Kosten, Senderanzahl, Rechtsgrundlage:Wie Europa über öffentlichen Rundfunk debattiert

TV Bildschirm VÖ 17.02.18

Aufgeblasen, staatsnah und verzichtbar - das halten die Schweizer von ihrem Rundfunk.

(Foto: SZ)

In Frankreich gelten sie als "Schande der Republik", in Dänemark liefern sie zwar erfolgreiche Serien wie "Borgen" - zahlen will aber trotzdem niemand. Ein Überblick der Kritik an öffentlich-rechtlichen Sendern.

Von SZ-Autoren

ARD, ZDF und Deutschlandradio stehen unter Druck wie vielleicht noch nie zuvor. Es gibt sie, weil sie einen Auftrag für die demokratische Ordnung und das kulturelle Leben erfüllen sollen. Aber sind sie inzwischen nicht viel zu groß und zu teuer? Einige Landesparlamente haben angekündigt, auch 2021 keine Beitragserhöhung über derzeit 17,50 Euro monatlich (210 Euro im Jahr) mitzutragen - das würde dann nicht nur die Sender zum Extremsparen zwingen, sondern auch die Länder, die deutschen Öffentlich-Rechtlichen (20 TV- und 67 Hörfunkprogramme, plus Internet) ein paar Nummern kleiner zu machen. Die AfD stellt die Rundfunkfinanzierung insgesamt in Frage. Dazu kommt Kritik an Inhalten und digitaler Präsenz, die unter dem Stichwort "Staatsfunk" läuft, seit Springer-Chef Mathias Döpfner das Wort in der Debatte verwendet hat. Die deutschen Sender sind nicht allein. In Europa gleichen sich die Szenarien erstaunlich.

Adieu Swissness

Die kommende Volksabstimmung über die Rundfunkgebühren hat in der Schweiz viele Gewissheiten über den Haufen geworfen. Bis vor wenigen Monaten ging man davon aus, dass das Schweizer Radio und Fernsehen, das in allen vier Landessprachen ein nicht immer aufregendes, aber immer seriöses Angebot macht, selbstverständlich zur Schweiz gehört. Die Tagesschau, das Nachrichten-Magazin 10 vor 10, die Volksmusik, die vielen ganz normalen Schweizer und Schweizerinnen, die zur besten Sendezeit über ihre Lieblingsrestaurants und Abstimmungsvorhaben berichten durften - das war Swissness pur. Und zwar auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. Die Gebühr von derzeit 450 Franken (etwa 390 Euro) im Jahr, ist zwar nicht beliebt, die meisten zahlten sie jedoch ohne allzu viel zu murren.

Mit der Volks-Initiative "No Billag", die am 4. März zur Abstimmung steht, ist klar geworden: Sehr viele Schweizer (wie viele genau wird sich in der vermutlich knappen Abstimmung zeigen) halten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für aufgeblasen, arrogant, staatsnah und verzichtbar. Stattdessen setzen sie auf den Markt und dessen Gerechtigkeitsversprechen: Wenn jeder nur das zahlt, was er nutzt, profitierten die Kunden - und auch das Angebot werde besser. Wie kurzsichtig dieses Argument ist, zeigen Vorschläge der No-Billag-Befürworter zur Rundfunkfinanzierung für den Fall, dass sie tatsächlich Erfolg haben: Wenn es keine Gebühren mehr gibt, dann könnte man den Rundfunk doch mit staatlichen Subventionen erhalten, heißt es da zum Beispiel. Charlotte Theile

Kosten: 451 Franken (390 Euro) pro Jahr, von 2019 an 365 Franken (316 Euro) pro Jahr.

Anzahl der Sender: Sieben Fernsehprogramme und 17 Radiosender.

Grundlage: Die Gebühren werden per Gesetz festgelegt, das dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird. 2019 wird die Gebühr zur obligatorischen Haushaltsabgabe.

Gefeuert

Seit Polen den Kommunismus abgeschüttelt hat, wurde jeder Regierung vorgeworfen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ihrem Sinne zu beeinflussen. Aber keine Regierung ist dabei so radikal vorgegangen, wie die gegenwärtige. Schon im Wahlkampf hatten Politiker der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Revolution im öffentlich-rechtlichen Rundfunk versprochen. Nach ihrem Sieg im November 2015 änderte sie im Eilverfahren in nur drei Tagen verfassungswidrig das Mediengesetz und schaffte die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit des nationalen Medienrates ab. So kann die Regierung nun mit der Parlamentsmehrheit die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender direkt ernennen. Die PiS-Regierung setzte den rechtsgerichteten Politiker Jacek Kurski an die Spitze des staatlichen Fernsehens TVP. Kritische Sendungen wurden eingestellt, Dutzende bekannte Journalisten und Nachrichtensprecher gefeuert, andere kündigten. Die Regierung plant weitere Reformen, so soll die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks neu geregelt werden. Zwei Vorschläge liegen auf dem Tisch: Die Einbehaltung einer Gebühr mit der Einkommens- oder Körperschaftssteuer. Oder die Finanzierung aus dem nationalen Haushalt. Derzeit haben nur 13 Prozent der Polen einen Fernseher angemeldet. Julian Hans

TV Bildschirm VÖ 17.02.18

Wiadomosci aus Polen

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Kosten: Besitzer eines Fernsehers zahlen 272 Sloty (65 Euro) im Jahr. Wer nur ein Radio hat, zahlt 84 Sloty (20 Euro).

Anzahl der Sender: Zwei landesweite und 16 regionale Fernsehprogramme. Dazu kommen neun Spartenkanäle. Polskie Radio betreibt sieben landesweite Sender und 17 Regionalsender.

Grundlage: Der Nationale Rat für Radio und Fernsehen legt fest, wie viel der Rundfunk kosten darf. Dessen fünf Mitglieder werden vom Parlament und vom Präsidenten ernannt.

"Schande" in Frankreich, "Lügen" in Österreich

"Schande"

Aus einem internen Gespräch wurde Schelte des Staatspräsidenten Macron durchgestochen: die öffentlichen Medien in Frankreich seien die "Schande der Republik". Das zielte nicht etwa auf mangelnde Volksnähe, sondern auf mangelnde Ambition. Dass die Öffentlichen nur das nachahmten, was die Privaten besser können, Unterhaltungsleichtkost, ist der häufigste Vorwurf seit dem Big Bang der Privatisierung von TF1, dem einst öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehkanal, im Jahr 1987.

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20 Heures aus Frankreich

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Die Legitimation der öffentlichen Anstalten wird im Kulturland Frankreich nicht einmal von den Populisten offen in Frage gestellt. Doch ein umfassendes und noch nicht im Detail bekanntes Reformpaket soll bald alle öffentlichen Sender in einer Holding bündeln, die Budgets massiv kürzen. Denn die Kritik kommt eher hinten herum: Das sei alles zu teuer. Dabei ist die französische Rundfunk- und Fernsehgebühr eher bescheiden und wird überdies nur von denen bezahlt, die in der Steuererklärung den Besitz eines Fernsehapparats angeben, so als gäbe es noch kein Internet. Mit der Reform will die Regierung die Abgabe auf alle Haushalte ausweiten.

Der Konsens über die Notwendigkeit der öffentlichen Anstalten hat im hierarchisch organisierten Frankreich jedoch dort seine Grenzen, wo die Politiker sich nicht gebührlich behandelt fühlen. Nach einem für ihn enttäuschenden Auftritt im Kanal France 2 beschimpfte der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon den Sender unlängst als ein Nest der gemeinen Fallensteller, einen Ort des Lugs und Betrugs. Joseph Hanimann

Kosten: 138 Euro im Jahr.

Zahl der Sender: Zu France Télévisions gehören sechs Sender plus der Infokanal "franceinfo". Radio France besteht aus sieben Kanälen.

Grundlage: Der Gesamthaushalt der Anstalten wird von der Regierung festgelegt.

Wolfs Revier

"Es gibt einen Ort, an dem Lügen zu Nachrichten werden. Das ist der ORF", postet Heinz-Christian Strache auf Facebook über den österreichischen Rundfunk - dazu stellte er ein Foto des Moderators Armin Wolf. Als Kommentar schreibt der österreichische FPÖ-Vizekanzler darüber: "Satire." Als lustig empfindet der ORF das allerdings nicht - vielmehr als Angriff auf einen der wichtigsten Qualitätsjournalisten des Landes. Wolf will klagen.

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ZIB2 mit Armin Wolf aus Österreich

(Foto: SZ)

Es ist der vorläufige Höhepunkt in der schon immer schwelenden Auseinandersetzung der FPÖ mit dem ORF. Dass die Rechten den öffentlichen Rundfunk kritisch sehen und die Gebühren abschaffen wollen, ist nicht neu. Doch nun sind sie in der Regierung - jedes Wort hat damit ungleich mehr Gewicht. Und bei Worten soll es auch nicht bleiben, erste Umbauten sind schon angedacht. So plane die rechtskonservative ÖVP-FPÖ-Regierung von Kanzler Sebastian Kurz, das Führungspersonal bei Sendern auszutauschen und ein neues ORF-Gesetz zu erarbeiten, munkelt die Branche. Motto: "Mehr privat, weniger Staat." Möglich, dass sich die FPÖ durchsetzt und die Bevölkerung über die Gebührenabschaffung bald wie in der Schweiz abstimmen wird. In Österreich ist so eine Volksabstimmung nicht so etabliert wie in der Schweiz, aber möglich.

Dass der Druck auf den öffentlichen Rundfunk steigt, zeigt ein weiteres Gerücht: Der linksliberale Jugendsender FM4 solle abgedreht werden. Dafür müsste die Regierung das ORF-Gesetz ändern. Belegen lassen sich solche Pläne bisher nicht, aber eines ist damit schon erreicht: Angst bei Belegschaft und Anhängern des Senders zu verbreiten. Leila Al-Serori

Kosten: zwischen 250 und 320 Euro pro Jahr und Haushalt (je nach Bundesland).

Zahl der Sender: drei Fernsehsender plus drei nationale und neun regionale Radiosender.

Grundlage: Das Programmentgelt wird im ORF-Gesetz geregelt.

Rechtspopulisten in Dänemark, Konservative und Linke in Großbritannien

Danflix

Vom dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk kamen in der Vergangenheit ein paar sehr erfolgreiche Serien: Etwa Borgen (benannt nach dem Sitz des Parlaments) und Kommissarin Lund, die Rundfunkanstalt DR gilt als besonders kreativ. Viele Dänen würden sich die Gebühr aber gerne sparen. Immer wieder haben Umfragen Unzufriedenheit gezeigt. Im März 2017 etwa glaubte jeder vierte Zuschauer nicht, dass DR die Gebühr angemessen nutze. Kurz zuvor musste sich DR entschuldigen, weil er für einen Korrespondenten ein Pferd für mehr als 9000 Euro in die USA verschifft hatte - eine von mehreren Geschichten über Misswirtschaft.

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TV Avisen aus Dänemark

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Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei, zweitstärkste Kraft im Parlament, fordert, die Gebühr abzuschaffen und die Sender durch eine einkommensabhängige Steuer zu finanzieren. Gleichzeitig möchte sie deren Budget um ein Viertel kürzen. Die Regierung will die Kürzungen laut Medienberichten auf ein Achtel beschränken. Der liberale Premierminister Lars Løkke Rasmussen hat keine eigene Mehrheit und braucht die Stimmen der Rechtspopulisten. Über Monate hat er über eine Steuerreform verhandelt und viele Zugeständnisse gemacht. Hinter den Forderungen der Volkspartei steckt wohl nicht nur Sparsamkeit. Morten Messerschmidt, der für die Partei im EU-Parlament sitzt, sagte, der DR habe sich zu einer "demokratischen Bedrohung" entwickelt. DR sei nicht neutral und diene dem linken politischen Flügel.

Der Idee, die Gebühr durch eine Steuer zu ersetzen, stehen aber auch andere Parteien offen gegenüber, darunter die Sozialdemokraten als größte Oppositionspartei. Rasmussens liberale Venstre plant sogar ein ganz neues System: Sie möchte einen Teil des DR-Budgets in einen Fonds umleiten, der allen dänischen Medienmachern offen stünde. Deren Sendungen wären dann kostenlos im Netz zu sehen - auf "Danflix". Silke Bigalke

Kosten: etwa 340 Euro im Jahr.

Zahl der Sender: sechs TV- und neun Radiosender, außerdem werden regionale Angebote des Privatsenders TV2 durch die Gebühr finanziert.

Grundlage: Das Parlament legt die Gebühr per Gesetz fest.

Personenschutz

In Großbritannien wird der öffentlichen Rundfunkanstalt BBC regelmäßig Einseitigkeit vorgeworfen: oft von Konservativen, manchmal auch von linken Kritikern. Bisher führt das aber nicht zu ernsthaften Forderungen in den großen Parteien, die Sendergruppe zu privatisieren oder die - tatsächlich unbeliebte - Rundfunkgebühr von umgerechnet 165 Euro im Jahr zu streichen. Eine drastische Verringerung oder Abschaffung der Gebühr verlangen lediglich die EU-feindliche Partei Ukip und die nordirische Protestantenpartei DUP. Premierministerin Theresa May ist zwar im Parlament auf die Unterstützung der extrem konservativen Nordiren angewiesen, hat sich jedoch deren Medienpolitik nicht zu eigen gemacht.

TV Bildschirm VÖ 17.02.18

BBC News At Ten aus England.

(Foto: SZ)

Die BBC ist bei den Bürgern beliebt und Umfragen zufolge die vertrauenswürdigste Nachrichtenquelle im Fernsehen. Konservative klagen aber seit Jahrzehnten über die vermeintliche Nähe der Anstalt zum links-liberalen Spektrum. Die Brexit-Kampagne kritisierte auch, dass die Sendergruppe vor dem EU-Referendum angeblich zu europafreundlich berichtet hätte. Zuletzt empörten sich allerdings die Linken über die BBC - genauer: über Chefreporterin Laura Kuenssberg. Sie soll den altlinken Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn unfair behandelt und seine Aussagen bewusst falsch interpretiert haben. Auf dem letzten Labour-Parteitag begleitete Kuenssberg ein Personenschützer. Björn Finke

Kosten: 147 Pfund (165 Euro) im Jahr.

Zahl der Sender: Neun nationale Fernsehsender, 21 nationale und 40 lokale Radiosender sowie acht weitere auf Walisisch, Schottisch und für Nordirland.

Grundlage: Der Kultusminister bestimmt über die Kosten, de facto die Regierungspartei und die Regierung.

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