"Bild"-Enthüllung über entführten Reporter:Schachzug im Kampf um die Macht im Dunkeln

Die "Bild"-Zeitung macht die Entführung eines Reporters publik. Aus Sorge um das Opfer war sie von der Branche lange unter Verschluss gehalten worden. Die ungehörige Enthüllung zeigt: Der Umgang mit Geheimdiensten verlangt von Journalisten besondere Kenntnisse.

Von Hans Leyendecker

Das Video, das auf Youtube zu sehen ist, zeigt einen Journalisten, der im Januar 2012 in einem afrikanischen Land Opfer einer Entführung geworden ist. Über seinen Kopf hat er eine rote Decke mit Blütenaufdruck gezogen, nervös knetet er die Finger. Zwei schwer bewaffnete Bewacher stehen hinter ihm, einer richtet einen Granatwerfer auf das Opfer. "Ich fürchte mich", sagt der Journalist.

Das Video ist knapp neunzehn Monate alt, der Journalist ist immer noch nicht frei und sein Schicksal blieb lange der deutschen Öffentlichkeit verborgen. Bei "Piracy News" stand im Internet früh etwas über ihn, und in strafblog.de schrieb im Mai 2012 der Anwalt eines afrikanischen Piraten über den Fall. Deutsche Behörden würden sich "sicher" in "enger Abstimmung mit US-Behörden" um die Freilassung bemühen, meinte der Verteidiger.

Viele Journalisten kannten die Geschichte des Entführten - und machten sie nicht publik. An diesem Dienstag aber stand der Fall des entführten Journalisten groß in Bild: "Vor 20 Monaten wurde ein Spiegel-Reporter in einem islamischen Land entführt. Seine Rettung hängt an NSA und BND". Und: "Warum der Spiegel auf die Hilfe von NSA & BND hofft".

Der Fall ist weit komplizierter

Ein Ausriss aus dem alten Video war beigefügt mit dem Zusatz, um den Reporter "nicht zu gefährden, nennt Bild seinen Namen nicht, macht ihn unkenntlich und verzichtet auf Details seiner Entführer". Daneben das Titelbild "Der Pakt" des Spiegel vom 22. Juli. In dieser Ausgabe hatte sich das Magazin besonders kritisch mit der "geheimen Zusammenarbeit von NSA, BND und Verfassungsschutz" beschäftigt.

Die Kombination aus Titelbild und Artikel kann man so verstehen: Die Kritiker des Dienstes sind undankbare Gesellen. Nur wenn sie selbst in Not geraten, brauchen sie die Geheimen. Die Bild-Leser erfahren, dass jene zwei Datensätze, die nach Angaben des BND an die NSA weitergereicht wurden, mit dem Fall des Journalisten zusammenhingen. Darüber habe der Spiegel nicht berichtet.

Welcher Informant auch immer den Einfall hatte, in der seltsam mäandernden Diskussion über die Arbeit der Geheimdienste mit dem Schicksal eines Opfers politisch Stimmung machen zu wollen, ist nicht bekannt. Eine Quelle ist eine Quelle, auch wenn sie stinkt.

Kein "Spiegel"-Reporter

Der Fall des angeblichen "Spiegel-Reporters" ist weit komplizierter als diese Feststellung. Denn der Entführte ist überhaupt kein Spiegel-Reporter. Für das Magazin hat er nie gearbeitet. Er ist freier Journalist, lebte in Berlin, schrieb Bücher und war Autor für viele amerikanische Blätter wie die Los Angeles Times. (Einige US-Blätter berichteten ausführlich über seine Entführung). Er stammt aus Kalifornien und ist amerikanischer und deutscher Staatsbürger. Mitte des vergangenen Jahrzehnts war er kurze Zeit bei Spiegel Online für die internationale Ausgabe fest angestellt, danach arbeitete er dort als freier Mitarbeiter, meist für vier Tage pro Monat - aushilfsweise. Zum Zeitpunkt der Entführung bestand gar kein Vertragsverhältnis mehr mit dem Hamburger Verlagshaus, weil der Journalist offenbar ein Buch über Piraten schreiben wollte. Er hatte dafür die Zusage von zwei Finanziers, darunter war auch ein Pulitzer-Stipendium. Mit dem Spiegel hatte der Entführte also nie etwas zu tun, mit Spiegel Online nicht mehr.

Auf die Veröffentlichung in Bild reagierte Spiegel Online am Dienstagnachmittag so: Das Boulevardblatt habe das Risiko für das Entführungsopfer "erhöht". Die Veröffentlichung in Bild sei ein "Tabubruch". - "Auf Bitten des Krisenstabes der Bundesregierung" habe der Spiegel - wie seinerzeit bei zwei in Iran entführten Reportern der Bild am Sonntag - "von einer detaillierten Berichterstattung abgesehen, um das Leben der Geisel nicht noch stärker zu gefährden". Eine Bild-Sprecherin weist "die Vorwürfe zurück. Bild ist seiner Berichterstattungspflicht nachgekommen. Die Berichterstattung ist dem Auswärtigen Amt vorab bekannt gewesen."

Auch die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen kannte den Fall und schwieg. Michael Rediske, einer der Vorstandssprecher der Organisation, sagt: "Grundsätzlich sind wir dazu da, für Öffentlichkeit zu sorgen, wenn Journalisten verhaftet oder entführt werden. Wenn aber die Familie oder das Medium - wie hier Spiegel Online - dringend um Geheimhaltung bittet, um den Betroffenen nicht zu gefährden, dann folgen wir dem."

Argwohn und Komplizenschaft

Der BND hat immer wieder mit dem Spiegel und mit Spiegel Online über Bemühungen zur Freilassung des Entführten gesprochen. Das Blatt und der Online-Dienst standen auch in Kontakt mit dem BND-Präsidenten Gerhard Schindler, und klar war von Anfang an, dass das Abhören von Telekommunikation, im Jargon des Gewerbes "Signal Intelligence" genannt, im Fall des Verschleppten nicht zu beanstanden war. Das gilt für solche Fälle immer.

Das FBI leitete wegen der Entführung ein Ermittlungsverfahren ein, die Bundesanwaltschaft auch. Ein Krisenstab der Bundesregierung beschäftigt sich seitdem hin und wieder mit dem Fall, bei dem die Lösegeldforderung unrealistisch hoch sein soll. Die deutschen Behörden haben sich, eine Zeit lang zumindest, als Junior-Partner der amerikanischen Behörden gesehen. Der Entführte hat vor einigen Monaten einen Spiegel-Redakteur angerufen, der in der Sicherheitsszene einen guten Ruf hat, und das Gespräch ist sowohl vom FBI als auch vom BND aufgezeichnet worden. Eine Abschrift des Telefonats liegt im Kanzleramt. Diese Abschrift ist als "streng geheim" eingestuft worden. Auszüge der Abschrift landeten schon vor Wochen bei Redaktionen, deren Mitarbeiter in der NSA-Affäre nicht durch Eifer auffielen.

Rücksicht auf das Leben der Geisel

Das Magazin Focus etwa konfrontierte vor zweieinhalb Wochen den Spiegel mit Fragen zu dem Fall und der NSA-Berichterstattung des Blattes. "Mit Rücksicht auf mögliche Gefahren für das Leben der Geisel haben die Kollegen dann von einer Berichterstattung abgesehen", erklärt Spiegel Online. Dann stand die Geschichte, von wem auch immer lanciert, plötzlich in Bild.

Geheimdienstler und Journalisten eint manches und trennt normalerweise vieles. Beide Berufsgruppen sammeln Nachrichten aus vielfältigen Quellen, die sie für ihre Auftraggeber aufbereiten, einordnen und analysieren. Aber der Auftrag des einen kommt vom Staat, die anderen wollen Bürger informieren.

Das führt zu dem absonderlichen Ergebnis, dass die einen das Produkt ihrer Arbeit in der Regel geheim halten, die anderen es aber publik machen wollen. Zwischen beiden Gruppen gibt es paradoxe Spannungen. Im Zwielicht von Argwohn und Komplizenschaft, Glorifizierung und Verachtung, Furcht und Überschätzung, Legenden und Lügen laufen bizarre Schattenspiele ab. Dienste lancieren geheimnisvolle Geschichten - richtige und fingierte.

Der Umgang mit Diensten verlangt besondere Kenntnisse über Akteure, Handwerk und Spielregeln des Metiers, weil die Zahl der möglichen Informanten wegen des Geheimnisgetues oft sehr begrenzt ist und Dementis nicht stimmen müssen.

In der laufenden NSA-Affäre, die von der riesigen Überwachung globaler Kommunikation handelt und nicht von einem Einzelfall, steht der Außenstehende, der diese Welt gar nicht kennt, ganz außen. Die Bild-Enthüllung ist da nur ein Schachzug im Kampf um die Macht im Dunkeln.

Wenn alles ein Skandal ist, ist nichts mehr ein Skandal

Für die weiter drinnen ist es ein Problem, dass nur ein Bruchteil des Materials, das der Whistleblower Edward Snowden mitgenommen hat, derzeit gesichtet werden kann. In Details kann es zu Verwirrungen und Irrungen kommen. Aus der Betrachtung einzelner Folien ist nicht immer eine Gesamtschau möglich. Es hat Überinterpretationen und Fehleinschätzungen gegeben. So stammen die vom Spiegel kritisch berichteten 500 Millionen Daten, die der NSA aus Deutschland geliefert wurden, offenbar aus Material, das der BND rechtmäßig im Ausland gesammelt hat.

Angesichts der Ungeheuerlichkeiten und riesigen Dimensionen brauchen Menschen Zahlen, mit denen sie irgendetwas anfangen können, und wenn diese Zahlen so nicht einzuordnen sind, wie sie eingeordnet wurden, wächst das Misstrauen gegen jegliche Skandalierung. Wenn alles ein Skandal ist, ist nichts mehr ein Skandal.

Ein Skandal ist der Fall des entführten Journalisten allemal. Und er wird in einem Land gefangen gehalten, in dem Journalisten und Journalismus nichts zählen. Allein in diesem Jahr wurden dort fünf Journalisten getötet. Im Vorjahr wurden 18 Journalisten umgebracht. Pressefreiheit existiert nur auf dem Papier. Es neues Mediengesetz soll Journalisten in diesem Land zwingen, auf Gerichtsanordnung ihre Quellen offenzulegen. Das ist überall auf der Welt ein Anschlag auf den Beruf - selbst wenn Quellen nur stänkern oder übel riechen.

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