Beleidigende Leserbriefe:"Jetzt war es mir zu viel"

Christiane Florin Redaktionsleiterin Christ und Welt

Christiane Florin, Redaktionsleiterin der Zeitschrift Christ und Welt.

(Foto: Antje Siemon)

Weil sie eine Anzeige ablehnte, in der das Wort "Meinungsdiktatur" vorkam, bekam Christiane Florin eine Flut von wüsten Hassmails. Um sich zu wehren, hat die Chefin der Zeit-Beilage Christ und Welt diese E-Mails jetzt veröffentlicht - mit den Namen der Absender.

Von Kathleen Hildebrand

"Sie kotzen mich an", "Meinungsdiktatorin", "Himmlerfresse". Das sind noch die harmloseren Antworten, die Christiane Florin, Redaktionsleiterin der Zeit-Beilage Christ&Welt, seit Wochen auf einen ihrer Artikel erhält. Sie hatte darin erklärt, warum die Redaktion eine Anzeige des katholischen Hilfswerks "Kirche und Not" abgelehnt hat: In der Anzeige lautete ein Punkt "Gegen den Strom von Meinungsdiktatur und Political Correctness". Gefährliches Pegida-Vokabular, fanden Florin und ihre Redakteure. Was folgte, war eine Flut an E-Mails, darunter wüste, sehr persönliche Beleidigungen gegen die Redaktionsleiterin. Um sich gegen die Unflätigkeiten zu wehren, hat die Christ&Welt zu einem radikalen Mittel gegriffen. Sie hat sie auf der Webseite der Beilage veröffentlicht. Mit den Klarnamen der Absender.

SZ.de: Frau Florin, haben Sie die Absender gefragt, ob Sie ihre E-Mails veröffentlichen dürfen?

Christiane Florin: Ich habe die meisten Absender gefragt, ob sie mit einer Veröffentlichung einverstanden wären. Manche waren regelrecht stolz darauf, veröffentlicht zu werden. Natürlich habe ich auch mit unserem Anwalt gesprochen - dadurch, dass alle Mails über unseren Leserbrief-Kanal gekommen waren, ging die Veröffentlichung in Ordnung.

Haben Sie trotzdem damit gehadert?

Wir haben in mehreren Redaktionskonferenzen darüber debattiert. Aber eigentlich war mir nach dem ersten Schock schnell klar, dass wir das öffentlich machen müssen. Ich wusste, dass ich für den Text, den ich geschrieben hatte, Kritik bekommen würde. Aber mit derartigen Diffamierungen hatte niemand in der Redaktion gerechnet. Hassmails erhalten ja nicht nur wir, sondern auch andere Redaktionen. Aber bei uns kommt noch die christliche Fallhöhe dazu. Gegen solche Unflätigkeiten kann man sich als Journalist nur wehren, indem man sie zeigt. Auch Journalisten müssen sich nicht alles gefallen lassen.

Haben Sie weitere Beleidigungen dafür bekommen, dass Sie die E-Mails veröffentlicht haben?

Ja, klar. Aber vor allem haben wir viele Mails von Christ&Welt-Lesern bekommen, die es richtig finden, diese Zuschriften zu veröffentlichen - und entsetzt sind über die Sprache dieser Leute. Diese beleidigenden E-Mails haben ja nicht unsere 'echten' Leser geschrieben, sondern Nichtleser, die von einschlägigen Homepages aufgehetzt worden sind. Diese Seiten hatten über unsere Ablehnung der Anzeige von "Kirche in Not" berichtet und darunter meine E-Mail-Adresse veröffentlicht. Die Leute konnten dann direkt ihre Wut loswerden.

Haben sich die beleidigenden Absender auch gemeldet?

Ja, mehrere haben sich nach der Veröffentlichung wieder gemeldet. Derjenige, der mich als "Himmlerfresse" tituliert hatte, fand, er sei ja noch harmlos gewesen, angefügt waren allerlei Zitate zur Gefährlichkeit des Islam. Ein anderer - der zumindest im Ton, wenn auch nicht im Inhalt gemäßigter war - hat sich etwas verbittert dafür bedankt, dass er durch die Veröffentlichung jetzt in diesem Umfeld auftaucht.

Das klingt sehr sarkastisch. Die Absender freuen sich also nicht, ein Podium für Ihre Zuschriften gefunden zu haben?

Nein, das glaube ich nicht. Natürlich gab es gab auch diejenigen, die schon einen Tag nach ihrer ersten Mail nachgefragt haben, wann die denn endlich veröffentlicht wird. Ob die jetzt noch so glücklich damit sind, weiß ich nicht.

Konnten Sie die Namen der Absender denn verifizieren? So ein gefälschtes E-Mail-Konto ist schnell eingerichtet.

Ich habe mit den meisten Absendern, deren E-Mails wir veröffentlicht haben, Mails gewechselt. Ihre Adressen wollten aber viele nicht offenlegen, deswegen konnten wir das nicht verifizieren. Wenn jemand denselben Namen wie einer der Absender hat, ist das natürlich blöd für ihn. Aber das haben wir in Kauf genommen. Wir glauben nicht, dass die Leser von Christ&Welt zu denselben Mitteln greifen, wie die Leser bestimmter Homepages.

Was wollen Sie mit der Veröffentlichung erreichen?

Zum einen hoffen wir, dass wir eine verbale Abrüstung erreichen, indem wir diese Unflätigkeiten zeigen. Zum anderen ist es ein Signal ins Innere der katholischen Kirche. Diese Leute behaupten ja alle von sich, Christen zu sein: Wir wollten der Kirche damit auch zeigen, dass sich an ihrem rechten Rand etwas tut. Dass es in manchen katholischen Kreisen selbstverständlich ist zu sagen, man lebe hier in einer Diktatur. Und Portale wie pi-news greifen das dann auf, um das Potenzial zu nutzen. Ich beobachte das schon seit Jahren. Jetzt spitzt sich diese Entwicklung zu.

Woher, glauben Sie, kommt die Unzufriedenheit dieser Leute?

Das sind Kränkungen, die diese Menschen schon lange mit sich herumtragen. Sie haben das Gefühl, fremd zu sein in dieser Gesellschaft und empfinden vieles als Niederlage. Zum Beispiel die Gleichberechtigung von Frauen und von Homosexuellen. Sie haben keine politische Heimat mehr und können schwer mit Widerspruch umgehen. Manchmal schicken diese Enttäuscht-Empörten kirchenkritische Artikel, die Katholiken geschrieben haben, auch gleich ans Staatssekretariat im Vatikan, nach dem Motto: Guckt, diese Katholiken sind nicht glaubenstreu, das ist Häresie, was die schreiben. Es gibt sicher auch am linken Rand des politischen Spektrums Diffamierungen, aber in der katholischen Kirche finden Sie diesen denunziatorischen Gestus auf der rechten Seite.

Befürchten Sie nicht, dass Menschen mit ähnlicher Haltung diese Zuschriften lesen und denken: Ah, da gibt es noch mehr wie mich?

Wir von Christ&Welt haben eher die Hoffnung, dass die, die noch auf der Kippe stehen, sich die Frage stellen, ob sie sich wirklich in einem solchen Milieu bewegen wollen. Und dass die katholische Kirche sich fragt, ob sie solche Verbündeten will. Ich bin nicht für Ausgrenzung, wünsche mir aber ein kritisches Wort zum Hass in den eigenen Reihen. Es reicht nicht, den Kölner Dom zu verdunkeln.

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