Eklat um "Daily Mail":Tod und Teufel

"The Man Who Hated Britain", erschienen in der Daily Mail

Anlass für Aufruhr: "The Man Who Hated Britain", erschienen in der Daily Mail.

(Foto: Andy Rain/dpa)

Sie ist die Zeitung, "der man nachts lieber nicht in einer dunklen Gasse begegnen möchte": Die "Daily Mail" meint ihre Kampagnen bitter ernst. Nach einem Eklat um die Familie von Oppositionsführer Ed Miliband diskutieren die Briten einmal mehr hitzig über die Grenzen des Boulevardjournalismus.

Von Christian Zaschke, London

Die Daily Mail gehört zu den erfolgreichsten und zugleich meistgehassten Zeitungen Großbritanniens, was daran liegt, dass sie wie kaum ein anderes Blatt stets auf der Suche nach Streit ist. Wer ins Visier der Redaktion gerät, kann sich auf erbarmungslose Kampagnen gefasst machen, da ist die Daily Mail noch konsequenter als Rupert Murdochs Revolverblatt The Sun. Die Sun hat bisweilen durchaus Humor, die Daily Mail hingegen meint es immer bitter ernst. Sie gilt als der Skorpion unter den Zeitungen, weil es ihre Natur ist zu stechen. Die British Journalism Review beschrieb sie einmal als Zeitung, "der man nachts lieber nicht in einer dunklen Gasse begegnen möchte". Täglich verkaufte Auflage: mehr als 1,8 Millionen Exemplare.

In diesen Tagen findet sich das Blatt im Zentrum einer hitzigen Diskussion darüber, wie weit Boulevardjournalismus gehen darf. Zunächst hatte die Mail vor einer Woche einen Artikel über den 1994 verstorbenen Vater des Oppositionsführers Ed Miliband veröffentlicht. Die rechtskonservative Mail beschrieb den marxistischen Intellektuellen Ralph Miliband als Mann, der Großbritannien gehasst habe. Es war eine boshafte Geschichte, die mit den Fakten sehr frei umging und ganz offensichtlich als scharfe Attacke auf Labour-Chef Ed Miliband gedacht war, dessen Politik dem Blatt zu links ist.

Vermutlich wäre dem Artikel keine weitere Aufmerksamkeit zuteilgeworden, wenn nicht Miliband beschlossen hätte, sich die Verunglimpfung seines Vaters nicht bieten zu lassen. Er erreichte, dass die Mail Mitte der Woche einen Artikel druckte, in dem Miliband darlegte, dass sein Vater, der 1940 als jüdischer Flüchtling aus Belgien ins Land kam und im Krieg gegen die Nazis kämpfte, Großbritannien keineswegs hasste, sondern liebte. Die Mail druckte auf der gleichen Seite einen Text, in dem sie ausführte, warum sie doch recht habe, und die Anschuldigungen wiederholte. Anschließend nahm die Diskussion erst richtig Fahrt auf.

"Darüber diskutieren, wer Großbritannien mehr hasst"

Am Donnerstag wurde bekannt, dass sich zwei Reporter der Schwesterzeitung Mail on Sunday am Mittwoch in eine private Trauerfeier für Milibands verstorbenen Onkel geschlichen hatten. Sie versuchten, die Trauergäste dazu befragen, was sie von der Geschichte über Ralph Miliband hielten. Ed Miliband schrieb daraufhin einen Brief an Lord Rothermere, den Besitzer der Zeitungen. Er schrieb, dass das Blatt eine Grenze überschritten und den Anstand verletzt habe. Rothermere müsse sich fragen, ob es nicht ein generelles Problem mit Kultur und Praktiken seiner Zeitungen gebe. Der Lord entschuldigte sich am späten Donnerstagabend per Brief bei Miliband für das Eindringen der Reporter; er wies jedoch ausdrücklich zurück, dass es ein prinzipielles Problem bei seinen Blättern gebe.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Diskussion die öffentlichen Foren erreicht. Verschiedene führende Mail-Journalisten verteidigten die Linie des Blattes im Fernsehen, im Radio und im Netz, mit einer namhaften Ausnahme: Paul Dacre, seit mehr als 20 Jahren Chefredakteur der Mail, schwieg.

Die Mail-Leute schienen überrascht zu sein über die Empörung, die ihnen entgegenschlug. Mehdi Hasan, Redakteur der Huffington Post, sagte: "Dann lassen Sie uns jetzt darüber diskutieren, wer Großbritannien mehr hasst: Es ist nicht der tote jüdische Flüchtling aus Belgien, der in der Königlichen Marine gedient hat. Es ist die auf Einwanderer einschlagende, Frauen hassende, Muslime verunglimpfende, den Nationalen Gesundheitsdienst unterminierende, gegen Schwule hetzende Daily Mail." Hasan sagte diesen Satz in der BBC-Sendung Question Time, und er erhielt lang anhaltenden Beifall.

Am Freitag verteidigte sich das Blatt erneut und ging in die Offensive. Man habe nichts zurückzunehmen, hieß es. Finanzredakteur Alex Brummer sagte der BBC, dass sich jetzt vielmehr einige Kritiker bei der Mail entschuldigen müssten, weil sie zu weit gegangen seien.

Bemerkenswertes Timing

Das Timing dieser äußerst lebhaften Debatte ist bemerkenswert: In der kommenden Woche setzen sich Politiker aller Parteien zusammen, um darüber zu beraten, ob und wie die Presse im Königreich künftig reguliert werden soll. Auf dem Tisch liegen zwei Vorschläge. Der erste Vorschlag stammt von Teilen der Zeitungsindustrie, darunter die Daily Mail; er sieht eine Selbstregulierung vor, die eine nur unwesentliche Veränderung des Status quo bedeuten würde. Der zweite Vorschlag stammt von Lordrichter Brian Leveson, der eine Kommission zur Untersuchung der Presse geleitet hatte, die nach dem Abhörskandal vor zwei Jahren eingesetzt worden war. Damals war publik geworden, dass Mitarbeiter der inzwischen eingestellten News of the World jahrelang Telefone gehackt hatten. Levesons Vorschlag sieht eine etwas strengere Kontrolle vor und wird von vielen Blättern strikt abgelehnt.

Nun könnten Daily Mail und Mail on Sunday, die vehement für die Selbstregulierung der Presse plädieren, der Politik so kurz vor den Beratungen den Eindruck vermittelt haben, dass eine Selbstregulierung vielleicht doch nicht die Lösung ist. Dem Streit darüber werden sie nicht aus dem Weg gehen.

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