"Der Fall Barschel" im Ersten:Wer tötete Uwe Barschel?

Der Fall Barschel

Wahrheit ist ihre Pflicht: Die Journalisten David Burger (Alexander Fehling) und Olaf Nissen (Fabian Hinrichs, links) recherchieren im Fall Barschel.

(Foto: Stephan Rabold/ARD Degeto)

Politkrimi, Journalistenthriller und ein Fest für Verschwörungstheoretiker: Dieser TV-Film über den Tod des ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein ist alles in einem.

TV-Kritik von Willi Winkler

Es ist fast ein Märchen aus uralten Zeiten: ein Ministerpräsident, der um seine Macht fürchtet und deshalb schlimme Finger engagiert, um den Gegner aus dem Weg zu räumen. Die böse Tat wendet sich gegen ihn, er verliert sein Amt, seine Ehre, sein Leben. Am 11. Oktober 1987 lag der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel tot in der Badewanne eines Genfer Hotels.

War es Mord, war es Selbstmord? Das wurde im Herbst 1987 zur journalistischen Gewissensfrage und ist heute so gründlich vergessen, dass sie bei Spiegel Online nicht einmal mehr wissen, wer Reiner Pfeiffer war. Als im August 2015 bekannt wurde, dass der großflächige Enthüller von "Waterkantgate" gestorben war, brauchten die Kollegen einen ganzen Arbeitstag, um auf die Meldung von bild.de aufmerksam zu werden. 28 Jahre zuvor stand Pfeiffer als Barschels "Mann fürs Grobe" auf dem Spiegel-Titel und erzählte von Machenschaften, die selbst für ein tiefschwarzes Bundesland wie Schleswig-Holstein ungewöhnlich dreist waren.

Das war so unerhört und unwahrscheinlich, dass es irgendwann verfilmt werden musste. Die ARD bringt deshalb am Samstag einen dreistündigen Spielfilm, der zwar garantiert zu 100 Prozent Tschillerfrei, aber trotzdem spannend ist.

Verschwörungstheoretiker drehen die Spirale bis heute immer weiter

Barschel, so wusste es Pfeiffer zu erzählen, habe aus Angst vor einem Sieg der SPD nicht nur seinen politischen Gegner Björn Engholm ausspionieren lassen, sondern ihm gleich Aids angedichtet und auch noch die Steuerbehörde auf den Hals gehetzt. Als die ganzen Machenschaften herauskamen, gab Barschel eine Pressekonferenz und sein "Ehrenwort", dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe "haltlos" seien. Das war gelogen, Barschel musste zurücktreten und starb, ehe er vor dem Untersuchungsausschuss aussagen konnte. Die Frage "War es Mord oder Selbstmord?" blieb als Rätsel am Leben.

Die Barschel-Affäre war vor allem eine Mediengeschichte, ein Wettlauf der "Hamburger Kampfpresse", die der habilitierte Historiker Gerhard Stoltenberg, Barschels Vorgänger als Ministerpräsident, damals erfand. Stern und Spiegel überboten sich mit Enthüllungen, während die Springer-Zeitungen mit Ausnahme des Hamburger Abendblatts treu und fest zu Barschel standen. Die Frankfurter Allgemeine hielt auch dann noch zu Barschel, als er längst aufgeflogen war, weil ihr Leitartikler Friedrich Karl Fromme bei einer SPD-Regierung fürchtete, sie könnte ihm sein Ferienhaus wegbesteuern. Fromme hielt Barschel nibelungentreu für ein Opfer Pfeiffers und der SPD, bis, der SZ-Reporter Herbert Riehl-Heyse hat's recherchiert, der Herausgeber Fritz Ullrich Fack die Abwesenheit des Kollegen nutzte, um seine ganz andere Meinung zu formulieren, die "ja auch fällig gewesen" sei: dass Barschel wegen der Vorgänge in der Staatskanzlei endlich zurücktreten müsse.

Verschwörungstheoretiker drehen die Spirale bis heute immer weiter: War das nicht vielleicht doch ein gigantisches Komplott? Wurde der Medienreferent und als Beerdigungsredner vielfach bewährte Pfeiffer womöglich an Barschel herangespielt, um die ganze Bundesrepublik zu untergraben und von einer gigantischen Großverschwörung abzulenken? Dagegen spricht schon, dass Pfeiffer, ehe er in die Kieler Staatskanzlei abgestellt wurde, zur "journalistischen Reserve" des Springer-Verlags gehörte und auch dort fürs Grobe eingesetzt werden sollte.

Sartre, Existenzialismus und Bilanzselbstmord

Schon früh ist die Barschel-Affäre von der Realität in die Fiktion gewandert. Der Hamburger Anglistikprofessor Dietrich Schwanitz schrieb die Shakespeare- Travestie MacBarsch und verschob die Gewissensfrage ins Reich der Literatur, wo die besten Geschichten tödlich ausgehen. Manchmal hilft die Literatur ja, aber ob sie heilt? Als der Reporter vom Stern Barschel fand, lag da neben mysteriösen Notizen, die auf einen R oder Roloff als großen Dunkel- und Hintermann deuteten, eine Ausgabe von Jean-Paul Sartres Gesammelten Erzählungen.

Barschel konnte wohl lesen, stand aber nicht im Verdacht, sich länger als nötig mit Literatur abzugeben. Wie später herauskam, hatte Dr. Dr. Uwe Barschel sogar seine beiden Doktorarbeiten von ergebenen Hilfskräften aus der CDU schreiben lassen. "In diesem Moment hatte ich den Eindruck", heißt es in einer Geschichte, "als läge mein ganzes Leben ausgebreitet vor mir, und ich dachte: 'Das ist eine verdammte Lüge'." Sartre, Existenzialismus, Bilanzselbstmord: ein bisschen überdeterminiert ist das schon. Der ehemalige Oberstaatsanwalt Heinrich Wille, der eisern an der Mordtheorie festhält, hat dieses Buch aus der Asservatenkammer einfach mit nach Hause genommen. Zufall?

Der Fall Barschel ist nicht nur eine dreistündige, liebevolle Rekonstruktion der seit 1987 vergangenen Zeiten - die großen Brillen, die alten Schreibmaschinen, die schrecklichen Diskotheken, Hamburger Betonpressebauten und Redaktionsarbeit unter dem leicht totalitären Motto "Wahrheit ist unsere Pflicht" -, sondern wider alles Erwarten auch noch spannend, weil immer alles möglich ist. Nach einem ökonomischen Beginn wechselt der Film vom dokumentationsnahen Politkrimi zum Journalistenthriller mit Beziehungsverwahrlosung und gnadenloser Recherche bis aufs Klo.

Der Barschel-Fall ist unser kleiner Kennedy-Mord

Dramaturgisch geschickt wird die Mord-oder-Selbstmord-Frage auf zwei Journalisten aufgeteilt (Drehbuch: Regisseur Kilian Riedhof mit Marco Wiersch), die von Alexander Fehling und Fabian Hinrichs brillant gespielt werden. Martin Brambach ist ein so abstoßender Pfeiffer, dass er, zumal nach seinem Auftritt in der ARD-Serie Die Stadt und die Macht, jeden Fernsehpreis verdient hat. Wahrhaft abgründig aber ist Matthias Matschke. Handlungsgemäß muss er zwar recht bald sterben, aber er geistert weiter durch den Film, ein unsicherer Finstermann, dem nie wohl in seiner Haut ist. Wenn er sich bei der legendären Ehrenwort-Pressekonferenz langsam über die Backen streicht, ist er vom Tavor-süchtigen Barschel nicht mehr zu unterscheiden.

War es die Stasi? Die CIA? Der Mossad? Der BND? Oder hat ihn am Ende doch Helmut Kohl in die Wanne gestoßen? Der eine oder andre Geheimdienst weniger wäre vielleicht mehr gewesen. Aber wie das seit Oliver Stones Politikparanoia JFK üblich ist, werden alle als Täter und Anstifter aufgerufen, und weil das immer noch nicht genug ist, "wackelt" hier einmal sogar der Stuhl des amerikanischen Präsidenten. Alles wegen dieses meerumschlungenen kleinen Landes, in dem auch die Kühe CDU wählen, aber schließlich ist der Fall des Schleswig-Holsteiners Barschel unser kleiner Kennedy-Mord.

Eine besonders traurige Botschaft lässt sich dem Barschel-Film noch abgewinnen, nämlich dass das Journalistenleben vor zwanzig, dreißig Jahren eindeutig besser war. Selbst Lokalzeitungen hatten offenbar genügend Geld, um ihre Leute auf der Wahrheitssuche regelmäßig nach Genf und sogar nach Beirut fliegen zu lassen. Mit etwas Glück kam der Reporter dabei nicht bloß hinter die übelsten Staatsgeheimnisse, sondern wurde bei guter Führung auch noch von einer apart bestrapsten Agentin ins Bett gezerrt. Wie gesagt, ein Märchen aus uralten Zeiten und ein meisterhafter Film.

Der Fall Barschel, ARD, Samstag, 20.15 Uhr. Im Anschluss die Dokumentation Barschel - Das Rätsel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: