Die ORF-Wahl:Das ist Österreich

Lesezeit: 4 min

Bei der Kür des ORF-Generaldirektors geht es weniger um Konzepte als um Partei-Interessen. Falls der ÖVP-Kandidat am kommenden Dienstag gewinnt, könnte das einen politischen Erdrutsch auslösen.

Von Cathrin Kahlweit

Eigentlich wären die "Staatskünstler", wie sich die österreichischen Kabarettisten Florian Scheuba, Robert Palfrader und Thomas Maurer nennen, gern im Dreierpack Generaldirektor des ORF geworden - also das, was in Deutschland unter Intendant firmiert. Sie hätten, hätte man ihnen denn eine reelle Chance gewährt, dem 35-köpfigen Stiftungsrat, der den obersten Senderchef am kommenden Dienstag wählen wird, erst einmal erklärt, was im ORF alles schiefläuft: zu viel politischer Einfluss, zu wenig österreichische und Eigenproduktionen, zu viel Geld, das absurderweise aus dem Budget des öffentlich-rechtlichen Senders in die Haushalte der Bundesländer transferiert wird und mal zur Brauchtumspflege, mal für die Kriegsgräberfürsorge, mal für die Kulturförderung, mal für völlig kulturferne Zwecke genutzt wird.

Nach dem zweifelsohne furiosen Auftritt, so der geniale Plan, hätten sich die Stiftungsräte spontan an ihr Gewissen und ihre Unabhängigkeit erinnert. Und hätten das kritisch-reformistische Triumvirat gekürt, anstatt - gemäß der üblichen internen Absprachen und Aufträge aus den Parteizentralen - entweder den "roten" Kandidaten und amtierenden Intendanten Alexander Wrabetz wiederzuwählen, oder den "schwarzen" Kandidaten, den kaufmännischen Direktor des ORF, Richard Grasl, zu küren. In einer ersten Amtshandlung hätten die Neuen den politisch besetzten und politische Interessen austarierenden Stiftungsrat schlicht - abgeschafft.

Schon jetzt besteht kein Zweifel daran, dass dieses Szenario fiktiv bleiben wird. Scheuba berichtet, nur zwei Stiftungsräte hätten mit den Staatskünstlern über ihre Vorstellungen sprechen wollen, keiner habe sie zu einer Präsentation vor dem Rat eingeladen. Offenbar sei ihre Kandidatur als reine Satire abgetan worden.

War sie natürlich auch. Aber ihre Meinung wollten sie sagen - über den ORF und darüber, wie sich die gesellschaftlichen Entwicklungen in Österreich in Personal und Programm des Senders spiegeln. Nun haben sie beschlossen, entsprechend zu reagieren: Egal, wie die Wahl ausgeht, sie werden sie anfechten. Man habe "Hinweise aus der Bevölkerung bekommen, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen wird", so Scheuba mit einem Augenzwinkern - schließlich hatte die FPÖ erst kürzlich erfolgreich die Wahl des Bundespräsidenten angefochten.

Kleinstadt über der Großstadt: Wer regiert künftig im ORF-Zentrum auf dem Wiener Küniglberg? (Foto: imago/SKATA)

Zwar haben sich noch andere Bewerber gemeldet, aber letztlich wird die Wahl zwischen Wrabetz und Grasl entschieden werden. Traditionell wird der ORF parteipolitisch besetzt; die Mitglieder des Gremiums werden von Regierung, Parteien, Bundesländern, Publikumsrat und Betriebsrat entsandt und sind mit wenigen Ausnahmen in parteipolitischen "Freundeskreisen" organisiert. Erfahrungsgemäß gibt es wenige volatile Stimmen, dazu sollen diesmal die Betriebsräte gehören, die früher en bloc abstimmten - je nachdem, welcher Bewerber ihnen was versprach. FPÖ-Vertreter, die zuletzt den roten Kandidaten mitgewählt hatten, geben sich jetzt zurückhaltend: Siegen werde, wer das bessere Konzept vorlege.

Wrabetz, SPÖ-Mitglied, war erst kaufmännischer Direktor im Sender gewesen, bevor er 2006 zum Generaldirektor gewählt wurde. Damals setzte er sich, eher überraschend, gegen seine in der ÖVP Niederösterreich sozialisierte Vorgängerin Monika Lindner durch, indem er auch die Freundeskreise der Rechten, FPÖ und BZÖ, auf seine Seite ziehen konnte. Er gilt als verlässlich, aber uninspiriert. Schlagzeilen machte er, als er einen zum SPÖ-Freundeskreis gehörenden Stiftungsrat ohne Ausschreibung zum Büroleiter machen wollte; die Mitarbeiter des ORF rebellierten jedoch vehement.

Nun wird der 56-jährige selbst von einem Mann herausgefordert, der in der ÖVP Niederösterreich groß geworden ist. Richard Grasl, wie Wrabetz eher ein Mann des Managements als des Programms, hat mit Unterstützung des mächtigen Landeshauptmannes Erwin Pröll Karriere gemacht. "Dabei ist er schlau und sozial kompetent, der hätte es gar nicht nötig gehabt, sich so eindeutig von einem Parteiticket abhängig zu machen", sagt einer, der - wie alle Gesprächspartner im ORF - nicht namentlich zitiert werden will.

1 / 1
(Foto: ORF)

Alexander Wrabetz, 56, promovierter Jurist, ist seit 2006 ORF-Generaldirektor. Das SPÖ-Mitglied war zuvor kaufmännischer Direktor der öffentlich-rechtlichen Sendergruppe. (Foto: Ramstorfer/ORF)

Richard Grasl,43, studierter Handelswissenschaftler, ist seit 2009 ORF-Finanzdirektor. Der ÖVP-nahe Journalist war zuvor Chef des Landesstudios Niederösterreich. (Foto: Hochmuth/APA)

Anders als bei früheren Wahlen, heißt es im Haus, brenne die Belegschaft diesmal nicht für oder gegen einen Kandidaten: "Bei Wrabetz weiß man, was man hat, und das ist mau und lau. Von Grasl hört man, dass gerade er mehr Mitbestimmung und keine Parteihörigkeit will - aber man weiß nicht, ob man ihm das glauben soll."

Die Redaktion des ORF selbst ist im vergangenen Jahrzehnt unabhängiger geworden, selbstsicherer. Man lasse sich schon lange nicht mehr jede politische Intervention gefallen, heißt es. Wrabetz sei zugutezu-halten, dass er sich im Kleinen wenig eingemischt habe. Aber im Großen, im Hintergrund, da spielten die Parteien natürlich mächtig mit: bei der Besetzung von Landesstudios, bei der Belohnung qua Job, bei austarierten Personaltableaus: Kriegst du hier einen, will ich da einen. Das, sagt einer, der es wissen muss, "das ist Österreich".

Beide Männer touren seit Monaten durch die Parteibüros, deren Vertreter sie für ihre Kür brauchen, um ihre Ideen vorzutragen. Offiziell nämlich geht es natürlich um Konzepte, nicht um Parteitickets, und so hat Wrabetz ein 119-Seiten-Werk vorgelegt, in dem er vor allem die Trimedialität, also die Symbiose von TV, Funk und Online, sowie Social-Media-Auftritte gefördert sehen und einen Chief Digital Officer inthronisieren will. Jeder Kanal soll einen "Channel-Verantwortlichen" erhalten, der wiederum einem Chefredakteur untersteht - was nach mehr Hierarchie riecht. Wrabetz will ORF 1 neu positionieren, weniger US-Serien und mehr Information senden. Grasl wiederum hat auf 180 Seiten dargelegt, dass auch er die Infoschiene ausbauen, ORF 1 und 2 verschränken, eine kollektive Führung einrichten, die Agenden Technik sowie Kaufmännisches in der Generaldirektion ansiedeln und eine weisungsunabhängige Informationsdirektion installieren will.

Wer das Rennen machen wird, gilt noch als völlig offen. Eines jedoch erscheint unstrittig: Sollte ÖVP-Mann Grasl gewinnen, wäre das ein mögliches Signal für einen politischen Erdrutsch. Vor Kurzem holten sich die Schwarzen mithilfe der FPÖ den Posten der Rechnungshofpräsidentin, jetzt womöglich den ORF-Chef. Wenn auch noch FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer die Wiederholungswahl gewinnen sollte, wäre das eine schwere Schlappe für die SPÖ und ihren neuen Kanzler. Viele, die jetzt nicht offen reden, halten in diesem Falle Neuwahlen - und eine schwarz-blaue Koalition - für ausgemacht.

© SZ vom 04.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: