Diät-Fake "Schokolade macht schlank":Eine süße Lüge

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"Abspecken mit Schokolade" verspricht eine neue Diät. Die Sensationsmeldung des "Instituts für Diät und Gesundheit" geht um die Welt. Nur: Das Institut existiert nicht, die Studie ist ein Fake.

(Foto: Arte)
  • "Abspecken mit Schokolade" verspricht eine neue Diät. Die Sensationsmeldung des "Instituts für Diät und Gesundheit" geht um die Welt.
  • Nur: Das Institut existiert nicht, die Studie ist ein Fake.

Von Lars Langenau

"Der Traum vieler Naschkatzen wird wahr! Neueste Studien beweisen: Schokolade hilft beim Abnehmen! Der Fettabbau wird beschleunigt, der Jo-Jo-Effekt minimiert und das psychische Wohlbefinden gestärkt." Als die Pressemittelung des "Institute for Diet an Health" Ende März über den Ticker der dpa-Tochter OTS lief, gab es bald kein Halten mehr. Zunächst griffen die schier unglaubliche Meldung nur ein paar unbedeutende Blogs auf, doch dann brachte die Bild die Meldung auf Seite eins: "Diese Studie schmeckt uns: Wer Schokolade isst, bleibt schlank." Umgehend folgte die Meute: RTL, Focus.de, Brigitte, Daily Mail, die Cosmopolitan und selbst die Indian Times berichteten über die Sensation des "Non-Profit Think Tank" aus Mainz.

Nur: Dieses Institut gibt es gar nicht. Und die Studie erst recht nicht. Die Medien sind laut SZ-Informationen einem Fake aufgesessen. Unverdrossen verbreitet der sich um die Welt. Von Deutschland über Großbritannien in die USA. Noch immer. "Gerade ist unsere 'Studie' in Australien gelandet", sagt der für den Fake verantwortliche freie Journalist Peter Onneken zur SZ. "Vorher war sie in Nigeria, wobei mir bis dahin gar nicht klar war, dass es dort ein Problem mit Überernährung gibt."

Onneken und Diana Löbl dokumentieren in der Koproduktion von Arte und ZDF "Schlank durch Schokolade. Eine Wissenschaftslüge geht um die Welt", wie "einfach wir uns von dubiosen Studien manipulieren lassen" - und wie die Vermarktungswege der Industrie selbst für die absurdesten Diäten verlaufen.

Dazu starteten sie ein wahnwitziges Experiment. Eine Handvoll Probanden wurde eingeladen und von den Journalisten in weißen Kitteln ("Kleider machen Leute") in drei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe mit fünf Personen hielt eine strenge Diät und bekam zusätzlich noch Schokolade, eine andere hielt nur Diät und eine dritte Minigruppe machte weiter wie bisher. Lediglich für drei Wochen, aber mit ausufernden Fragebögen. "Wir wollten so viele Daten wie möglich sammeln, damit wir uns dann das raussuchen können, was uns passt", erklärt Löbl.

"Die These wollten wir um jeden Preis beweisen"

Nachher hieß es: "Deutsche Wissenschaftler haben herausgefunden: Dunkle Schokolade kann bei einer Diät als Beschleuniger der Gewichtsreduktion dienen." Das war schon von vornherein klar - und die Studie war aufgrund der geringen Teilnehmerzahl und absurden Laborsituation natürlich keine wissenschaftliche Erkenntnis. "Schokolade ist ein Fett-Verbrenner: das war unsere These und die wollten wir um jeden Preis beweisen", sagt Löbl. "Das stimmt nicht zwar nicht, aber die Leute glaubten uns dennoch."

Löbl und Onneken arbeiteten schon für eine ARD-Dokumentation über Leiharbeiter bei Amazon zusammen. Jetzt treffen sie wieder einen Nerv: Die Diätindustrie boomt, es werden Milliardenumsätze eingefahren. Jeder zweite Deutsche würde gerne abnehmen. "Und dazu wird jede Menge Unsinn veröffentlicht", sagt Löbl. Es gibt die Dukan-Diät, Spaß-Diät mit Süßigkeiten, Low-Carb, Leber-, Walnuss-, Sellerie-, Honig-Diät, selbst eine "Werwolf-Diät" existiert und wird angeblich von Demi Moore und Madonna angewendet. Eine Form des Abnehmens, bei der man nur nachts essen darf.

"Jede Diät findet ihre Abnehmer"

Fast 30 000 Ernährungsstudien gebe es weltweit, so die Autoren. Und beinahe jede sage etwas anders aus. Weil die Ernährungswissenschaft vorwiegend auf Beobachtungsstudien beruht, die nur Vermutungen, aber niemals Bewiese liefern. Publizierte Wissenschaft sei kostenlose Werbung. "Jede Diät findet ihre Abnehmer", sagt Onneken. Dabei bewiesen die allermeisten Studien nur, dass die Diäten höchstens ein Jahr wirkten, bevor der Jo-Jo-Effekt eintrete.

Diäten, da sind sich Ernährungswissenschaftler einig, sind keine Lösung für dauerhaften Gewichtsverlust. Dazu braucht es eine Umstellung von Ernährung und Lebensweise. Diäten können hingegen zu Gewichtsproblemen und problematischem Essverhalten führen und psychische Störungen verschlimmern.

"Das Business stinkt, und wir Journalisten machen mit"

Gesellschaftlicher Druck und ein Schlankheitskult machen es möglich. "Gesund, schlank, jung und schön wollen wir alle sein", sagt Onneken. "Wir zeigen ein System, das vor allem die frustriert, die abnehmen wollen." Über die Opfer des Diäten-Wahnsinns rede kaum jemand, Magersucht und Bulimie seien ein Tabu. En passant zeigen die Autoren die Verquickung von renommierten Medizinern und der Deutschen Adipositas Gesellschaft mit dem Lobbyismus - etwa für Weight Watchers.

"Journalisten-Kollegen spielen bei dem Wissenschaftsmüll eine fragwürdige Rolle", sagt Onneken. Erst durch die Publikation in einem "Fachblatt" wurde ihre Studie zur Wahrheit - und die Veröffentlichung könne man sich etwa im angeblich renommierten International Archives of Medicine kaufen. Keiner prüfte die Echtheit des Instituts, keiner die dünne Auswahl an Probanden, "man vertraute einfach der Pressemitteilung, in der wir ein Märchen erzählt haben", sagt Onneken.

"Das Business stinkt, und wir Journalisten machen mit." Natürlich habe man alles auf Englisch verfasst. Wissenschaftsenglisch. Ihre These, die sich bewahrheitete: Niemand kämpft sich da durch. Ob er ein schlechtes Gewissen habe, nun wieder die Voruteile gegen die Lügenpresse anzufeuern? "Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich in einer Branche arbeitet, die offensichtlich immer mal wieder nach einem Motto vorgeht: 'Wenn die Geschichte zu gut ist, dann bloß nicht recherchieren.' Aber es sind ja auch nicht alle wie Focus.de und Bild - immerhin, und das spricht für unsere Branche, hat sich keine Qualitätszeitung auf diesen Mist eingelassen. Und was mit Schokolade funktioniert, funktioniert auch mit Meldungen wie 'Brennesselsud hilft gegen Hodenkrebs' - dann wird es kriminell."

Begleitet haben Löbl und Onneken ihre Balla-balla-Studie mit einer einfachen Homepage des "Instituts für Diät und Gesundheit", einer eigenen Facebook-Seite (mit gekauften Freunden), Videoclips inklusive Stripeinlage mit einer schlanken Blondine, die gegen Geld auch für andere Diäten wirbt. Und mit einem eigenen Song.

Zeile: "A scientist in Germany recommends a chocolate treat, no promises, no miracles but this is changing my whole world." Refrain: "The chocolate transformation changed my life."

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Schlank durch Schokolade. Eine Wissenschaftslüge geht um die Welt. 5. Juni, Arte, 21:50 Uhr; 7. Juni, ZDF, 15:30 Uhr.

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