Deutsches Fernsehen:Das Leben ist eine Baustelle

Lindenstraße

Volles Haus bei Mutter Beimer: Produzentin Hana Geißendörfer möchte die Lindenstraße künftig häufiger aus dem Kölner Studio herausholen.

(Foto: WDR/Lindenstrasse)

Am Sonntag schickt die ARD die "Lindenstraße" in ihre allererste Sommerpause. Bei ihrer Rückkehr im August will Produzentin Hana Geißendörfer aus den Sparzwängen des Senders kreative Funken schlagen.

Von Hans Hoff

Freunde der Lindenstraße müssen an diesem Sonntag ab 18.50 Uhr sehr stark sein. Nicht nur geht der schon lange schwelende Psychothriller zwischen dem einst sensiblen Momo und dem durchtriebenen Robert Engel in eine finale, möglicherweise gewalttätige Phase, es sieht auch alles danach aus, als kämen sich Mutter Beimer und ihr Ex Hansemann wieder bedrohlich nahe. Doch damit nicht genug, denn die Auflösung beider Probleme erfolgt nicht wie gewohnt eine Woche später, sondern erst am 20. August. Die Lindenstraße geht nach Folge 1637 in die Sommerpause. Zum ersten Mal in ihrer nun bald 32-jährigen Geschichte.

Die Serie dürfte das kaum freiwillig tun. Den Vertrag will man beim zuständigen WDR nicht rausrücken, aber man kann sich leicht ausrechnen, dass in diesem Jahr nur insgesamt 45 Folgen auf Sendung gehen, während es ganz früher noch eine Folge pro Woche gab. Auch bei der Lindenstraße muss ganz offensichtlich gespart werden. Und die meisten Ausfälle werden nun im Sommer gebündelt - wenn es den wenigsten Zuschauern auffällt.

Deren Zuspruch ist ohnehin weit entfernt von den Glanzzahlen einstiger Tage. Gerade mal 1,68 Millionen wollten am vergangenen Sonntag sehen, wie der Konflikt zwischen Momo und Engel weiter eskalierte. Die Lindenstraße kommt auf nur noch 7,2 Prozent Marktanteil. Das ist auch für den Sommer mit seinen zahlreichen alternativen Freizeitaktivitäten nicht viel.

Doch es gibt Hoffnung. Die Hoffnung heißt Hana Geißendörfer. Die Produzentin ist, obwohl schon 2015 angetreten, immer noch ein bisschen die Neue im Team. Sie ist mit 33 gerade mal ein Jahr älter als die 1985 eingeführte Seifenoper, und sie sprüht vor Tatendrang. Beim Gespräch wirkt sie so energisch, als könnte sie die serielle Dauerwurst schon morgen von ihrer hemmenden Pelle aus Muff und sozialkritischem Sermon befreien. Dass sie das nicht mit Wucht tut, ist wohl ihrem diplomatischen Geschick zu verdanken. Sie ist klug genug zu wissen, dass abrupte Veränderungen nicht nur das Publikum verschrecken würden, sondern die ARD-Granden gleich mit. Außerdem hat auch noch ihr Vater Hans W. Geißendörfer, der Erfinder der Lindenstraße, ein Wörtchen mitzureden. Er steht im Vorspann, sie im Abspann.

Hana Geißendörfer ist der personifizierte Wandel in der Lindenstraße. Sie sieht ganz klar, dass manches anders werden muss. Sie kennt all die hochgelobten amerikanischen Serien, in denen es gelingt, das Leben so einzufangen, dass es wahr und echt wirkt und nicht hölzern und lähmend wie in manchen Lindenstraße-Dialogen.

Erst 2009 kam sie in Kontakt mit dem Lebenswerk ihres Vaters - als "Lindenstraße"-Praktikantin

"Wir sind schon ein bisschen schneller im Erzähltempo und im Schnitt geworden, aber wir versuchen immer, den Geschichten den Raum und die Zeit zu geben, die sie inhaltlich brauchen", sagt Geißendörfer. Kürzlich haben sie eine Transgender-Geschichte erzählt, sehr tief und sehr ausführlich. Möglicherweise etwas zu ausführlich. "Vielleicht hat die Dosierung nicht immer gestimmt", räumt sie ein. Nicht immer gelingt, was gelingen soll. "Manchmal trifft man es besser und manchmal schlechter", sagt sie und strahlt dabei jene Leichtigkeit aus, die man der Serie oft wünscht.

"Ich versuche da Tempo und Echtheit reinzubringen. Das Ziel ist, authentisch zu sein", formuliert sie ihr Bestreben. Ein weiteres Ziel: "Ich will davon weg, dass das Studio aussieht wie Studio", sagt sie, und mit Blick auf die amerikanischen Serien, die sie so gern schaut, packt sie gleich noch eine Portion Demut drauf: "Wir können natürlich noch besser werden."

Groß geworden im Dreieck zwischen London, Griechenland und Paris, kam Hana Geißendörfer erst 2009 ernsthaft in Kontakt mit Papas Arbeit. Da absolvierte sie ein Praktikum in der Lindenstraße. Fragt man sie, was sie anders macht als ihr Vater, sagt sie erst mal, dass sie vieles gleich mache. Allerdings trage sie im Büro keine Pantoffeln wie er. Dann aber habe sie sich kürzlich barfuß durch den Flur laufend ertappt. "Ich dachte, oh oh, jetzt geht's los", sagt sie.

Doch ihr Stil unterscheidet sich deutlich von seinem. Sie hört zu, sie tauscht sich aus. "Mein Vater ist eher die Respektsperson, vor der man Ehrfurcht hat", sagt sie über den Mann mit der Kappe, dessen Lebenswerk die Lindenstraße ist und der folglich immer noch eine große Rolle spielt, möglicherweise auch manche Entwicklung hemmt. Zumindest behauptet die Tochter, sich gut durchsetzen zu können: "Wir diskutieren viel, und mit Argumenten hat man da eine sehr gute Position."

Mangelnde Anerkennung sieht Geißendörfer nicht als Problem - auch wenn die ARD in jüngster Zeit nicht immer sehr pfleglich mit ihrem Vorzeigeprodukt umgegangen ist. "Wir fühlen uns vom Sender durchaus wertgeschätzt", sagt sie, setzt allerdings gleich eine Einschränkung nach: "Wichtiger ist aber, dass die Zuschauer das Gefühl haben, dass die Lindenstraße vom Sender wertgeschätzt wird, und leider führen Verschiebungen und Ausfälle der Serie nicht dazu, dass diese Wertschätzung beim Zuschauer ankommt." Man spürt, dass sich Hana Geißendörfer insgeheim etwas mehr Respekt für ihre Arbeit wünscht. Manchmal träumt sie vom Sendeplatz 19.30 Uhr am Sonntagabend.

Sie hat Online-Teaser erfolgreich ausprobiert, bietet einzelne Folgen zum Download an, was in der ARD eine Ausnahme ist.

All das wird eine Rolle spielen, wenn es in die Verhandlungen um die Zukunft nach 2019 geht, die nach guter Gepflogenheit im nächsten Jahr beginnen müssten. Da sieht sich Geißendörfer in der Tradition ihres Vaters. "Er hätte mir die Serie nicht übergeben, wenn er nicht an mein Durchsetzungsvermögen, an meine Kreativität und Fähigkeiten glauben würde", sagt sie.

Dann erzählt sie noch von der Folge nach der Sommerpause, die mit den Sparzwängen kreativ umgeht, indem nicht, wie üblich, nur die Geschichte vom Donnerstag vorher erzählt wird, sondern, was in den vergangenen fünf Wochen geschehen ist. "Wir haben dramatischeres Licht gesetzt, und viele Szenen entstanden an Originalmotiven außerhalb der Lindenstraße-Kulisse. Das schenkt der Folge ganz andere Bilder", schwärmt sie vom Ausbruch aus der gewohnten Erzählstruktur. "Es ist ein gewisses Ausprobieren. Es macht Spaß zu gucken, was man noch machen kann."

Sie weiß natürlich schon, wie es ausgeht mit Momo und Robert Engel, mit Hansemann und Mutter Beimer, kennt alle Handlungsstränge Monate vorher. "Ich liebe Drama", sagt sie, will das Furchtbare aber auch nicht überdosieren. "Vielleicht muss manchmal noch ein bisschen mehr Humor und Wohlgefühl mit rein", sagt sie. Man spürt, dass sie weiß, wie es gehen könnte, dass sie auf einem guten Weg ist. Jetzt muss man sie nur noch machen lassen.

Lindenstraße, Das Erste, Sonntag, 18.50 Uhr.

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