BBC in der Krise:Vergiftete Ratschläge von Rupert Murdoch

Bei der BBC folgt ein Rücktritt auf den anderen, der Sender befindet sich in der schlimmsten Krise seiner 90-jährigen Geschichte. Und schon meldet sich Medien-Tycoon Murdoch zu Wort und fordert eine komplette Neuorganisation des Senders - natürlich zu seinem eigenen Vorteil.

Christian Zaschke, London

The BBC headquarters at New Broadcasting House is seen in London

BBC-Hauptquartier in London: "Der BBC-Schlamassel ist eine goldene Gelegenheit für Cameron, den großen öffentlich-rechtlichen Sender neu zu organisieren", fordert Medienmogul Murdoch auf Twitter.

(Foto: Reuters)

Den ganzen Montag über standen BBC-Journalisten vor dem Londoner BBC-Hauptquartier und befragten andere BBC-Journalisten zur Krise bei der BBC. Diese Gespräche übertrug der Nachrichtenkanal BBC News live. Bisweilen wurde ins Innere des BBC-Gebäudes geschaltet, wo weitere BBC-Journalisten sich vom kommissarischen BBC-Generaldirektor über die neuesten Entwicklungen informieren ließen.

Mehr Nabelschau ist schwer vorstellbar, und eins kann man der BBC wirklich nicht vorwerfen: dass sie versuche, ihre Krise kleinzureden. Die Szenerie mit all den BBC-Leuten, die BBC-Leute interviewten, wirkte wie ein Sketch der legendären Komikergruppe Monty Python. Sie hätte witzig sein können, wenn es nicht im Kern um ein überaus ernstes Thema gegangen wäre: die Zukunft der BBC.

Der Sender erlebt die größte Krise seines 90-jährigen Bestehens. Nachdem am Samstagabend der Generaldirektor George Entwistle zurückgetreten war, verkündete die BBC am Montag, dass die Nachrichtenchefin Helen Boaden und ihr Stellvertreter Stephen Mitchell ihre Posten vorübergehend ruhen lassen. Dass Entwistle, der lediglich 54 Tage im Amt war, als Abfindung ein volles Jahresgehalt in Höhe von 450.000 Pfund erhalten soll, haben am Montag Politiker aller Parteien scharf kritisiert. Derweil beschäftigen sich mehrere interne Untersuchungen mit dem journalistischen Versagen des Senders, und das Aufsichtsgremium BBC Trust hat die schwierige Suche nach einem neuen Generaldirektor begonnen. So turbulent ging es in der ehrwürdigen Rundfunkanstalt schon lange nicht mehr zu.

Gescheiterter Rehabilitationsversuch

Auslöser der Krise sind zwei Beiträge der renommierten Nachrichtensendung Newsnight. Einen hat die Redaktion aus dem Programm genommen, wünscht sich im Rückblick aber, ihn gesendet zu haben. Einen hat die Redaktion gesendet, wünscht sich im Rückblick aber, ihn aus dem Programm genommen zu haben. Im ersten Fall, der ein Jahr zurückliegt, geht es um einen Film, in dem schwere Missbrauchsvorwürfe gegen den verstorbenen BBC-Entertainer Jimmy Savile erhoben wurden. Der Film wurde nie gezeigt, erst Anfang Oktober machte der Konkurrenzsender ITV öffentlich, dass Savile ein Kinderschänder war.

Im zweiten Film wurde vor gut einer Woche ein ehemaliger konservativer Politiker beschuldigt, sich in den Siebziger- und Achtzigerjahren am Missbrauch von Kindern in einem Heim in Wales beteiligt zu haben. Zwar nannte die BBC dessen Namen nicht, sie gab jedoch so viele Hinweise, dass die Identität des Beschuldigten im Internet umgehend gelüftet wurde. Das Problem: Die Vorwürfe erwiesen sich am Freitag als haltlos, was die Redaktion mit minimaler Recherche hätte herausfinden können. Es gilt als sicher, dass einige Newsnight-Redakteure sich nach dem nicht gesendeten Savile-Beitrag durch besonderen Mut im zweiten Fall rehabilitieren wollten. Das ging furchtbar schief.

Was Familie Murdoch fordert

Die Politik betrachtet die Vorgänge in der BBC mit Argwohn. Zwar erklärte 10 Downing Street, der Amtssitz von Premierminister David Cameron, es handle sich nicht um eine existenzielle Krise des Senders, aber die Verantwortlichen müssten die Sache nun schnellstens in den Griff bekommen. Konsequenzen wurden keine angedroht, doch ist es ein offenes Geheimnis, dass insbesondere viele konservative Politiker der oft schonungslos kritischen BBC nicht wohlgesinnt sind und sich mit einer stärkeren Regulierung des Senders anfreunden könnten. Auch eine drastische Kürzung der Mittel wird aus konservativen Kreisen immer wieder gefordert.

Wie ernst es um die BBC steht, lässt sich auch daran ablesen, dass Rupert Murdoch sich wieder zu Wort meldet. Der Medientycoon ist in Großbritannien seit dem Abhör- und Bestechungsskandal um seine Boulevardblätter News of the World und The Sun diskreditiert. Als größter Anteilseigner am Privatfernsehkonzern BSkyB ist ihm die Macht der mit Gebührengeld finanzierten BBC seit Langem ein Dorn im Auge. "Der BBC-Schlamassel ist eine goldene Gelegenheit für Cameron, den großen öffentlich-rechtlichen Sender neu zu organisieren", schreibt er jetzt auf Twitter. Ein weiterer Eintrag lautet: "Der BBC-Schlamassel gibt Cameron die Gelegenheit zum Neuordnen und Verbessern. Und auf die Kabinettskollegen zu hören, die nicht bei den Liberaldemokraten sind." Murdoch meint diejenigen unter den Konservativen, die von der BBC so wenig halten wie er selbst.

Die Familie Murdoch fordert seit Langem, dass die BBC sich auf die Bereiche konzentriert, die nicht von kommerziellen Medien-Anbietern abgedeckt werden können, sprich: auf die unprofitablen. Rupert Murdochs Sohn James hat 2009 in einer viel beachteten Vorlesung die Vorstellungen der Familie formuliert. Die BBC betreibe "Landraub", sie dränge mit ihrem Gebührengeld als steuerfinanziertes Unternehmen die Konkurrenz aus dem Wettbewerb. Staatlich alimentierter Journalismus, so Murdoch, sei eine Gefahr für die Meinungsvielfalt und die Unabhängigkeit der Nachrichten. "Es scheint", sagte Murdoch, "als habe sich unsere Gesellschaft dazu entschieden, Meinungsvielfalt und Unabhängigkeit verdorren zu lassen."

Im Klartext bedeutet das: Die Murdochs wollen eine radikale Gebührenkürzung und eine massive Verkleinerung der BBC. Nachdem sie im vergangenen Jahr den wohl größten Skandal der britischen Mediengeschichte im eigenen Haus verwalten mussten, hatten sie ihre diesbezügliche Lobbyarbeit eingestellt. Allerdings nur vorübergehend, wie sich nun zeigt.

Der kommissarische Generaldirektor Tim Davie sagte am Montag, dass es vorerst keine weiteren Beurlaubungen oder Rücktritte geben werde, bis die internen Untersuchungen abgeschlossen seien. Er habe vorübergehend eine klare Kommandostruktur eingeführt, um eine enge Kontrolle zu haben; normalerweise arbeiten die einzelnen Abteilungen der BBC vollkommen unabhängig. Der BBC Trust will innerhalb weniger Wochen einen neuen Generaldirektor oder eine Generaldirektorin benennen. Dessen oder deren schwierigste Aufgabe wird darin bestehen, das Vertrauen in die BBC wiederherzustellen und die Unabhängigkeit des Senders gegen Eingriffe aus der Politik zu verteidigen.

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