Dokuserie:Außer Form

The New Yorker Presents

Auch Paul Giamatti als Großschriftsteller Balzac im 50-Tassen-Kaffee-Selbstversuch bringt The New Yorker Presents nicht richtig in Fahrt.

(Foto: Jessica Miglio)

Die Amazon-Produktion "The New Yorker Presents" soll die kultivierte Sperrigkeit des US-Intellektuellen-Magazins auf den Bildschirm übertragen. Doch sich dabei treu zu bleiben, ist gar nicht so einfach.

Von Jörg Häntzschel

Woche für Woche geschieht überall in den USA etwas Erstaunliches. In Hunderttausenden von Briefkästen liegt ein Heft, dessen Inhalt aus einem anderen Jahrhundert zu stammen scheint. Dem 20., wenn nicht gar dem 19. Es ist der New Yorker, das Magazin, das kaum Bilder enthält, dafür lange Texte - zu nicht selten abgelegenen Themen wie der Gesundheitsversorgung im Himalaya oder der Tunnelbau-Kunst des mexikanischen Sinaloa-Kartells. Oft genügt eine U-Bahnfahrt nicht, sie zu lesen, man braucht noch den halben Abend. Doch die Mühe lohnt sich fast immer. Der New Yorker kommt noch immer ohne Ranschmeiße und Marktschreierei aus; seine Unaufgeregtheit, die ihm nicht immer zu Unrecht als snobistisch angekreidet wurde, gehört heute zu seinen größten Qualitäten. Der Ton, die Gestaltung, die Cartoons, all das gibt es nirgendwo sonst.

Statt sich modern zu geben, beharrt der New Yorker auf seiner Tradition, statt sich anzupassen, kultiviert er seine Manierismen. Ganz zu schweigen von der gleichbleibend hohen Qualität. Kein anderes Blatt in Amerika, vielleicht weltweit, investiert derart viel in Recherche. Als der New Yorker vor ein paar Jahren den kalifornischen Restaurantkritiker Jonathan Gold porträtierte, ging der Autor 13 Mal mit ihm essen. Lawrence Wright, einer der bekannten Autoren, schreibt oft nur einen einzigen Artikel im Jahr. Aber der hat es dann in sich. Deswegen wächst mitten in der Printkrise die Auflage. Mehr als eine Million Menschen haben den New Yorker abonniert.

Doch ausruhen kann sich David Remnick, seit 17 Jahren Chefredakteur, nicht. Schon deshalb, weil der Altersdurchschnitt der Leser stetig steigt, zur Zeit liegt er bei 50 Jahren. Wie also findet er neue Leser für das Blatt, ohne dessen kultivierte Sperrigkeit aufzugeben? Indem er es mit anderen Mitteln ins Gespräch bringt. Das ambitionierteste dieser Projekte ist die gemeinsam mit Amazon produzierte Serie The New Yorker Presents.

Das Konzept: die typische Mischung aus ironischen Vignetten, Kulturthemen, Begegnungen mit Sonderlingen und Spezialbegabungen und politischen Analysen in ein Fernsehformat zu übersetzen. Und dabei dem Ton, der Haltung und den Ansprüchen des gedruckten Hefts treu zu bleiben. Keine leichte Übung.

In den ersten Folgen funktioniert das auch nur selten. Am packendsten ist die Reportage des New Yorker-Autors Lawrence Wright und des Dokumentarfilmers Alex Gibney (dessen Firma die Serie produziert). Meisterhaft präzise erzählen sie, wie die CIA dem FBI kurz vor 9/11 gezielt Informationen vorenthielt, mit denen sich die Anschläge möglicherweise hätten verhindern lassen. Ebenso großartig ist - in einer späteren Folge - Jonathan Demmes Porträt des Biologen Tyron Hayes und seines Kampfs gegen die Pestizidlobby.

Die Beiträge lassen den Zuschauer meist ratlos zurück, die Zeit reicht nur zum Anreißen vieler Themen

Doch die meisten anderen Beiträge - sie sind mal eine, mal 15 Minuten lang - lassen den Zuschauer ratlos zurück. Daran vermag auch die äußerst geschmackssichere Gestaltung von den Credits bis zu den Bildern nichts zu ändern. Oft reicht die Zeit nur, um das Thema anreißen, so im kurzen Film über das Hotel und Casino The Revel in Atlantic City, das zwei Milliarden Dollar Baukosten verschlang, dann aber nach nur zwei Jahren bankrottging und nun leer steht. Mit Mühe gelingt es noch, ein paar Sätze zur Geschichte dieses Las Vegas der Ostküste unterzubringen, dann wird einem der noch halb volle Teller weggerissen.

Und eine Begegnung mit der Performance-Celebrity Marina Abramovic vor laufender Kamera gerät so betulich und schwülstig, dass man unters Sofa kriechen will.

Wirklich befremdend aber ist der Beitrag zu zwei jungen Rodeo-Reitern, darunter ein vielleicht sechsjähriger Junge. Seelenruhig hält die Kamera auf seine gefährlichen Stürze und sieht zu, wie er, weinend im Staub liegend, vom eigenen Vater als "Weichei" beschimpft wird. Dass der den Jungen mit Geld besticht, immer wieder aufzusteigen, wird ebenso wenig kommentiert wie die Tatsache, dass der Vater auch das Preisgeld einstreicht. Die Anschaulichkeit der Bilder geht auf Kosten von Einordnung und Haltung. Das erlebt man beim Lesen des gedruckten New Yorker nie.

Auch mit den Humor-Einlagen tut sich die Serie schwer. Für eine davon hat der New Yorker keinen Geringeren als den Schauspieler Paul Giamatti engagiert. Doch das Filmchen, in dem der mit Latexbacken und Perücke als Balzac verkleidet alle 50 Tassen Kaffee trinkt, die der französische Großschriftsteller angeblich täglich brauchte, kommt nicht vom Boden.

Mehr Raum hätte man hingegen den Blicken hinter die Kulissen der Zeitschrift widmen sollen. Mal können wir zuhören beim Telefonat eines der legendären Factchecker mit einem Autor, mal gewährt die Kamera einen Blick ins Archiv. Und in jeder Folge erleben wir im Zeitraffer die Genese eines Cartoons. Doch diese Making-of-Segmente enden, bevor sie angefangen haben.

Dahinter steht die diffizile Dialektik dieses Unternehmens - und die der anderen Brand Extensions: die Website, die längst ein Eigenleben entwickelt hat, das New Yorker Festival und die New Yorker Radio Hour, eine wöchentliche Radiosendung, die Chefredakteur Remnick selbst moderiert. Sie alle helfen, die Marke bekannter zu machen, andererseits droht man dabei den Fokus zu verlieren und den eigenen Mythos über Gebühr zu beanspruchen.

Dank Brand Extensions tanzen New Yorker-Autoren auf vielen Hochzeiten - und werden zu Stars

Bislang umschifft Remnick dieses mögliche Dilemma geschickt. Jede Plattform bietet andere Möglichkeiten: Das Radio ist ideal für Interviews mit Prominenten, das New Yorker Festival macht die Zeitschrift mit der Sektion "Talk of the Town" selbst zum Stadtgespräch - und die eigenen Autoren zu Stars. Mit der Amazon-Serie wiederum profitiert man nicht nur von der Markt- und Marketingmacht des Online-Giganten, sondern kann auch ein weiteres Medium ins Portfolio aufnehmen: bewegte Bilder - und die sind bekanntlich leichter verkäuflich als 17-Seiten-Geschichten.

Die Hochzeiten, auf denen New Yorker-Autoren heute tanzen, sind so zahlreich, dass das Berufsbild sich erheblich verändert hat. Joseph Mitchell, einer ihrer Vorgänger, ist berühmt dafür, von 1964 bis 1996 täglich in die Redaktion gekommen zu sein, ohne in diesen 32 Jahren einen einzigen Artikel veröffentlicht zu haben. Diese Zeiten sind definitiv vorbei.

The New Yorker Presents, von Dienstag an bei Amazon Prime abrufbar.

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