Digital-Debatte bei "Hart aber fair":Talken bis der Zahnarzt kommt

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"Handy an, Hirn aus - wie doof machen uns Apple und Co.?", fragte Plasberg. Drunter machen es Talkshows im öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute nicht mehr, wenn es um das Internet geht. (Foto: dpa)

Killerspiele, Privatsphäre und Anonymität im Internet - die eigentlich wichtigen Themen der Digital-Debatte hakt der Moderator schnell ab. Statt Experten kommen vor allem Bedenkenträger und Zweifler zu Wort. Wichtige Debatten anzustoßen, das schaffen erfahrene Fernsehmacher immer noch nicht.

Eine TV-Kritik von Pascal Paukner

Möglicherweise hätte die Redaktion noch einen Zahnarzt einladen sollen. Einen Zahnarzt, der widersprechen hätte können. Vielleicht wäre die Diskussion dann anders verlaufen. So aber konnte Frank Plasberg zu Beginn seiner Fernsehsendung "Hart aber fair" erst einmal behaupten, was er wollte.

Jeder kenne eine Familie, in der der Griff zum Smartphone morgens selbstverständlicher sei als der zur Zahnbürste, behauptete er etwa. Zwar gibt es keinerlei Beleg für die Annahme, die Digitalisierung habe sich irgendwie auf die Zahngesundheit ausgewirkt, aber so ist das eben. So beginnen in Deutschland Fernsehdiskussionen über das Internet.

"Handy an, Hirn aus - wie doof machen uns Apple und Co.?", fragte Plasberg. Drunter machen es Talkshows im öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute nicht mehr, wenn es um das Internet geht. Wer sich aber angesichts solcher Zuspitzungen auf Krawall- und Radau-Talk gefreut hatte, irrte. Abgesehen vom Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, der Smartphones wahlweise als "elektronische Nabelschnur", "elektronische Fußfessel" oder "Überwachungsdrohne" bezeichnete und meinte, zwischen Amokläufen und Killerspielen einen Zusammenhang herstellen zu können, verlief die Diskussion überraschend vorhersehbar.

Da ist etwa die Schauspielerin Gesine Cukrowski, der die Rolle der übervorsichtigen Mutter zukommt, die ihr Kind zum Schutz vor den digitalen Gefahren auf die Waldorfschule schickt, "weil dort eben fast keiner einen Fernseher hat". In ihrer Ablehnung unterstützt wird sie von Paula Bleckmann. Die Medienpädagogin vertritt die Meinung, es genüge, wenn Kinder im Alter von 15 Jahren ihr erstes Handy besitzen, weil ansonsten die Gefahr der Abhängigkeit zu groß sei.

Ranga Yogeshwar, Lieblingswissenschaftler des deutschen Fernsehens, sieht das als Vater von vier Kindern anders. "Wir dürfen nicht ein Bild zeichnen, bei dem es die einen Kinder gibt, die Handys nutzen und dafür keine Sandburgen bauen. Und die anderen, die Eurythmie tanzen, Sandburgen bauen und dafür keine Handys benutzen. Ich glaube die Wirklichkeit ist tatsächlich dazwischen", sagt Yogeshwar.

Ein "kritisch-asketischer Umgang" mit den Medien

Er repräsentiert den Teil der Bevölkerung, der die Neuheiten schätzt, der aber auch die Gefahren abzuwägen weiß, während der Berliner Pirat Christopher Lauer den Fortschrittsoptimisten geben darf. Eine Rolle, die Lauer bei solchen Diskussionen ständig zukommt und die er inzwischen überzeugend ausfüllt. Auch weil ihm jemand gesagt haben muss, dass Ironie als Stilmittel am besten funktioniert, wenn man es nicht ständig einsetzt.

So wabert die Diskussion dann eine ganze Weile vor sich hin. Wohl auch, weil Kindeserziehung unabhängig von Internet eine Sache des sozialen Milieus ist. Da werden Befürchtungen geäußert, ein "kritisch-asketischer Umgang" mit den Medien angemahnt. Der Lehrervertreter darf noch ein wenig über den Verfall der Sprache durch SMS lamentieren. Wäre der Pirat nicht gewesen, hätte die Sendung ebenso also auch vor einem, zwei oder vor fünf Jahren im deutschen Fernsehen laufen können. Immerhin kann Lauer beim Kampf gegen Hassmails helfen: "Nicht mal ignorieren", rät er.

Viele der Fragen, die in der Sendung zur Sprache kommen, sind in der digitalen Öffentlichkeit längst viel eingehender diskutiert worden, als dass es in der Diskussionsrunde den Eindruck erweckt. Doch statt auf Experten setzen die Talkshow-Redakteure bei Digitalthemen noch immer mehrheitlich auf Bedenkenträger und Zweifler, die wahrscheinlich sogar repräsentativ für die Bevölkerung sind. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Zukunftsdebatten zunächst im englischsprachigen Teil des Internets verhandelt werden.

In der zweiten Hälfte der 75-minütigen Sendung geht es kurzzeitig um Killerspiele, Privatsphäre und Anonymität im Internet. Weil zwischendrin auch noch Einspielfilme, Leserzuschriften und ein Interview mit Moritz Freiherr Knigge zum richtigen Verhalten bei Telefonaten abgehakt werden müssen, kommen diese wichtigen Themen aber viel zu kurz. Noch immer schaffen es erfahrene Fernsehmacher in diesem Land ganz offensichtlich nicht, Debatten von ähnlicher Qualität anzustoßen, wie sie im Internet alltäglich sind.

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