Die Architektur im "Tatort":Der Böse sitzt meistens im Glashaus

Glasdach, Betonfront, leere Räume: Wie im "Tatort" die Architektur als Stilmittel eingesetzt wird.

Barbara Gärtner

Es soll hier nicht um Stuttgart 21 gehen, nicht um die Schwabenstreiche, nicht um das Kastanienbaumfällen und nicht um die Schülerdemos - aber vielleicht ein wenig um den Angstgrusel. Ängste sind hinterhältig und diffus, Analytiker leben gut von ihnen, die Belohnungsindustrie auch. Gerade hat man den Eindruck, die Architektur bereite den Menschen Sorgen. Und so gehen sie auf die Straße für einen alten Bahnhof und gegen einen neuen. Die Kölner wollen ihr Theater behalten, die Tübinger Studenten ihre Mensa. Die Dänen kommen mit ihrer Megabrücke, die eigentlich auch niemand will.

Die Architektur im "Tatort": Architektur im "Tatort": Was die Räume aussagen.

Architektur im "Tatort": Was die Räume aussagen.  

Woher kommt plötzlich die Angst vor der Architektur, der zeitgenössischen oder der modernen? Woher stammt die Furcht vor Flachdach, Sichtbeton, Glas? Das Fernsehen ist schuld, ganz klar, weil es im Zweifel ja immer Schuld hat. Weil es beim Film um Verkürzung geht, weil mit wenigen Requisiten ein Leben erzählt werden muss, deshalb wird die Architektur, wird ein ganzer Lebensstil von deutschen Fernsehkrimis diskreditiert.

Mag sein, dass früher immer der Gärtner der Mörder war, heute ist es der Architekt - zumindest sitzt der Böse oft im Glashaus. Dort wohnen die Angeber, die Aufschneider, die Schönheitschirurgen, die Waffenschieber und Drogendealer. Die Kamera fährt die Wände lang und zeigt, genau: Flachdach, Sichtbeton, Glas, also die Fensterfront. Der Zuschauer soll denken: Hart, kühl, herzlos, der war's bestimmt. Verdient hätte er es jedenfalls.

Vergangene Woche ermittelte Maria Furtwängler im Lindholm-Tatort gegen einen verdrucksten, Schwarz tragenden Baumeister wegen des Verdachts der Pädophilie. Vor drei Wochen wurde im Berliner Tatort ein Künstler umgebracht. Nachgeweint hat ihm keiner, er war fies und egozentrisch. Völlig klar, er lebte schließlich im leeren Betonloft, seine Sorge galt stets dem dunklen Parkett, nie dem niedlichen Sohn. Dieser Berliner Tatort zeigte exemplarisch, wie im deutschen Krimi Vorurteile befriedigt werden: Der irre Künstler starb in seiner Jonathan-Meese-mäßigen Brachial-Installation, und der lederjackige Kommissar grummelte nur die ewigen kunstskeptischen Totschlagargumente: Das soll Kunst sein? Pah! Das kann ich auch. Sein sensibler Kollege versuchte es mit Aufklärung und Annäherung. Vor allem an die wuschelhaarige Galeristin.

Abstiegsangst der Mittelschicht

Viele therapeutische Talkshowsitzungen werden gerade bestritten über die Abstiegsangst der Mittelschicht, ihre Distinktionsabsicherung nach unten, das ganze Unterschichtengedöns. Der deutsche Tatort bedient aber vor allem die Neidinstinkte nach oben: Wenn die schon das Geld für große Kunst und einen Interior Designer haben, dann lassen sie - anders als wir Biomarktcardbesitzer - wenigstens ihre Kinder luxusverwahrlosen. Wie beim Saarländischen Tatort zu Jahresbeginn, bei dem ein armer Gesamtschüler gemobbt und umgebracht wurde und die Klassenkameraden, reiche Schnöselkinder, schweigen. Eine glückliche Familie im Bauhausstil? So was sieht man im deutschen Fernsehen nicht. Die glücklichen Familien umgeben sich mit Holz oder wenigstens mit dem, was Ikea dafür hält.

Wenn in Werner Sobeks famosem innovativen Stuttgarter Glashaus R128 gedreht wird, wie vor ein paar Jahren ein Bienzle-Tatort, dann hat der Besitzer selbstredend Dreck am Stecken.

Auch im amerikanischen Kino, das muss der Gerechtigkeit halber hinzugefügt werden, dient das Szenenbild der Charakterbildung. Allerdings nicht moralisierend und Moderne-müde, denn auch James Bond mag es ungesellig chromglänzend. Kritiker bemängeln in den USA eher, dass die Gebäude in Christopher Nolans Bewusstseinsvision Inception, diese modernistischen Traumarchitekturen und halbfertig gebauten Treppen ins Nichts, sehr betulich und gar nicht unerschrocken zeitgemäß seien.

Schon lange fordern die deutschen Architekten, dass Baugeschichte und Architektur zum Schulfach werden soll, damit schon Kinder die gebaute Umwelt besser lesen und schätzen können. Aber vielleicht müsste man kleiner anfangen. Etwa, einfach nicht aufmachen, wenn wieder ein Tatort-Team klingelt.

Andere Branchen sind weiter: Wer einen Daimler umsonst durch einen Film rollen lassen will, hat das Drehbuch vorzulegen. "Wir achten darauf, dass die Guten den Mercedes fahren und die Bösen damit jagen", sagt Tobias Müller, Leiter Lifestyle und Markenkommunikation bei Daimler. Vielleicht braucht der Bund Deutscher Architekten auch so einen Lifestyle-Kommunikator. Der würde sicher auch Bahnhöfe wieder ins gute Licht stellen.

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