"Die Promi-Darts-WM" auf Pro Sieben:Willkommen zu den Bierbauch-Games

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Sie gewannen bei der "Promi-Darts-WM" von Pro Sieben: Der niederländische Darts-Spieler Michael van Gerwen (links) und Ex-Fußballprofi und Nun-Wrestler Tim Wiese (Archivfotos). (Foto: dpa)

Selten läuft eine Sendung so aus dem Ruder wie "Die Promi-Darts-WM" auf Pro Sieben. Die professionellen Pfeile-Werfer sollten Schmerzensgeld erhalten - die Zuschauer auch.

TV-Kritik von Hans Hoff

"Das ist nicht so ein Silikontitten-Event, das sonst bei Pro Sieben stattfindet", diagnostiziert Tim Mälzer um kurz nach zehn am Samstagabend sehr treffend. Ja, da hat er recht, der Promikoch. Es ist schlimmer. Es geht diesmal im Kommerzkanal nicht um falsche Brüste oder sonstige zweifelhafte Attraktivitätssteigerungsmaßnahmen. Vielmehr wird auf sehr dilettantische Weise kultiviert, was kaum ein Fitness-Magazin auf dem Programmzettel hat: Willkommen zu den Bierbauch-Games.

Männer, die in ihrer Mehrzahl nicht hundertprozentig den gängigen Schönheitsidealen des Senders entsprechen, sind die Helden beim Darts, dem einstigen Kneipensport, der es längst in die großen Hallen und vor ein Millionenpublikum geschafft hat. Es ist der Sport, bei dem man nicht zwingend sportlich aussehen muss.

Darts-WM
:Nur ein Flitzer irritiert van Gerwen

Ein Störenfried lässt den Niederländer im Finale der Darts-WM nur kurz wanken. Ein Anruf nach seinem Sieg zeigt, welchen Stellenwert die Sportart mittlerweile erlangt hat.

Von Christopher Gerards

Pro Sieben hat die besten internationalen Dartsprofis nach Düsseldorf eingeladen, also etliche jener Männer, die noch vor ein paar Tagen in London um die Weltmeisterschaft kämpften. Der Kampf dort war schwer genug, weil der Wettbewerb um den kalkulierten Abstieg von 501 auf null Punkte eine Sache der ganz großen Konzentration ist.

Die ganz große Konzentration ist aber in Düsseldorf nicht gefragt, denn für das sogenannte "Promi-Darts-WM" bindet Pro Sieben den internationalen Profis jeweils einen bekannten Verhaltensauffälligen aus dem hiesigen Mediengeschäft ans Bein. Daher hätte man alles Verständnis der Welt, wenn das Finanzamt das Honorar für die Dartsprofis nach Ansicht dieser Schau als Schmerzensgeld anerkennen würde.

Sportliche Leistungen? Völlig nebensächlich

Schließlich wird schon direkt zu Beginn deutlich, dass es um alles geht, aber nicht um Sport. Es herrscht im trunkenen Publikum eine Stimmung, auf die man am Ballermann neidisch wäre. Es gibt Gebrüll, Gegröle und dazu knalllaute Musik, flankiert von hupfdohlenden Cheerleadern und Lichteffekten, die eine plötzliche Ohnmacht wie eine wünschenswerte Option erscheinen lassen.

Neben den weltmeisterlichen Profis sind berüchtigte Gestalten angetreten, die solch eine Öffentlichkeit offenbar nötig haben. Zwei TV-Köche sind bei dieser Sportsimulation ebenso mit von der Partie wie drei ehemalige Fußballer, zwei Sportmoderatoren und eine Volksmusik-Sängerin. Eigentlich sollte auch Reiner Calmund Pfeile werfen, aber er ist wegen einer Schleimbeutelentzündung indisponiert. Das hindert ihn indes nicht, seine übliche Spruchmischung in irgendein Mikrofon abzulassen.

Natürlich können die meisten Promis in Sachen Darts so gut wie nichts - und gestalten ihre Würfe nach Art eines Zufallsgenerators. Im Prinzip produzieren sie vornehmlich großen Bull's-Eye-Shit, aber der Sender müht sich trotzdem immer wieder penetrant, das Ganze als Sport zu verkaufen.

Leider vergisst er über diese wahrheitswidrige Behauptung, dass die Angelegenheit auch im Fernsehen übertragen wird, dass also die Stimmung in der Halle nicht gleichzeitig für eine faszinierende Fernsehsendung steht. Die braucht nämlich etwas mehr als nur ein paar Kameras und Mikrofone in einer bahnhofsartigen Halle mit vielen betrunkenen Menschen. Man muss sich schon auch ein bisschen mühen, den Bildern und dem Ton ein wenig Struktur zu geben.

Daran hat aber in Düsseldorf wohl niemand gedacht, denn Ton-, Licht- und Bildarchitektur sind eine mittelschwere Katastrophe. Besonders zu Beginn dominiert ein Lärm, der dem gleicht, was man von aus dem Ruder gelaufenen Junggesellenabschieden kennt, bei denen akustische Pöbelei gerne mal ins vollends Geschmacklose abdriftet.

Als Zuschauer hat man nichts dagegen, dass da vor Ort Stimmung herrscht, aber ein guter Tontechniker schiebt solchen Alarm normalerweise mit viel Gefühl in den Hintergrund, wo er nicht weiter stört. Ansatzweise gelingt das an diesem Abend mal kurz nach drei Stunden, als die Grölefixe im Publikum langsam ermüden.

Da fokussiert dann hier und da die Kamera sogar mal angemessen auf die jeweiligen Werfer und lässt sekundenweise ahnen, was die Faszination von Darts-Übertragungen normalerweise ausmacht. Im besten Fall grenzen die Bilder nämlich alles Nebensächliche aus und tun so, als gebe es in just diesem Augenblick nicht wichtigeres als die Frage, wo der Pfeil denn nun landet.

Zum multiplen Organversagen beim Sender passt, dass die Moderationen von Joko Winterscheidt vor allem den Wunsch wecken, sein Partner Klaas Heufer-Umlauf möge rasch auftauchen und irgendwie disziplinierend eingreifen. Mit zunehmender Sendezeit verliert Winterscheidt nämlich immer häufiger die Kontrolle über das Geschehen auf der Bühne, und das Saalpublikum hat er ohnehin schon früh aus dem Griff gelassen.

Eine Sendung, die völlig aus dem Ruder läuft

Als um viertel nach eins in der Nacht der amtierende Darts-Weltmeister Michael van Gerwen und der muskelprotzende Fußballveteran und Neu-Wrestler Tim Wiese als Sieger feststehen, ist aber auch das schon komplett egal.

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Lange schon ist keine Veranstaltung mehr derart aus dem Ruder gelaufen, aber um geordnete Verhältnisse geht es offensichtlich ohnehin nicht. Vielmehr darum, diese mehr als fünfstündige Dauerwerbesendung mit neun insgesamt 67-minütigen Werbepausen ordentlich in die Länge zu ziehen. Gutes Fernsehen sieht auf jeden Fall anders aus.

Aber vielleicht war das ganze Grauen ja auch nur eine sehr besondere Aktion der Sendergewaltigen, um das Restprogramm von Pro Sieben besser aussehen zu lassen. Gegen diese Marathon-Bildschirmverschandelung wirkt schließlich selbst die 47. Wiederholung der "Big Bang Theory" wie ganz große Fernsehkunst.

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