Dokumentarfilm:Selbst ist die Dame

Lesezeit: 2 min

Oum Kalthoum war eine Diva in Ägypten, noch heute wird sie verehrt. Ein Film versucht nun, die 1975 gestorbene Sängerin einem westlichen Publikum nahezubringen.

Von Sonja Zekri

Es war das arabische Katastrophenjahr 1967, Ägypten war tief getroffen durch die Niederlage im Sechstagekrieg, als Oum Kalthoum zwei Konzerte in Paris gab. Mit Leichtigkeit füllte sie das Olympia, die gesamte arabische Diaspora strömte zusammen, drängte sich vor der Absperrung. El-Sitt, die Dame, war schon über sechzig, mit Dutt, Schmetterlingsbrille und Tuch in der Hand ikonografisch fertig modelliert. Sie sang bis drei Uhr morgens, orientalische Lieder von der Liebe und vom Verlust, darunter "Al-Atlal", die Trümmer. Es handelte von den Ruinen einer Beziehung, aber jeder begriff: Sie sprach von den Ruinen ihres Landes. Es war das erste und letzte Mal, dass sie im Westen auftrat.

Die Diva von Kairo - Oum Kalthoum heißt der sehr sehenswerte Dokumentarfilm von Xavier Villetard über die 1975 gestorbene Sängerin. Er steht vor der Herausforderung, dem westlichen Publikum eine Künstlerin nahezubringen, die zwar Maria Callas oder Bob Dylan ein Begriff war, die hierzulande aber nur Eingeweihte kennen. Dabei sind ihr identitätsstiftender Magnetismus und ihre künstlerische Kraft in der arabischen Welt ohne Beispiel. In Kairo spielen Marionetten-Theater ihre Konzerte, ein Museum zeigt ihre Accessoires. Eine Unsterbliche. Eine Unbekannte.

Villetard nähert sich dieser Aufgabe ziemlich geschickt, indem er Weggefährten und Musiker auftreten lässt, die das Geheimnis ihrer Musik erklären, die ungeheure Bandbreite ihrer Stimme, eine Improvisationskunst, die das Publikum in Raserei trieb. Im Arabischen gibt es für diese Ekstase sogar einen eigenen Begriff: tarab - ein Zustand, den sie jahrzehntelang bei jedem Konzert erreichte.

Die Stationen ihres Lebens sind arabische Musikgeschichte: ihre Geburt 1904 in einem Dorf im Nildelta; die Entdeckung durch ihren Vater, einen Imam, der für Geld sang, ihr Talent entdeckte und mit ihr auftrat; die männliche Kleidung, die sie trug, um ihren Ruf zu schützen und die sie erst in Kairo ablegt. Sie sang vor dem König, sie sang in Nachtclubs, in neuartigen Medien wie Radio und Kino, und nachdem die Monarchie gestürzt war, sang sie auch für Präsident Gamal Abdel Nasser.

Sie erweiterte klug den Spielraum dessen, was einer Frau in ihrem Land damals möglich war

Mit ihm, Ägyptens autokratischem Volksliebling, verband sie eine respektvolle, wenn auch pragmatische Beziehung: Beide beglaubigten und feierten den Patriotismus und die Volksnähe des jeweils anderen. Nach dem Sechstagekrieg forderte sie die Ägypterinnen auf, ihren Schmuck zu verkaufen, um die zerstörte Armee wiederaufzurüsten. Ihre Auftritte in Paris und später im Maghreb dienten einzig dem Ziel, Geld für Ägyptens Militär zu sammeln. Villetard erzählt es im Ton zustimmender Bewunderung, was bei allem Verständnis für die geschlagene Nation ein wenig befremdet. Es war das Ergebnis einer sorgfältigen Karriereplanung, dass die politische Persönlichkeit von der Künstlerin schließlich nicht mehr zu trennen war.

Auf denkbar klügste Weise erweiterte sie den Spielraum dessen, was einer ägyptischen Frau möglich war: Führte ihr männliches Orchester sanft, aber unerbittlich, nutzte die Anbetung von Musikern, um sie zu Höchstleistungen anzutreiben, kleidete sich konservativ, aber ermunterte Frauen, bei ihren Konzerten kein Kopftuch zu tragen. Nur ihre Ehelosigkeit konnte sie nicht durchsetzen. Villetard verschweigt die Gerüchte, dass die "Dame" Frauen liebte, berichtet aber von ihrem Ehevertrag, der den Zusatz "Das Recht der Dame" enthielt: Sie durfte sich scheiden lassen.

Villetard zeigt das Porträt einer Künstlerin mit eisernem Willen und enormem Talent. Und wenn am Ende ein Rest Fremdheit bleibt, dann ist das kein Unglück. Entgegen den Klischees lässt sich selbst große Kunst nicht überall auf der Welt vermitteln und genießen. Das macht ja gerade ihren Reichtum aus.

Die Diva von Kairo - Oum Kalthoum, Arte, 21.45 Uhr.

© SZ vom 21.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: