Debatte in US-Medien:Kontroverse um Foto des US-Botschafters

Ist es noch notwendige Information - oder einfach eine Geschmacklosigkeit? US-Medien, darunter die "New York Times" und die "Los Angeles Times", haben ein Foto publiziert, das den toten US-Botschafter in Libyen zeigt. Nun wird diskutiert, ob das ein Fehler war - und ob Leser mit zweierlei Maß messen.

"Wie würden Sie sich fühlen, wenn der Mann ein Freund oder Verwandter wäre und Sie diese Bilder sehen?" Das muss sich die New York Times in einer Leserzuschrift fragen lassen. Und es ist noch einer der zurückhaltenderen Kommentare. Grund für die Beschwerde: Die hoch angesehene US-Zeitung hat ein Foto publiziert, das den US-Botschafter in Libyen, J. Christopher Stevens, nach der Attacke zeigt, die zu seinem Tod führte.

Das Foto erschien in einer Bildergalerie in der Online-Ausgabe des Blatts. Andere Zeitungen brachten das Bild direkt auf der Titelseite ihrer Printausgaben, so die Los Angeles Times und die New York Daily News sowie diverse internationale Blätter, wie die Medienwebsite Poynter.org zusammenfasst. Entscheidungen, die nun in den USA kontrovers diskutiert werden. Zumal für die Bebilderung der Unruhen, bei denen in Bengasi in dieser Woche Stevens und drei Mitarbeiter getötet wurden, auch andere Fotos zur Verfügung standen. Der Frage, ob eine Grenze überschritten wurde, begegnete die NYT inzwischen mit einer Erklärung.

In einem Beitrag in eigener Sache auf der NYT-Website heißt es: "Um es klar zu sagen: Es war die richtige Entscheidung." Die Entscheidung nämlich, das Bild, das von der Nachrichtenagentur AFP geliefert worden war, zwar zu publizieren, aber eben nicht - wie bei anderen Medien - an prominentester Stelle, sondern als letztes Bild in einer Fotogalerie im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über die Unruhen in Libyen.

"Wir zögern nicht, Fotos von toten Irakern zu zeigen"

Zitiert wird in dem NYT-Beitrag die Argumentation des zum fraglichen Zeitpunkt verantwortlichen Online-Redakteurs Ian Fisher. Der sagt: "Es ist erschreckend, aber es gibt einen journalistischen Auftrag - es ist eine Nachricht." Und er begegnet den Beschwerden mit einer anderen Überlegung: "Wir zögern nicht, Fotos von toten Irakern, Syrern und dem toten Gaddafi zu zeigen. Wir sind seit Jahren im Krieg. Wir haben viele Leichen gezeigt." Er verstehe allerdings, dass Amerikaner beim Anblick von Landsleuten, besonders eines Diplomaten, verstörter reagierten.

Dennoch müsse man das Problem zu Ende denken, schreibt auch Fishers Kollegin Margaret Sullivan, die für den Leserkontakt zuständig ist, in dem NYT-Text: "Wenn man akzeptiert, dass jedes menschliche Leben denselben Wert und dieselbe Würde besitzt - und es keinen grundsätzlichen Widerspruch dagegen gibt, Tote aus anderen Ländern zu zeigen -, dann ist es schwer, sinnvoll gegen das zu argumentieren, was die Redakteure in diesem Fall entschieden haben."

In den Kommentaren zum Beitrag der Redakteure wird dennoch, wie zu erwarten, äußerst kontrovers weiter diskutiert.

Eine Anfrage des US-Außenministeriums, das Foto von Stevens komplett von der Website zu entfernen, verweigerte die New York Times, wie die Leserbeauftragte Sullivan in einem weiteren Onlinekommentar erläuterte. Der Nachrichtenwert des Bildes sei zweifellos vorhanden, außerdem habe man auf eine sensationslüsterne Präsentation bewusst verzichtet. Sullivan verwies Leser außerdem auf ein Interview mit der Medienwissenschaftlerin Barbie Zelizer im Onlinemagazin Slate zum Thema schockierender Fotos aus Konfliktkontexten. Hier würden wertvolle historische Perspektiven zum Thema aufgezeigt.

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