Dokumentation:Neue Heimat Goslar

Das Schicksal der Kinder von Aleppo

Syrien im Herzen: die Familie Qasmo aus Aleppo.

(Foto: Alina Emrich/ZDF)

"Das Schicksal der Kinder von Aleppo" ist ein großartiger Film - vor allem wegen der klugen Mädchen, die darin vorkommen.

Von Sonja Zekri

Es ist ja nicht so, als gäbe es keine Filme über Flüchtlinge, auch sehr gute, aber manche Werke verdichten die Schicksale von Tausenden, den Witz, die Tragik so modellhaft, dass unwillkürlich der Gedanke aufkommt: Müsste man nur eine Familie vorstellen, es wäre diese.

Eine solche Familie hat der Fotograf und Regisseur Marcel Mettelsiefen in Aleppo gefunden - und dann jahrelang begleitet. Es ist die Familie von Hala Qasno und ihrem Mann, der anfangs der Grund ist, warum sie mit ihren vier Kindern überhaupt in den Ruinen aushält - ihr Mann kämpft mit der Freien Syrischen Armee gegen Assad -, und später der Grund, warum sie flieht: Ihr Mann wurde vom sogenannten Islamischen Staat verschleppt.

Danach gießt Hala weiterhin jeden Morgen zwei Tassen Kaffee ein, aber sie trinkt ihn allein. Und als sie sich eines Tages entschließt, alles hinter sich zu lassen und nach Deutschland zu fliehen, da sind dieses Ritual und ihr Handy mit den Fotos ihres Mannes das Einzige, was ihr geblieben sind. Die Kinder sind das Wunder dieses Films, die klugen, illusionslosen kleinen Mädchen Farah und Sara, in deren tellergroßen Augen sich der Krieg spiegelt. Sie toben mit Spielzeuggewehren durch die Ruinen, und einmal - das ist der gespenstischste Moment - spielen sie "Islamischer Staat": Eine verkleidet sich schwarz bis zu den Augen, eine andere wird enthauptet. Ganz spielerisch. Zugleich aber sind sie diejenigen, die die Hoffnung, das Leben schlechthin verkörpern, die noch auf der Flucht über die Türkei und den Balkan lachen können, die sich in der Schule in ihrer neuen Heimat Goslar im Handumdrehen zurechtfinden, Deutsch lernen, Freunde finden, Syrien im Herzen tragen, aber doch ganz zweifellos und sehr erleichtert in Deutschland angekommen sind. Mettelsiefen - und jene anderen Kollegen, die die Familie manchmal an seiner Stelle in Syrien gedreht haben - zeigt zwei kleine Kraftpakete, verwundet, aber ungebrochen.

Ganz anders gehen die älteren Geschwister, Hammoudi, der Sohn, und Helen, seine Schwester, mit der neuen Situation um, und doch, auch diese wie aus dem Lehrbuch für Integrationsrisiken: Helen legt das Kopftuch ab, geht Eislaufen und interessiert sich für Jungs. Hammoudi liest den Koran und fremdelt erkennbar.

Wirklich herzzerreißend aber ist das Schicksal der Mutter, die nicht vergessen kann, und doch neu anfangen muss, weil sie weiß, dass sie ihre Kinder nicht für den Krieg leiden lassen darf. Als sie zum ersten Mal einen Blick auf die neue Heimat wirft, murmelt sie in sich hinein: "Nicht ein zerbombtes Haus." Manchmal schicken Wohlmeinende aus Syrien ihr Bilder von Leichen, dann vergleicht sie Nasenlöcher und Haarfarbe, nein, wahrscheinlich, hoffentlich, ist der Tote nicht ihr Mann.

Der erste Teil von Mettelsiefens Film, der in Syrien und der Türkei spielt, hat viele Preise bekommen, eine Gesamtfassung soll bald in die Kinos kommen. Nun zeigt das ZDF eine Kurzfassung - ein Film, der auf eine sehr wissende, fast weise Art lebensfroh ist.

Das Schicksal der Kinder von Aleppo - Neue Heimat Deutschland, ZDF, Donnerstag, 22.30 Uhr.

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