Debatte über ZDF:"Die Zeit des Lagerfeuerfernsehens ist vorbei"

ZDF Thomas Bellut, ZDF, log in

Will für Relevanz beim ZDF sorgen: Intendant Thomas Bellut

(Foto: dpa)

Casting, Coaching, Cooking statt Grundversorgung und Bildungsauftrag. Dafür stehen die öffentlich-rechtlichen Sender in der Kritik. Denn warum zahlen, wenn es gar nicht interessiert? Bei "log in" stellte sich ZDF-Intendant Thomas Bellut der Kritik - und ist stolz darauf, wenn der Durchschnittszuschauer seines Senders doch nur 60 Jahre alt ist.

Eine TV-Kritik von Christopher Pramstaller

NeoParadise: weg. Roche & Böhmermann: weg, Stuckrad Late Night: weg. Alle eingestellt vom ZDF. Trotz jungen Publikums, trotz guter Kritiken. Weggekauft, totgequatscht; dann doch lieber Lanz und Champions League. Bewährtes zählt, Routine glotzt sich gut. Das alte Medium Fernsehen sucht den Anschluss an die Jetztzeit.

Doch seit Einführung der Haushaltsabgabe stehen die öffentlich-rechtlichen Sender zunehmend in der Kritik. 17,98 Euro beträgt die Gebühr, die jeder bezahlt, um sich anzusehen und anzuhören, was öffentlich-rechtlich fabriziert wird. Egal wo er wohnt, egal wie er wohnt - und ebenso egal, ob er überhaupt Geräte besitzt; geschweige denn, ob er überhaupt Lust hat auf diese schnöde Mittelmäßigkeit.

Auf Pilcher, "Rote Rosen" oder mittägliche Kochexzesse; auf Wintersportwochenenden, Boulevard oder - das hat NDR-Mann Hinnerk Baumgarten in seinem Interview mit Katja Riemann eindrücklich vor Augen geführt - geradezu unerträgliches Vorabendgequatsche in den dritten Programmen. Jedem halbwegs aufmerksamen Zuschauer treibt das die Fremdscham ins Gesicht. Hirnverbrannter als der Vorabend in den Dritten geht es nicht.

Von wegen Feierlaune. Trotz 50-jährigen Jubiläums in Mainz und guter Quoten kritisieren vor allem jüngere Zuschauer ARD und ZDF. Wieso auch 17,98 Euro pro Monat zahlen, damit Pilcher-Kitsch und Dauertalk produziert werden können?

Für die Sender ein Problem. Wird nicht geschaut, steht die Abgabe irgendwann wirklich zur Debatte. Und so stellt sich zumindest ZDF-Chef Thomas Bellut der Kritik und versucht bei der Talkshow "log in" auf ZDFinfo zu erklären, worin der Sinn sein soll, die Öffentlich-Rechtlichen jedes Jahr mit 7,5 Milliarden Euro auszustatten. Ihm gegenüber Helmut Thoma, Ex-RTL-Chef, Medienkritiker Stefan Niggemeier und Musikproduzent Tim Renner.

50 Jahre wächst der Wust auf dem Mainzer Lerchenberg, alle Probleme sollen in einer Stunde ausdiskutiert werden. Geht nicht? Stimmt! Etwas wirr geht es zu, wenn sich die vier über Quote, Kosten und Transparenz streiten.

Für Bellut, den Verwalter von 1,8 Milliarden Euro Gebührengeld, steht zumindest fest: "Solange ich auf dem Lerchenberg stehe, werde ich dafür sorgen, dass das ZDF Relevanz hat". Wo er recht hat, hat er recht - zumindest, wenn man sich die Quoten ansieht. 2012 trug sein Sender den Jahressieg davon. Fußball und den Olympioniken sei Dank. Doch gleichzeitig ist sein Publikum das älteste der Nation: 61 Jahre alt ist der Durchschnitts-ZDF-Gucker meint der Moderator, Bellut, nicht ohne Stolz, weist ihn zurecht: 60 sind es. Trotzdem: Nicht einmal jeder Zehnte unter 50 fühlt sich vom ZDF wirklich angesprochen.

Gutes Programm zu später Stunde

Ist das ZDF also von gestern? "Wäre schön", meint Tim Renner. "Früher war es vielfältiger. Gutes wurde verdrängt." Der Lerchenberg sei ein Leichenberg, auf dem Programm mit Beamtenmanier gemacht werde. Doch "die Zeit des Lagerfeuerfernsehens" sei vorbei. Fernsehen würde heute anders geschaut - und das Internet bringe Herausforderungen, die noch nicht gelöst seien.

Ein "laues Programm" sieht Stefan Niggemeier. "Jeden Tag Routine, die Menschen anscheinend auch so anschauen, aber nie das Gefühl haben, etwas Besonderes zu sehen." Und für Ex-RTL-Chef Thoma ist ohnehin klar, dass "die einfallsreichste Idee der letzten 30 Jahre die Haushaltsabgabe war". Sein Kritikpunkt: "Wettbewerb mit Steuern und Gebühren - das geht so nicht!"

Zwar bezweifelt niemand in der Runde, dass das ZDF in seinen Spartenkanälen auch gutes junges Programm macht und auch gesellschaftliche Debatten ins Programm genommen werden - wenn auch zu später Stunden. Bellut wollen sie aber vor allem eines nicht durchgehen lassen: solche Späße, wie den Kauf der Rechte an der Uefa Champions League. Die soll etwa 54 Millionen Euro kosten - pro Jahr versteht sich. Ein teurer Zeitvertreib. Bei 18 ausgestrahlten Partien pro Saison macht das drei Millionen pro Spiel. Grundversorgung? Bildungsauftrag? Grundsatzdebatte!

Niggemeier hält die mehr als 50 Millionen Euro für eine "unglaubliche Summe" und fordert transparente Mehrheitsentscheide, was ins Programm kommt. Helmut Thoma wirft spöttisch ein, er könne nicht wirklich sehen, dass "die Mannschaften dadurch besser spielen." Und Tim Renner sieht den Auftrag in der Vielfalt: "Sie müssen nicht Marktführer sein."

In öffentlich-rechtlichen Kreisen wird gerne argumentiert, man müsse das Publikum binden. Zerstreuung für die Masse, damit sie sich auch schön merkt, welches Senderlogo oben links oder rechts prangt. "Jeder Sender braucht Leuchttürme der Aufmerksamkeit", sagt Bellut, und verweist darauf, dass 30 Prozent mehr Zuschauer die Champions League bei ihm schauen würde als bei der Konkurrenz. Ein 54-Millionen-Marketing? Das muss man sich erst mal leisten! US-Serien wie die Big Bang Theory, die hätte er sich nicht leisten können, so Bellut. Eine eigenartige Rechnung.

Eine Lösung des Dilemmas der öffentlich-rechtlichen Sender, die zwischen Vielfalt, Relevanz und den Wünschen immer unterschiedlicherer Gesellschaftsgruppen gerecht werden müssen, hat niemand so recht. Allein Niggemeier spricht gegen Ende weise Worte: "ZDFkultur schauen vielleicht nicht viele. Die es aber geschaut haben, hat es wahrscheinlich sehr glücklich gemacht."

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