freiheit seiner Kinder. Sein Sohn David, hier im Jahr 1993, durfte ihm trotzdem manchmal bei der Arbeit zusehen.

Helmut Dietl schätzte die Freiheit seiner Kinder. Sein Sohn David, hier im Jahr 1993, durfte ihm trotzdem manchmal bei der Arbeit zusehen.

(Foto: imago)

David Dietl ist Regisseur - und der Sohn des großen Helmut Dietl. Und einer, der die Gegensätze im Gemeinsamen sucht.

Porträt von Thomas Hahn

Den Sommer 1996 wird David Dietl nie mehr vergessen. Die Sonne schien. Die deutschen Fußballer wurden Europameister in England. Und in den großen Ferien machte er seine ersten Erfahrungen beim Film. Sein Vater, der gefeierte Regisseur Helmut Dietl, drehte damals Rossini mit hochbegabten Leuten wie Götz George oder Gudrun Landgrebe. Und mit ihm, David, den er wohl auch deshalb als Regiepraktikant aufgenommen hatte, weil er seine Idee nicht mochte, eines Tages Geschichte zu studieren.

Helmut Dietl war gut drauf in jenen Tagen. David saß neben ihm bei der Videoausspielung und sah, was die Kamera sah. Abends wurde gefeiert. Es waren die letzten Wochen des Drehs, regelmäßig gab ein Schauspieler seinen Ausstand. Und allmählich keimte in David der Gedanke: Wenn Filmemachen ein Beruf ist - warum sollte man dann etwas anderes machen wollen?

So begann die Geschichte des Regisseurs David Dietl, 37, in der es im Grunde nur um ihn gehen sollte, um einen jungen Mann, der auszog, seinen Stil zu finden. An diesem Freitag strahlt das Erste seinen ersten abendfüllenden Fernsehfilm aus. Ellas Baby erzählt von einem Mädchen, das früher als geplant erwachsen sein muss. Tijan Marei spielt Ella, die mit 16 schwanger wird, Benno Fürmann ist ihr überforderter Vater. Um sie strickt David Dietl ein konfliktreiches Drama und zeigt dabei, was er tun will bei seiner Arbeit: nämlich Witz und Ernst in einer Handlung verschränken, die sehr nah an den Gefühlen der Figuren bleibt. Man sieht die unterhaltsame TV-Premiere eines aufstrebenden Filmemachers, der das Zeug zu mehr hat.

Allerdings kann es in der Geschichte des Regisseurs David Dietl nicht nur um ihn gehen. Dazu war sein Vater einfach zu groß in dem Metier, in dem David Dietl jetzt selbst ein Großer werden will. Helmut Dietl, gestorben 2015, gehört zu den wenigen Regisseuren, die bleibende Spuren in der deutschen Film- und Fernsehlandschaft hinterlassen haben. Das Genre der intelligenten Gesellschaftssatire hat er geprägt wie kaum ein anderer. Münchner Geschichten (1974), Monaco Franze (1981 bis 1983) und Kir Royal (1986) waren nicht irgendwelche Serien, sondern präzise Zeitgeiststudien aus dem moralischen Halbfeld Münchens, witzig, kritisch, authentisch. Der Kinofilm Schtonk! (1992) parodierte den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher, die der Stern 1983 veröffentlichte. Rossini (1997) entlarvte die Stützen eines elitären Stammtisch-Bürgertums.

Er drehte nach blitzgescheiten Drehbüchern, die Dietl selbst herstellte, unter anderem mit seinem Freund Patrick Süskind, dem öffentlichkeitsscheuen Weltliteraten (Das Parfüm). Außerdem pflegte Helmut Dietl eine Art der Regie, die den Schauspielern aufs Komma genaue Vorgaben machte und keine Idee neben seiner gelten ließ. "Bitte, tut's mir einen Gefallen", sagte er, "macht's mir keine Vorschläge."

An diesem Vater kommt David Dietl vorerst nicht vorbei, wenn er über seine Filme sprechen soll. Auch jetzt, da er in einem Hamburger Hotel beim Interview sitzt, ist es so, als sei der Alte mit im Raum. David sieht Helmut sehr ähnlich mit seinem Bart und den dunklen Haaren. Und der Geist des Vaters steckt in vielen Aspekten seiner Geschichte. Alles begann mit Rossini, wie gesagt. Später ging David Dietl weg aus der Helmut-Dietl-Hauptstadt München auf die Filmhochschule in Berlin, wo sein familiärer Hintergrund im Grunde nur einmal ein Thema war: Als sein Dozent Reinhard Hauff ihm erklärte, er werde es nicht leichter haben wegen seines Nachnamens. "Er sagte: Ich werde Sie besonders hart rannehmen und irgendwann werden Sie auch verstehen warum", erzählt David Dietl.

Er lernte mit den Vorurteilen umzugehen, die andere aus seinem Namen ableiteten. Und auf der Suche nach seinem Stil spielte der Vater auch eine Rolle. Allerdings eher nicht als Vorbild. Denn David Dietl mag die Vorschläge der anderen. Er will kein Regiestuhl-Despot sein. Auch bei Ellas Baby blieb er offen für die Ideen, die aus dem Team um ihn herum kamen. Er wertete sie für sich aus, verwarf sie oder baute sie ein, um den Film besser zu machen. "Ich finde das die einzig richtige Herangehensweise", sagt David Dietl. "Warum sollte man sich dieser ganze Kreativität berauben, die in einem Filmteam ist? Nur weil man das Gefühl hat, man muss alles selber wissen? Das stimmt nicht."

Das ist das Wesen einer Vater-Sohn-Geschichte: Die Jugend widerspricht dem Alter und geht ihren eigenen Weg. Es kann dabei auch mal krachen, im Fall der Dietls war der Widerstand des Sohnes aber wohl eher ein ruhiger Prozess. "Mein Vater hatte sehr konkrete Vorstellungen von seinem Leben. Es war sehr auf seine Bedürfnisse ausgerichtet", sagt David Dietl und lächelt. Ein fordernder Kauz konnte der Senior sein, wie das eben manchmal so ist bei kreativen Charakterköpfen. David Dietl ist anders, eher harmoniebedürftig und umgänglich. Und es fühlte sich für ihn immer richtig an, dass er nach der Trennung seiner Eltern bei der Mutter aufwuchs.

Ellas Baby (AT)

David Dietl, Jahrgang 1979, ist das mittlere der drei Kinder von Regisseur Helmut Dietl. Seine Mutter ist Marianne Dennler, die einst Sekretärin von Bernd Eichinger war.

(Foto: ARD Degeto/Reiner Bajo)

Immerhin, Helmut Dietl wohnte in Schwabing um die Ecke, er ließ den Jungen so viel Anteil nehmen an seinem Alltag, seinen Freundschaften, seiner Arbeit, dass dieser sich daran orientieren konnte. Heute wäre er sicher stolz darauf, dass sein Sohn kein zweiter Helmut Dietl sein will, sondern der erste David Dietl. Helmut Dietl mochte den Bruch mit dem Herkömmlichen, den Ton des Widerspenstigen. So waren seine Filme. So war er, sogar, als seine Krebsdiagnose da war und er sie 2013 in einem selbstmitleidslosen Zeit-Interview öffentlich machte ("Das war das Interessante: Sie haben gesagt, operabel sei das so nicht"). Und wenn man David Dietl richtig versteht, war er auch als Vater so. Er schätzte die Freiheit seiner Kinder.

Er spricht gern über seinen Vater, sagt er. Aber vorsichtig sein muss er natürlich auch

Wie fühlt sich das an, wenn man seine eigene Geschichte beginnen will und ständig jemand die des Vaters drüberlegt? "Ich verstehe das", sagt David Dietl, "ich rede gern über ihn." Sein Name macht ihn interessant - das ist kein Nachteil in dieser PR-Republik, in der ständig jemand mit irgendwas um Aufmerksamkeit ringt. Andererseits muss er auch aufpassen, dass er nicht zum Opfer falscher Erwartungen wird. "Ich werde nie die Filme machen können, die mein Vater gemacht hat", sagt er.

König von Deutschland, sein Kino-Erstling von 2013 mit Olli Dittrich und Veronica Ferres, wirkte ein bisschen so, als arbeite David Dietl im Dienste einer Dietl-Tradition. Da gelang ihm eine spritzige Satire zum Geschäft mit der Durchschnittlichkeit, die er auch noch selbst geschrieben hatte. Ellas Baby ist ganz anders, einfühlsamer, nicht so bissig, vielleicht auch etwas gezähmt durch die Vorgaben des Fernsehens. Aber beide Filme verraten nicht den Helmut im David. Und derzeit arbeitet er ohnehin an etwas ganz anderem: an einer Dokumentation über Berlins legendärste Türsteher. Das Leben ist zu bunt, um sich auf einen Vater festlegen zu lassen. Also tut David Dietl das auch nicht, sondern sieht zu, dass er bald der einzige Hauptdarsteller in seiner Geschichte ist.

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