Dreharbeiten zu "Oktoberfest - das Attentat":"So kann es nicht gewesen sein"

BR-Journalist Ulrich Chaussy ist einer der energischsten Gegner der offiziellen Version zu den Hintergründen des 1980 verübten Anschlags auf das Oktoberfest in München. Im Spielfim "Oktoberfest - das Attentat" werden seine Rechercheergebnisse erneut beleuchtet. Davon erhofft er sich auch neue Hinweise.

hat ihn am Set begleitet.

Eine Gruppe von Journalisten hat sich im Vorraum versammelt. Manche tragen gestreifte Wollpullover und Oberlippenbart, braune Pullunder oder Lederblousons. Eine Frau sticht mit blonder Föhnfrisur, bonbonfarbenem Kleid und weißen Cowboystiefeln heraus. Wartende zünden sich Zigaretten an und lachen. Unscheinbar am Rande steht ein Mann, kurze braune Haare, Brille, dunkelgrünes Sakko. Er ist die eigentliche Hauptfigur des Plots. Ulrich Chaussy, Journalist des Bayerischen Rundfunks. Der einzige echte Journalist am Filmset. Der Rest ist Requisite - die Aufnahmegeräte der Journalisten, die Achtzigerjahre-Kleidung.

Mehr als 30 Jahre lang hat Chaussy zum Hintergrund des schlimmsten Terroraktes in der deutschen Nachkriegsgeschichte recherchiert, bei dem am 26. September 1980 durch eine Bombe am Eingang der Wiesn 13 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt wurden. Als Täter wurde von den Ermittlungsbehörden der 21-jährige Student Gundolf Köhler ausgemacht, der der rechten Szene angehört haben soll und bei dem Anschlag selbst ums Leben kam. Bis heute gibt es Zweifel an der offiziellen Version, die von einem erweiterten Suizid eines Einzeltäters ausgeht.

Einer der energischsten Zweifler ist Chaussy. Hauptgrund für ihn, sich an dem Fall festzubeißen, waren Hinweise, die in eine ganz andere Richtung deuten: "Ich hatte die Namen der Zeugen, die mehr Männer gesehen haben wollen", sagt Chaussy. Doch diesen Aussagen - neben anderen - sei die Polizei, nachdem die Einzeltäter-These stand, kaum mehr nachgegangen. "Von da an ist die Ermittlung lax geworden", ist er überzeugt. Was geschah wirklich? "Ich kann es nicht sagen", so Chaussy. "Aber ich kann mit Sicherheit sagen: So kann es nicht gewesen sein."

Wie aus dem Journalisten ein vehementer Zweifler wurde, darüber hat Chaussy zusammen mit Regisseur Daniel Harrich das Drehbuch zu dem Fernsehfilm "Oktoberfest - das Attentat" geschrieben. Im Herbst kommenden Jahres soll die BR-Produktion ausgestrahlt werden. Darin sind die Fakten nicht verändert worden, fiktionale Elemente sind dem Spielfilm-Plot aber beigemischt.

Die Einzeltäter-Theorie

Am Set setzten sich die Journalisten in Bewegung. "Jetzt wird es affenstark-spannend", sagt Chaussy und grinst. Dann drängen die Medienvertreter in einen Raum, an dessen hölzerner Wand ein silberner Bundesadler angebracht ist. Vorbei an einer geöffneten Absperrung stürmt auch Ulrich Chaussy - vielmehr Hauptdarsteller Benno Fürmann. Er nimmt auf einem der orangefarbenen Schalenstühlen Platz.

Davor, an einem weiß gedeckten Tisch, verkündet Miroslav Nemec in der Rolle des Generalbundesanwalts Kurt Rebmann im gleißenden Licht der Scheinwerfer: "Nach ausgiebigen Ermittlungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass Gundolf Köhler als Einzeltäter gehandelt hat." Nemec macht eine längere Kunstpause, um ihn herum bleibt es still. Ein "politisches Motiv" könne nicht gesehen werden, sagt Nemec, Hinweise auf weitere Täter gäbe es nicht.

Es ist eine der Schlüsselszenen des Films - und der Ausgangspunkt für die jahrzehntelange Recherche Chaussys. Denn das, was Nemec alias Rebmann gerade verkündet hat, machte das Thema zu seiner Lebensaufgabe: die Einzeltäter-Theorie. "Man hat sich den Attentäter gebaut, als sozial isolierten, sexuell frustrierten Einzelgänger", sagt Chaussy, seine Stimme wird dabei lauter, selbstbewusster, statt wegzuschauen fokussiert er jetzt den Blick des Gegenübers, "davon konnte aber gar nicht die Rede sein."

Warum sollte er sich in die Luft sprengen?

So habe Köhler seinen Recherchen zufolge kurz vor dem Attentat Anschluss an eine Rockband gesucht, mit der er regelmäßig probte, und einen Bausparvertrag abgeschlossen; warum sollte er sich kurz darauf in die Luft sprengen? Regisseur Daniel Harrich nennt den Film über die Widersprüche und Widerstände, denen der Journalist bei seiner Arbeit begegnete, einen "Polit-Thriller", Chaussy spricht von einer "inszenierten Dokumentation".

Ulrich Chaussy, Daniel Harrich und Benno Fürmann bei den Dreharbeiten zu "Der blinde Fleck".

Drehbuchautor, Vorlage und Hauptdarsteller in einer Reihe: Regisseur Daniel Harrich (l.), Ulrich Chaussy und Benno Fürmann. Der Film hält sich an die Fakten, enthält aber auch fiktionale Elemente.

(Foto: BR/Theresa Högner)

Was er damit meint, erklärt der Journalist anhand einer Szene nach der Pressekonferenz, bei der Fürmann alias Chaussy und der Anwalt der Attentats-Opfer, Werner Dietrich (gespielt von Jörg Hartmann), im Film erstmals aufeinandertreffen. Er will mit den Opfern sprechen, deren Sicht interessiere ihn mehr als die des Täters, sagt Fürmann. "Genau so ist es nicht passiert", flüstert Chaussy leise zwischen zwei Aufnahmen, eigentlich hätten sich die beiden auf einer Veranstaltung kennengelernt. "Hier ist es viel komprimierter. Wie bei einer guten Soße, die man auch einkochen muss."

Wie es sich anfühlt, wenn sich Benno Fürmann mit nach hinten gegelten Haaren und Dreitagebart als Ulrich Chaussy vorstellt? "Gut", sagt Chaussy. "Was ich gut finde ist, dass er die Rolle überrascht spielt und nicht versucht, den toughen Typen raushängen zu lassen." Schließlich sei Chaussy damals auch irritiert gewesen, als die Ermittlungen eingestellt wurden.

Parallelen zwischen Fällen mit rechter Gewalt

Dass er nicht jedes Detail, nicht jeden Aspekt seiner Recherche eins zu eins in den Film einbringen kann, ist nicht ganz einfach für ihn. "Ich habe lernen müssen, das alles auf einen einfachen Nenner runterzubrechen", sagt der 60-Jährige, der schon 1985 ein Buch zum Oktoberfest-Attentat veröffentlicht hat.

Neue Erkenntnisse wird der Film nach Angaben des Senders nicht zutagefördern; 2009 wurden die Rechercheergebnisse des 60-Jährigen schon in einer Dokumentation präsentiert. Chaussy erhofft sich von dem Film aber neue Hinweise. Nach der Dokumentation vor drei Jahren habe ihn ein österreichischer Banker angerufen. Der habe berichtet, Köhler vor dem Anschlag im Auto mit zwei anderen Männern gesehen zu haben. Das habe er auch der Polizei gesagt. Die sei dem Hinweis aber offenbar nicht weiter nachgegangen.

Die Verfolgung solcher Hinweise ist für die Behörden heute, 32 Jahre nach der Tat, auch schwierig - 1997 wurden die Asservate zu dem Fall auf Anweisung der Bundesanwaltschaft vernichtet. Trotzdem lässt der Journalist bis heute nicht locker. Erst vor wenigen Wochen war er dabei, als Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger 1200 Unterschriften zur Neuaufnahme der Ermittlungen überreicht wurden.

Für Regisseur Harrich sind neue Hinweise nicht das Hauptanliegen. Er will mit dem Spielfilm einen Denkanstoß bieten darüber, wie mit rechter Gewalt in Deutschland umgegangen wird. Ein Thema, das nicht zuletzt durch die NSU-Mordserie nach wie vor aktuell ist. Auch Chaussy sieht Parallelen zwischen beiden Fällen rechter Gewalt. Mit einem Unterschied: Im Fall der NSU-Morde werde die "Wahrnehmungsstörung" mittlerweile von der Politik aufgearbeitet. Eine solche Aufarbeitung wünscht er sich nun auch zum Oktoberfest-Attentat.

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