Dieter Hildebrandt im Interview:"Bohlen ist geradezu kriminell blöde"

Spaß beiseite: Kabarettist Dieter Hildebrandt zerpflückt famose Formate des deutschen Fernsehens, adelt Stefan Raab und verrät, wen er für den größten Komiker in Merkels Regierung hält.

Christina Maria Berr und Oliver Das Gupta

Dieter Hildebrandt, Jahrgang 1927, ist der Nestor des deutschen Polit-Kabaretts. Seit mehr als fünf Jahrzehnten piesackt er Volksvertreter - Franz Josef Strauß, Helmut Kohl, aber auch "seine" SPD können ein Lied davon singen. Von der Bühne der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, brachte der gebürtige Schlesier das Kabarett in die Medien - seine legendären Sendungen Notizen aus der Provinz und Der Scheibenwischer gehören zu den Juwelen des deutschen Fernsehens. Im Gespräch mit sueddeutsche.de bewertet Dieter Hildebrandt das, was derzeit über die bundesrepublikanischen Mattscheiben flimmert und verrät, wer ihm von den Comedians von heute ihm am meisten Spaß macht.

Ist kein großer Freund des schwarz-gelben Kabinetts: Dieter Hildebrandt

Ist kein großer Freund des schwarz-gelben Kabinetts: Dieter Hildebrandt

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Hildebrandt, wir wollen über Medien und Kabarett mit Ihnen reden, aber ganz ohne Politik geht es derzeit einfach nicht: Schließlich ist ein Bundespräsident erstmals mitten in seiner Amtszeit zurückgetreten.

Dieter Hildebrandt: Ein Novum auch aus einem anderen Grund: Horst Köhler ist der erste Politiker, der nicht deswegen musste, weil er gelogen hat, sondern weil er die Wahrheit gesagt hat.

sueddeutsche.de: Sie spielen auf Köhlers umstrittene Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr an.

Hildebrandt: So ist es, Stichwort Wirtschaftskriege.

sueddeutsche.de: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff gilt als sicherer Nachfolger - sind Sie zufrieden?

Hildebrandt: Bundespräsident kann fast jeder. Der Mann in Schloss Bellevue darf ruhig ein bisschen langweilig sein.

sueddeutsche.de: Kommen wir zum Kabinett: Welche Gestalt in der schwarz-gelben Regierung bereitet Ihnen besonders viel Freude?

Dieter Hildebrandt: Lustig ist in dieser Regierung niemand. Wenn sich Schwarz-Gelb - ich nenne es Schwelb, das klingt etwas besser - zusammentut, kann offenbar nichts Gutes passieren. Ich weiß nicht, wo der Verstand der Kanzlerin geblieben ist, als sie meinte, mit der FDP könnte man irgendwas erreichen. Mit dieser FDP kann man Golf spielen oder ins Theater gehen und sich anschließend wahnsinnig streiten. Aber regieren kann man mit denen nicht. Aber das wusste man eigentlich immer.

sueddeutsche.de: Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer geben eine Fülle von kabarettistisch verwertbaren Themen vor. Ist Ihnen da nicht nach Frohlocken zumute?

Hildebrandt: Ach was! Immer diese Unterstellung, dass jetzt das Kabarett ganz besonders viel Stoff hätte. Wenn es politisch schlechter geht, gibt es keine besseren Zeiten für Kabarettisten. Wir leiden mit den schlechten Zeiten mit, schließlich gehören wir zu dieser Gesellschaft. Unter den 14 Ministern sind ja nicht einmal sechs Richtige dabei.

sueddeutsche.de: Zählen Sie Angela Merkel dazu?

Hildebrandt: (lachend) Die ist Kanzlerin, die ist gesetzt.

sueddeutsche.de: Guido Westerwelle auch?

Hildebrandt: Wir haben noch nie so einen solchen Komiker gehabt im Kabinett.

sueddeutsche.de: Also doch komisch?

Hildebrandt: Unbewusst komisch. Gerade Leute, denen das passiert, finde ich fürchterlich. Die haben keine Gewalt über Dinge, die sie auslösen. Und die nicht über sich lachen können - und über andere, die ihn komisch finden, auch nicht. Das ist dann der Gipfel der Humorlosigkeit. Der Komiker Westerwelle ist frei von Humor, sobald es um ihn selbst geht. Dem geht etwas ab, was sogar Franz Josef Strauß konnte: Der fand Leute witzig, die ihn komisch fanden.

sueddeutsche.de: Was ist mit dem Innenminister?

Hildebrandt: Den vergesse ich immer. Dabei halte ich von dem sogar etwas. Das ist ein guter Arbeiter, der nicht das Maul aufreißt, sondern die Ohren aufmacht. Den halte ich für einen Richtigen. Normalerweise war ja der, der am unangenehmsten aussah, der Innenminister.

"Raab ist ein gewiefter Hund - ich habe ein bisschen Respekt vor seinen Einfällen"

sueddeutsche.de: Dann gibt es noch den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.

Hildebrandt: Den habe ich hoch zu Ross von seinen Ländereien aufbrechen und mit klirrenden Sporen in das Kabinett hereinreiten sehen. Ich meine, er hat das nötige Äußere für diesen Job. Der ist ja wahnsinnig gepflegt. Wahrscheinlich duscht er zweimal täglich. Und seine Sprache ist so, dass ich anfangs dachte: Ja, geschickt. Dann folgte Guttenbergs erste Rede über Kunduz.

sueddeutsche.de: Die änderte Ihr Bild?

Hildebrandt: Allerdings. Der kann sich kämmen, strähnen und gelen so viel er will: Er redet genau den gleichen Unsinn wie die anderen. Im Grunde genommen ist das ja eine Vorspiegelungssprache. Sie soll uns verschweigen, was passiert. Besonders in den Nachrichten ist das so. Und je kleiner die Mitteilungen werden, umso größer wird das Studio. Und dieser schnieke Moderator, wie heißt er doch gleich?

sueddeutsche.de: Tom Buhrow?

Hildebrandt: Nein, der ist nicht schön. Claus Kleber meine ich.

sueddeutsche.de: Ist der schön?

Hildebrandt: Der ist schön. Ich nenne dieses Studio, das sie ihm gebaut haben, das Kleber-Stadion. Je kleiner die Nachrichten, umso größer wird das Studio. Ich denke mir, wo sind die 3000 Leute, die vor ihm sitzen, just in diesem Moment. Und knurrig, aber lächelnd teilt der Kleber uns mit: gar nichts. Und das in einem riesigen Studio. Es ist inzwischen so, wenn meine Frau sagt: 'Komm, heute journal' - und wenn ich mich dann nicht beeile, ist es schon zu Ende. Alle Sendungen haben Überlänge, nur die Nachrichten werden ständig gekürzt.

sueddeutsche.de: Der einstige 'Mister Tagesthemen', Ulrich Wickert, hat sich ja öffentlich beschwert, dass die Nachrichten keine mehr seien und der Sprachverfall dort enorm ist.

Hildebrandt: Ich gebe ihm vollkommen recht.

sueddeutsche.de: Sie haben ja selbst eigentlich mal eine Nachrichtensendung gemacht: Notizen aus der Provinz.

Hildebrandt: Wenn Sie das so verstehen ...

sueddeutsche.de: Wenn sich schon die Flaggschiffe des deutschen Fernsehens zerlegen, ...

Hildebrandt: ... die Nachrichten sind ja keine Flaggschiffe mehr, sondern Beiboote ...

sueddeutsche.de: Und was sind dann die Flaggschiffe?

Hildebrandt: Der Sport. Und natürlich Volksmusik, Marianne und Michael, alle abnormen Formen des Musikantenstadls.

sueddeutsche.de: Und im Privatfernsehen? Dieter Bohlen und Stefan Raab?

Hildebrandt: Bohlen und Raab würde ich nicht vergleichen. Raab spielt zwei Klassen höher. Und das meine ich nicht erst, seit Lena Meyer-Landrut den Grand Prix gewonnen hat. Raab hat eine gewisse Schlaumeierei in seinen Sendungen. Er ist ein gewiefter Hund. Ich habe ein bisschen Respekt vor seinen Einfällen - und er schlägt sich gut in dieser Branche.

sueddeutsche.de: Und bei Bohlen?

Hildebrandt: Bohlen ist geradezu kriminell blöde. Das basiert auf einem ganz niederen Level - und auf der Tatsache, dass mindestens 90 Prozent der Bevölkerung Schadenfreude empfinden. Und diese Schadenfreude nutzen er und seine Kumpanen aus, indem sie Menschen holen, die man brutal ausnutzt. Den Kandidaten macht man vor, sie könnten Stars werden, aber in Wirklichkeit setzt man auf den gegenteiligen Effekt: Man will sie vor der ganzen Welt bloßstellen und blamieren. Man nimmt Ihnen die Würde, um damit einen Riesenlacher zu erzeugen. Das ist kriminell.

sueddeutsche.de: Die Bohlen-Show erreicht hohe Quote. Zweifeln Sie an all den Menschen, die das gucken?

Hildebrandt: Offen gesagt: Ich bin manchmal ein wenig verzweifelt. Wenn ich Sendungen wie die erwähnte sehe, frage ich mich: Ist das unser Fernsehen? So charakterarm kann Deutschland nicht sein.

sueddeutsche.de: Charakterarm ging es aber doch schon immer an manchen Orten im Land zu. Stammtische sind keine Erfindung des 21. Jahrhunderts.

Hildebrandt: Das stimmt. Und der klassische dumpfe Stammtisch setzt ja auf ähnliche Instinkte wie die Bohlen-Sendungen und der andere Quatsch: Auf Schadenfreude, Ausgrenzung und im übertragenen Sinne Beutelust. Erwin Huber hat einmal in schöner Offenheit gesagt: Wir müssen die Lufthoheit über den Stammtischen wieder erobern. Das ist natürlich brutal offen, aber wahr. Adolf Hitler hat - das ist ein Extrembeispiel - die Menschen dazu verführt, ihre schlechtesten Charakterzüge zu mobilisieren. Und eine von den übelsten Charaktereigenschaften ist die Beutelust. Er hat ja gesagt: Überfallt den Osten, die Polen, die Russen und macht sie euch untertan, reißt das Land an euch. Hasst die Juden, dann kriegt ihr deren Wohnungen und deren Geld. Damit hat er die Deutschen ermuntert, ihre dümmsten und kriminellsten Eigenschaften herauszuholen, um dann Hunderttausende Menschen in Uniformen zu stecken und sie marschieren zu lassen. Das ist ja alles mal passiert, das ist nicht vorbei. Man wird vielleicht andere Uniformen finden.

"Josef Hader? Der ist das Böseste überhaupt"

sueddeutsche.de: Gibt es im Fernsehen überhaupt noch Gutes - oder ist alles Unfug?

Hildebrandt: Nein, natürlich nicht. Es gibt Wissenssendungen und Dokumentationen, deren Informationsgehalt kostbar ist. Es gibt auch sehr kritische Sendungen. Aber wann laufen sie? Nachmittags. Also dann, wenn ich keine Zeit zum Gucken habe - und die meisten Menschen auch nicht.

sueddeutsche.de: Und abends?

Hildebrandt: Gibt es passable Politmagazine. Frontal 21 finde ich sogar hervorragend. Aber sie kommen irgendwie zu Zeiten, in denen ich nicht zum Fernsehen komme.

sueddeutsche.de: Was kommt denn, wenn Sie den Fernseher einschalten?

Hildebrandt: Meistens Werbung. Ich glaube, die verabreden sich jetzt, alle zur gleichen Zeit Werbung zu schalten, damit niemand mehr entkommen kann. Manchmal zappe ich durch fünf Sender - und auf allen kommt Werbung. Ich nehme es ihnen ja nicht übel, weil es ein Instrument zum Geldverdienen geworden ist. Aber, wenn ich mir dann die Werbung anschaue, denke ich jedes Mal: Wir müssen von allen Ländern dieser Erde die schlechteste Fernsehwerbung haben. Sie ist meistens humorlos, primitiv oder schlichtweg schlecht gemacht.

sueddeutsche.de: Und unter Ihren unmittelbaren Kollegen, den Comedians und Kabarettisten?

Hildebrandt: Da gibt es einige hervorragende, Bastian Pastewka etwa. Die besonders guten Kabarettisten können jederzeit auch Comedians sein.

sueddeutsche.de: Lustig sein ist das eine, aber sind Ihre jungen Kollegen auch böse genug?

Hildebrandt: Ja, die von Neues aus der Anstalt. Besonders der Josef Hader, der ist das Böseste überhaupt.

sueddeutsche.de: Der kommt aus Österreich.

Hildebrandt: Im Grunde genommen sollten wir uns den Hader mit dem Alfred Dorfer holen und einbürgern. Solche Leute würden uns gut zu Gesicht und zu Ohr stehen.

sueddeutsche.de: Was ist mit der Nachrichtensatire, der heute show?

Hildebrandt: Sie geht mir nicht ans Gemüt, an den Kopf geht's mir auch nicht und die Eingeweide vermissen den Anreiz für das Zwerchfell.

sueddeutsche.de: Können Sie Talkshows etwas abgewinnen? Dort wird Politik doch andauernd erklärt.

Hildebrandt: Sie sind langweilig, obwohl sie kurioserweise immer noch einigermaßen hohe Einschaltquoten erhalten. Ich habe das Gefühl, dass diese Art den Leuten inzwischen auf die Nerven geht. Politiker, die in Talkshows auftreten, wollen in der Regel Vertrauen gewinnen. Was sie nicht verstehen: So schaffen sie das nicht. Das Vorführen von Politikern, die nichts anderes tun, als immer wiederholen, was sie in anderen Talkshows auch schon gesagt haben, das ist äußerst fade.

sueddeutsche.de: Bei Hart aber fair gibt es ziemlich aggressive Spielchen.

Hildebrandt: Bei Frank Plasberg gibt es manchmal Inseln von Interesse, da merkt man: Hoppala, da geht was los. Aber diese Sendung wird auch langsam in den Sog des Mediokren gezogen. Sie ist auch nicht mehr so gut wie am Anfang. An Plasberg hing ja alles und jetzt gibt er langsam nach, in dem er etwas ins Komische zieht. Das heißt, er will mehr unterhalten als früher. Schade.

sueddeutsche.de: Wie können die Talkshow-Moderatoren die politische Diskussion interessanter machen?

Hildebrandt: Machen wir uns nichts vor: Weder Kerner noch Beckmann oder Maischberger oder wie alle heißen, können etwas anderes tun, als Politikern ein Forum geben, wo sie sich ausbreiten können. Ändern können sie mit diesen Talkshows nichts.

sueddeutsche.de: Die Talkshows sind auch Beiboote?

Hildebrandt: Die Tatsache, dass die Sender nur aufeinander schielen und das gleiche Format in nur unterschiedlichen Bühnenbildern anbieten, zeigt, wie hilflos sie in der Programmgestaltung werden. Das heißt, in den Redaktionen sitzen offenbar lauter Leute, die nach dem Peter-und-Hall-Prinzip auf ihre Posten gekommen sind. Das bedeutet: Jemand zeigt Kompetenz im Job und steigt auf. Auf der zweiten Stufe hat er eine begrenzte Kompetenz, steigt aber weiter auf. Und spätestens auf der dritten Stufe ist die Kompetenz überschritten.

sueddeutsche.de: Und da sitzen Ihrer Meinung nach die Programmmacher?

Hildebrandt: Richtig! Peter und Hall weisen nach, dass wir inzwischen von lauter Leuten regiert werden, die vermutlich ihre Kompetenz überschritten haben. Und gerade in den oberen Etagen der Medien sitzen diese Kompetenzmacher.

sueddeutsche.de: Lassen Sie uns kurz über Medienpolitik sprechen, über die Vorgänge im ZDF mit dem politisch gestürzten Chefredakteur. Die Causa Brender ...

Hildebrandt: Es gehörte ja nicht viel dazu, zu prognostizieren, dass es mit Herrn Brender nicht gut gehen wird - und das aus zwei Gründen.

sueddeutsche.de: Die da wären?

Hildebrandt: Herr Brender gilt als nicht sehr pflegeleicht, vielleicht ist er als Vorgesetzter gar nicht so toll. Aber: Ich finde ihn als Journalisten sehr ehrenwert und ausgesprochen gut und auf diesen Platz passend, was - Grund zwei - manche in der Politik nicht so sehen. Der dafür zuständige Ministerpräsident - ich weiß eigentlich gar nicht, warum er zuständig ist - fand, dass Brender seinen Job zu ernst nimmt. Roland Koch konnte es nicht zulassen, dass ein liberal gestrickter Mensch wie Brender auf diesem Posten bleibt. Sie müssen Verständnis haben: Der möchte selbstverständlich einen seiner Leute auf dem Platz haben. Der Stoiber hat sich ja sogar um einzelne Redakteursposten gekümmert.

sueddeutsche.de: Sie wittern Vetternwirtschaft?

Hildebrandt: Nepotismus ist ja eigentlich eine rein bayerische Angelegenheit, weil die restlichen Deutschen eigentlich nicht geschickt genug dafür sind. Es war ja ein geschickter Zug, die bayrische Charaktereigenschaft zur Folklore zu ernennen. Das macht den Bayern so komisch und angreifbar, was er aber weiß. So gesehen ist Koch fast ein bisschen bayerisch.

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