Bestenlisten:Hauptsache Popcorn

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Nur ein Filmkuss? Kyle MacLachlan und Sheryl Lee in der Neuauflage der Serie Twin Peaks. (Foto: Suzanne Tenner/Everett Collection/dpa)

Ist "Twin Peaks" eine Serie oder doch der längste Film der Welt? Kino- und Fernsehkritiker führen eine Debatte über die Bedeutung ihrer Genres.

Von Karoline Meta Beisel

Was ist ein Film und was ist eine Serie? Es ist nicht lange her, da ließ sich die Antwort auf diese Frage mit wenigen einfachen Gegenfragen bestimmen: Läuft das Werk zuerst im Kino oder im Fernsehen? Kann man es am Stück bewältigen oder muss man sich jede Woche vor dem Fernseher einfinden? Aber einfach ist dieser Tage gar nichts mehr beim Content, um mal einen gleichermaßen hässlichen wie gattungsübergreifenden Begriff zu verwenden. Nicht nur das Personal wechselt heute munter zwischen großem und kleinem Bildschirm hin und her. Auch die Genres selbst haben ihre Konturen verloren: Wenn man Filmkritikern glauben mag, könnte der beste Film des Jahres tatsächlich eine Fernsehserie sein.

Das französische Filmmagazin Cahiers du cinéma hat die neue, dritte Staffel von Twin Peaks auf Platz eins der Jahresbestenliste gesetzt; die 188 Kritiker, die das britische Heft Sight & Sound befragt hat, halten die 18-teilige Fortsetzung zu David Lynchs genreprägender Serie aus dem Jahr 1990 immerhin noch für den zweitbesten Film des Jahres - hinter dem Rassismus-Horrorfilm Get Out, aber noch vor der Liebesgeschichte Call Me by Your Name.

Regisseur Lynch hat sein verrätseltes Werk, das der Pay-TV-Sender Showtime fürs Fernsehen produziert hatte, von Anfang an als 18-stündigen Film bezeichnet. Aber das alleine sollte nicht entscheidend sein: Ein Schokoriegel wird ja auch nicht zur längsten Praline der Welt, nur weil der Hersteller das behauptet. Der Ort der Premiere gibt auch keinen Hinweis mehr, seit Serien auf Filmfestivals gefeiert werden und Streamingdienste herausragende Filme produzieren, die nur im Kino laufen, um sich für die dem Kino vorbehaltenen Preise zu qualifizieren.

Was aber ist dann entscheidend? Ab wie vielen Folgen wird aus einem Mehrteiler eine Serie? Ist es wichtig, ob es nur ein langes Drehbuch gibt, wenn das fertige Werk am Ende in Folgen im Fernsehen zu sehen ist? Kann eine Geschichte ohne Cliffhanger eine Serie sein? Woher weiß Nico Hofmann, ob er etwas als Event-Serie oder als Event-Mehrteiler bewerben soll? Und was ist eigentlich mit Anthologien, bei denen die Figuren und manchmal auch die Regisseure in jeder Folge wechseln? Egal, Hauptsache Popcorn?

Besonders interessant an der Debatte, die die Bestenlisten vor allem in den USA ausgelöst haben, ist, wer sich da über die falsche Zuordnung beklagt. Denn es sind nicht etwa Filmemacher, deren Bestenlisten vom früher verpönten Fernsehen usurpiert werden. Es sind vor allem TV-Kritiker, die es leid sind, dass "wie im Kino" immer noch ein Qualitätsmerkmal für gutes Fernsehen sein soll, obwohl viele Filmemacher inzwischen lieber fürs Fernsehen als fürs Kino arbeiten. Der Vergleich mit dem Kino sei ein "verkümmerter Rest von 20 oder 30 Jahre altem Snobismus", schreibt Matt Zoller Seitz vom New York Magazine. Und weiter: "Kein Fernsehkritiker würde behaupten, dass ein Film die beste Serie des Jahres ist - es sei denn, er vergleicht ihn mit einer wirklich beschissenen Serie."

Wehrlos sind die Fernsehkritiker aber nicht. "Wenn die Filmleute Twin Peaks auf ihre Listen schreiben", so Emily Nussbaum vom New Yorker, "dann schnappe ich mir wahllos fünf Filme und nenne sie eine Anthologie und ihr könnt mich nicht daran hindern."

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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