Bild und Hartz IV:Gifte dir deine Meinung

Seit Tagen unterstützt die Bild-Zeitung Guido Westerwelle bei seinem Feldzug gegen dekadente Hartz-IV-Schmarotzer. Mehr als unsachliche Stimmungsmache ist es nicht.

Carsten Matthäus

Preisfrage: Wie passt die Übersetzung eines populistischen Politikerzitates in eine schmissige Überschrift? Genau so: FDP-Chef Guido Westerwelle sagt: "Wer arbeitet, darf nicht der Depp der Nation sein!" Die Bild titelt daraufhin: "Bin ich dumm, wenn ich arbeite?".

Guido Westerwelle, Hartz IV, dpa

Mit der

Bild

-Zeitung zufrieden: FDP-Chef Guido Westerwelle beim Politischen Aschermittwoch in Straubing

(Foto: Foto: dpa)

Angesichts der Fakten, die auf der ersten und zweiten Seite des Boulevardblattes präsentiert werden, ist es eine rhetorische Frage und sie wird im letzten Satz auch von den Journalisten selbst beantwortet: "Wer arbeitet, ist der Dumme".

Die Belege allerdings, die die Bild-Zeitung für ihre wohlfeile, Westerwelle-taugliche Rhetorik anführt, sind alles andere als stichhaltig. Die vorgestellten Geringverdiener ärgern sich zwar unisono über ihr niedriges Einkommen und über vermeintlich höhere Hartz-IV-Bezüge.

Keiner von ihnen würde aber die Arbeit aufgeben, um sich mal ordentlich am Sozialstaat zu bedienen. So dumm kann es also nicht sein, täglich zur Arbeit zu gehen.

Faktencheck

Auch der so genannte Faktencheck hilft nicht wirklich bei der Beantwortung der Frage. Dort wird zwar erklärt, dass Hartz-IV-Empfänger ihr Obst billig beim Discounter kaufen können, die Klassenfahrten der Kinder vom Amt bezahlt werden, und man mit Hartz IV leckere Gerichte kochen kann. Klar wird aber auch, dass Arbeitslose über 50 kaum Chancen auf eine Stelle haben und dass es in ländlichen Gegenden schwieriger ist, eine Arbeit zu finden.

Fazit bis dahin: Wer auf Hartz IV angewiesen ist, verhungert nicht. Schlauer als ein arbeitender Mensch ist er aber ganz sicher nicht, allenfalls verzweifelter.

Weil das aber nicht ins gewünschte Bild der Zeitung passt, wird die eigene These mit einer wissenschaftlichen Studie untermauert. Doch auch hier wird unsauber argumentiert. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (ifw) hat zwar tatsächlich im Februar 2010 eine Studie zu Hartz IV publiziert, in der die Rede ist von "Zweifeln an der Sinnhaftigkeit" des Arbeitens.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was tatsächlich alles in der Studie steht.

Simple Stimmungsmache

Tatsächlich weisen die Autoren der Arbeit darauf hin, dass es für Hartz-IV-Empfänger aus mehreren Gründen problematisch ist, eine Arbeit aufzunehmen. So können beispielsweise alleinerziehende Mütter die für die Arbeit nötige Kinderbetreuung nicht finanzieren oder sie finden schlicht keinen Krippenplatz.

Solche und ähnliche Probleme werden in der Studie beleuchtet, deshalb trägt sie auch den Titel: "Die Hartz-IV-Falle: Wenn arbeiten nicht mehr lohnt". Nirgendwo ist in der Studie von schlauen Schmarotzern die Rede, die lieber stempeln gehen als zu arbeiten. Im Gegenteil: Klar wird, dass teils unüberwindbare Hindernisse eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt unmöglich machen.

"Wir haben kein Problem mit dem Zitat, den Zusammenhang würden wir so nicht herstellen", sagt ifw-Sprecher Jürgen Stehn auf Anfrage von sueddeutsche.de. "Es kommt aber immer wieder vor, dass wir - nicht nur von der Bild-Zeitung - instrumentalisiert werden".

Durchschaubares Frage-Antwort-Spiel

Es spricht nichts dagegen, eine Debatte zu Hartz IV groß aufzubereiten, eine vorgefasste Meinung mit einem durchschaubaren Frage-Antwort-Spiel zu "belegen", ist allerdings ärgerlich. Noch ärgerlicher wird es, wenn man bedenkt, dass die Zeitung mit simpler Stimmungsmache den schwelenden Frust einer wichtigen Zielgruppe bedient: 43 Prozent der Bild-Leser sind laut Medien-Analyse 2009 Arbeiter. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil bei 28 Prozent.

Zum Niveau der Bild-Debatte passt es, dass Westerwelle für seine populistischen Thesen "Unterstützung aus Brüssel" erhält. Und zwar von Silvana Koch-Mehrin, Vizepräsidentin des Europa-Parlaments. Dass dies die FDP-Politikerin ist, die ihren Job vor allem ihrem Parteichef Guido Westerwelle zu verdanken hat, muss man schon gar nicht mehr sagen.

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