"Beckmann" in Bellevue:Geschichtsstunde mit dem Präsidenten

Schloss Bellevue Gauck

Der Bundespräsident im Schloss Bellevue, wo er Reinhold Beckmann empfing.

(Foto: Getty Images)

Ausnahmsweise ist Beckmann selbst mal der Gast: In Schloss Bellevue spricht er mit Bundespräsident Gauck über die großen Gedenktage in diesem Jahr. Zwischen zwei Weltkriegen und dem Mauerfall ist aber auch ein bisschen Zeit zum "Schnacken".

Eine TV-Kritik von Benjamin Romberg

Krieg. Schuld. Verantwortung. Das sind keine leichten Gesprächsthemen. Brötchen hingegen schon, also reden Joachim Gauck und Reinhold Beckmann erst einmal über den Gang zum Bäcker. Der sei für einen Bundespräsidenten nämlich gar nicht mehr so einfach, erzählt Gauck, daran habe er sich nach seinem Amtsantritt vor fast auf den Tag genau zwei Jahren erst einmal gewöhnen müssen. Und überhaupt, so ein Leben als Staatsoberhaupt, das habe auch seine Schattenseiten. Insgesamt jedoch, das muss Gauck schon zugeben, kann er sich nicht beschweren. Er formuliert das so: "Geht, nicht?"

Es geht, das findet Beckmann auch, und interessiert sich zunächst vor allem für das Interieur von Gaucks Arbeitsplatz, an dem das Interview stattfindet. Was für eine Büste das denn da sei? Und das Bild dort, habe das eine tiefere Bedeutung? Gauck berichtet, wie er in dem Zimmer, in dem die beiden sitzen, sonst andere Staatsoberhäupter empfängt. Diese bekommen dann Kaffee oder Tee serviert. Für Beckmann gibt es Wasser.

Was die Zuschauer am Donnerstagabend in der ARD zu sehen bekommen, ist keine Politiker-Homestory, wie man zunächst annehmen könnte. Nein, es ist eine Geschichtsstunde. 2014 ist ein Jahr mit mehreren wichtigen Gedenktagen und Gauck vielleicht der Präsident in der Historie der Bundesrepublik, dem das Gedenken am meisten am Herzen liegt. Deshalb ist Beckmann auf Schloss Bellevue gekommen - als Gast in seiner eigenen Sendung.

Mehr als eine Stunde blättern die beiden im Geschichtsbuch. Die Leitfragen für die Sendung: Welche Lehren sind aus der Geschichte zu ziehen? Und: Welche Verantwortung erwächst daraus für Deutschland?

1. Kapitel: Großmachtphantasien

Anlass: Der Beginn des Ersten Weltkriegs am 28. Juli 1914 jährt sich heuer zum 100. Mal.

Woran sich Gauck erinnert: an den Helm seines Großvaters. Den bewahrte dieser im Keller auf. Der Helm, klassisch mit Pickelhaube, hatte Spuren eines Streifschusses. Sein Träger war nur knapp dem Tod entgangen, sprach allerdings mit seiner Familie kaum darüber. Nur beim Skatspielen mit anderen ehemaligen Soldaten, "wenn er einen gehoben hat", sagt Gauck, wurden Erinnerungen ausgetauscht.

Bedeutung heute: Gauck sieht Parallelen zum Krim-Konflikt. Russland praktiziere eine "Machtpolitik wie vor 100 Jahren", kritisiert er. Allerdings glaubt er nicht an die Gefahr eines Flächenbrands. Das würden die Staatenorganisationen wie Nato oder EU verhindern, außerdem fehle bei den anderen Ländern der "nationalistische Eifer", der im Ersten Weltkrieg entscheidend war. Trotzdem beurteilt Gauck die Lage als kritisch: "Wir müssen uns Sorgen machen", sagt er.

2. Kapitel: Schuld

Anlass: Am 1. September ist der 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs.

Woran sich Gauck erinnert: an seine Eltern vor dem Fernseher. Es lief "Die Geschichte der Familie Weiss", ein mehrteiliger amerikanischer Film aus den 70er Jahren. Er erzählt die (fiktive) Geschichte einer jüdischen Familie während des Holocaust. Seine Eltern hätten Tränen in den Augen gehabt, erinnert sich Gauck. Er erzählt von dem Konflikt mit seinem Vater, bei dem es vor allem darum ging, wie viel dieser gewusst hatte oder hätte wissen sollen. Erst 1955 war er aus einem sibirischen Gulag zurückgekehrt. "Mein Vater war ein wirkliches Opfer", sagt Gauck. Es sei schwer, einem solchen Mann Vorwürfe zu machen.

Bedeutung heute: Wie konnte so etwas wie der Holocaust passieren? "Diese Frage wird mich durch mein ganzes Leben begleiten", sagt Gauck. Er fühle sich der Schuld der Vorgänger-Generation sehr nah - und das müsse er auch zeigen. Gezeigt hat Gauck das erst vor zwei Wochen wieder, als er als erster deutscher Bundespräsident das griechische Dorf Lyngiades besuchte. Dort hatte die deutsche Wehrmacht 1943 ein Massaker an der Zivilbevölkerung verübt. Vor fremdenfeindlichen Strömungen im heutigen Deutschland habe er keine Angst, stellt Gauck klar. "Wir sind eine starke Demokratie", sagt er.

3. Kapitel: Freiheit

Anlass: Der Mauerfall am 9. November 1989 jährt sich 2014 zum 25. Mal.

Woran sich Gauck erinnert: an die "schönsten Momente meines Lebens". Für ihn sei nicht der Tag des Mauerfalls an sich wichtig gewesen, sagt er, sondern die Momente, als er gemeinsam mit den anderen Menschen auf der Straße gewesen sei, um zu demonstrieren. "Da hat man Freiheit wirklich gelebt", sagt Gauck.

Bedeutung heute: Die Unterschiede zwischen Ost und West seien immer noch spürbar, sagt der Bundespräsident. Wie man aufgewachsen sei, präge Verhaltensmuster und Lebenswege. Allerdings würden die Unterschiede immer kleiner, stellt Gauck fest, "bei jungen Menschen merkt man es gar nicht mehr".

Die eigentlich spannende Frage am Schluss

Als die Gedenktage abgearbeitet sind, kommen Beckmann und Gauck zur eigentlich spannenden Frage: Welche Rolle soll Deutschlands heute einnehmen? Auf der Sicherheitskonferenz in München Ende Januar hatte Gauck für viel Aufsehen gesorgt, als er forderte, Deutschland müsse außenpolitisch mehr Engagement zeigen. Wohl auch wegen der Aufregung damals scheut der Bundespräsident nun ähnlich deutliche Worte. Aus Friedfertigkeit dürfe nicht Verantwortungsscheu werden, mahnt er allerdings. "Schuldig kann man auch werden, wenn man nicht eingreift." Als Beispiel nennt er den Völkermord in Ruanda 1994.

Und weil das nun wieder so ein schweres Thema war, lenkt Beckmann die Sendung zum Schluss doch wieder Richtung Homestory. Ob es denn in Schloss Bellevue einen Ort gebe, an dem Plattdeutsch gesprochen werde, will der Norddeutsche Beckmann vom in Rostock geborenen Gauck wissen. Und die beiden "schnacken" bis zum Abspann.

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