"Dreileben" in der ARD:Eine öffentlich-rechtliche Keule

Drei Filme, drei Perspektiven, drei Regisseure, ein Experiment - in "Dreileben" wird ein Mord in einem Thüringer Dorf zum Filmexperiment. Die Ausnahme-Filmemacher Dominik Graf, Christian Petzold und Christoph Hochhäusler liefern heute Abend mit ihren Krimis ein künstlerisches Aushängeschild für die ARD.

Christopher Keil

Wenn die ARD an einem Montag im Spätsommer einen ganzen Abend lang Fiktion zeigt, drei aufeinander folgende Fernsehfilme, die inhaltlich miteinander verbunden sind, wird unweigerlich von einem Experiment gesprochen, davon, wie stark oder belastbar oder mutig das öffentlich-rechtliche System ist.

Dreileben - Eine Minute Dunkel

Szene aus dem letzten der drei Teile des heutigen Abends: "Eine Minute dunkel" von Christoph Hochhäusler. Es ist der Blick auf die dunkle Seite des Lebens.

(Foto: WDR/Reinhold Vorschneider)

Tatsächlich ist der ARD-Programmdirektor Volker Herres so oder ähnlich zitiert. Ein Satz ist besonders schön: "Gerade die Öffentlich-Rechtlichen haben ihre gemeinschafts- und gesellschaftsbildende Funktion noch nicht eingebüßt. Mit ihrem Anspruch, ein qualitativ hochwertiges Programm für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen anzubieten, stehen sie den Tendenzen zur Vereinzelung entgegen, die die drei Regisseure (der drei Filme) auf künstlerischem Sektor beklagen."

Über die Vereinzelung oder das hochwertige Programm ließe sich viel erzählen. Man könnte noch einmal daran erinnern, dass gerade ein Polizeiruf vom Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks zensiert worden ist. Der Krimi Hans Steinbichlers wurde zwar nicht verboten, aber er darf erst nachts ausgestrahlt werden und nicht um 20.15 Uhr, weil sein Thema und seine Art, mit dem Thema umzugehen, Kindern und Jugendlichen Angst machen könne. Steinbichlers Thema ist das religiös motivierte Attentat. Seine Art ist das Kammerspiel, ein Fall von Sterbehilfe, der Attentäter und Kommissar in Dunkelheit zusammenbringt. Die Entscheidung, den Sendeplatz zu verschieben, ist eher unbegreiflich. Oder naheliegend.

In der Logik des Öffentlich-Rechtlichen liegt es, den Sterbehilfe-Polizeiruf zu indizieren und Projekte wie Dreileben zu ermöglichen - passenderweise ist der BR als einer der Auftraggeber auch noch beteiligt. Das System des mit Gebühren finanzierten und sich selbst kontrollierenden Fernsehens hat eine zum Teil schwer erträgliche Ambivalenz ausgebildet. Sie ist gekennzeichnet von Quote, Willkür und Angst, von handwerklicher Enge und individueller Großzügigkeit, von Regeln und Ausnahmen.

Ganz sicher gäbe es Dreileben, einen Themenabend mit Arbeiten der Regisseure Dominik Graf (Im Angesicht des Verbrechens), Christian Petzold (Wolfsburg) und Christoph Hochhäusler (Falscher Bekenner), nicht im kommerziellen Programmbetrieb. Andererseits wird Dreileben ebenso sicher als Keule in jeder Debatte geschwungen werden, in der man fragt, warum ARD und ZDF nicht konsequent Talent, Qualität und Freiheiten fördern, warum sie nicht Kultur und Information radikal entwickeln, statt beliebigen Mainstream-Abklatsch des Privatfernsehens zu kopieren? Und die öffentlich-rechtliche Antwort wird lauten: Wir fördern doch die Kunst, Dreileben zum Beispiel.

Der Abend entstand aus einer "Mailerei"

Entstanden ist Dreileben, wenn man es richtig verstanden hat, weil Graf, Petzold und Hochhäusler über die Berliner Schule diskutieren wollten und sich schließlich gegenseitig Mails schickten, in denen sie den deutschen Film, das Fernsehen, Stoffe und Erzählformen diskutierten. Der Schriftwechsel ist in der Filmzeitschrift Revolver dokumentiert, für die Hochhäusler als einer der Herausgeber verantwortlich ist. Graf setzt die Trennung von Kunst und Kommerz auf die Agenda und zitiert Camus und Günter Netzer ("Im Strafraum kennst du keine Verwandten").

Petzold verteidigt Deutschland und zitiert Wim Wenders, der wiederum lobt, wenn ein Film sich nicht schämt, in Deutschland zu spielen. Petzold zitiert auch Eric Rohmer, einen Satz, der an irgendeiner Wand der Berliner Filmakademie hing, die Petzold besuchte: "Es gibt nur eine einzige richtige Kameraposition für ein Bild, und die gilt es zu finden." Irgendwann hatte jemand mit Kugelschreiber darunter gekritzelt: Er habe eine zweite Kameraposition gefunden.

Zunehmend teilen sich die Regisseure Freundlich-Kritisches und Anerkennendes über die Filme der anderen mit. Hochhäusler ist besonders theoretisch: "Letztlich gibt es in vielen Filmen eine Inkongruenz zwischen Deinen Idiosynkrasien und den Beulen der Vorlagen", richtet er Graf aus.

Drei ausgesprochene Regie-Einzelgänger entdecken also ihr Vergnügen an Gemeinschaft, eine E-Mail-Freundschaft hält ja beruhigende Distanz. Und als "die Mailerei fertig werden sollte", sagt Graf, "war es schwer, das wieder eintretende Schweigen unter uns zu ertragen. Da kam Christian Petzold die rettende Idee: gemeinsam drei Filme machen, verbunden durch Orte, Figuren, dieselbe Zeit, dieselben Ereignisse, ansonsten frei".

In der Musik gibt es Superbands. Dreileben ist das Ergebnis einer Superband deutscher Regisseure auf der Bühne der ARD. Entstanden ist eine polyphone Milieustudie mit Krimihintergrund, eine lose Geschichte aus drei Perspektiven, allerdings steht jeder Beitrag auch sehr für sich. Die Verbindungen sind nicht so auffällig und stilisiert, wie man vermuten könnte, das ist auch die Schwäche. Denn wenn man sich viereinhalb Stunden Film gönnt, hofft man auf den Sog, in den man von einer guten Serie gezogen wird. Man wäre lieber unglücklich darüber, dass es keinen vierten oder fünften oder sechsten Teil gibt, statt ratlos, weil jede Episode zwar gut ist, die von Graf vielleicht die beste, doch daraus kein Ganzes wird.

Der Mörder ist auch Opfer

Grundlage von Dreileben war Petzolds Skizze von "Etwas Besseres als den Tod", in dem es um einen Zivildienstleistenden (Jacob Matschenz) geht, der sich in ein polnisches Zimmermädchen (Luna Mijovic) verliebt. Auf Thüringen kam Petzold, weil es wenig Thüringen gebe im deutschen Film, wohl aber Mythen und Legenden aus Thüringen. Der Ort, Dreileben, ist bei Petzold ein unbewohnbares Dorf. Es gibt einen Supermarkt, eine Tankstelle, eine Klinik und einen unheimlichen Wald. In einer für Petzold geradezu emotionalen Szene übersetzt der Junge dem Mädchen den Song "Cry me a River", er flüstert die Strophen in ihr Ohr, während beide tanzen. Es ist der Moment größter Nähe, von dem aus sie sich dann rasend schnell voneinander entfernen.

Graf hat in "Komm mir nicht nach" das Lebensgefühl der über 40-Jährigen inszeniert. Sie sind zwar abgeklärt, haben sich bequem eingerichtet, weil sie erfolgreich sind. Doch die Erkenntnis, bereits unwiderrufliche Entscheidungen getroffen zu haben, trifft sie und durchbricht den Schutz aus Kälte, Kontrolle oder Gleichgültigkeit. Das Kriminelle, die Jagd auf einen Mann, der sich in den Wäldern versteckt und vielleicht ein Mörder ist, bleibt draußen. Immer wieder hört man Polizeisirenen. Einsatzfahrzeuge fahren am Grundstück mit der alten Villa vorbei, die sich Vera (Susanne Wolff) und Bruno (Misel Maticevic) gekauft haben, und in der nun Veras Freundin Jo (Jeanette Hain) für ein paar Tage übernachtet. Jo ist Polizeipsychologin, scheinbar mühelos lenkt sie die Fahndung in die richtige Richtung. Überwiegend ist sie damit beschäftigt, in der Villa Fundstücke ihrer Vergangenheit einzuordnen und sich mit der Beziehung zu Vera und ganz allgemein zu Männern auseinanderzusetzen. Wie Hain, Maticevic und Wolff die Vertrautheit von Freundschaft spielen und gleichzeitig auch das Scheitern der Lebensentwürfe, ist grandios.

Die Motive und die Abfolge der Verbrechen liefert dann Hochhäusler ("Eine Minute dunkel"), obwohl der Sexualstraftäter schon im zweiten Teil verhaftet werden kann. Es ist der Blick in die dunkle Seite des Lebens. Sie besteht aus Details, die eine furchtbare Biographie füllen. Der Polizist Marcus (Eberhard Kirchberg) will die kaputte Seele verstehen, um auf die Spur des Monsters zu kommen, und wird selbst krank. Der mutmaßliche Mörder Frank (Stefan Kurt) irrt wie ein Tier durch den Wald, er ist dort frei und fühlt sich frei, doch er ist es natürlich nicht, weil ihn die Gesellschaft ausgegrenzt hat. Dreileben ist vor allem davon bestimmt, die unterschiedlichen Perspektiven und Einsichten derselben Sache zu betonen. Der Mörder ist deshalb am Ende beinahe zwangsläufig auch Opfer. Die letzten Bilder sind stumm, es bleibt auch nichts mehr, was man noch wissen wollte.

Dreileben, ARD. - 20.15: "Etwas Besseres als den Tod". 21.45 Uhr: "Komm mir nicht nach". 23.30 Uhr: "Eine Minute dunkel".

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