Ausstiegs-Performance:Die Messe ist gelesen

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Plötzlich Kritiker: Bettina Reitz, Wolfgang Herles und die neue öffentlich-rechtliche Exit-Strategie für langjährige Mitarbeiter.

Von Claudia Tieschky

Kommenden Montag wird Lutz Marmor wieder nach Kräften Werbung für die ARD machen, diesmal sogar im eigenen Programm und moderiert von Sandra Maischberger, der Lieblingsfachkraft von Helmut Schmidt. Marmor, der ARD-Vorsitzende und NDR-Intendant, wird zusammen mit Tom Buhrow vom WDR in einer Live-Sendung laut Ankündigung den Zuschauern im Studio Fragen beantworten und dabei natürlich auch auf Mails und Twitter reagieren, um zu erfahren, "was wir verbessern können". Es wird sicher total spannend. Vermutlich muss Marmor sowas aber einfach machen, wenn die ARD jetzt trotz ihres Milliarden-Etats schon wieder mehr Geld braucht, wie er kürzlich erklärt hat.

Wäre Lutz Marmor ein Mann mit wirklichem Trendgespür, dann würde er jetzt schon mal vorbereiten, was er der Öffentlichkeit nach seinem Ausscheiden in ein paar Jahren erklärt. Da würde er dann sagen, wie schrecklich er das öffentlich-rechtliche System wirklich findet, warum er den BR noch nie leiden konnte und die ARD für weniger beherrschbar als das Fliegende Spaghettimonster hält. Das alles tut Lutz Marmor natürlich nicht wirklich. Aber als öffentlich-rechtlicher Apparatelenker sollte er nicht vorschnell diese Exit-Strategie verwerfen - die sich im Moment gerade als Modell für Leute herausbildet, die etwas länger in den sogenannten verkrusteten Systemen von ARD und ZDF tätig waren, aber ganz zum Schluss lieber Kritikfähigkeit vorzeigen.

Wie diese neue Ausstiegs-Performance aussieht, mit der man vom gebührenfinanzierten Mitarbeiter zum Großkritiker des Systems wird, hat in diesem Jahr zum Beispiel der langjährige Aspekte-Leiter Wolfgang Herles gezeigt. Herles, der praktisch sein gesamtes Berufsleben bei den Öffentlich-Rechtlichen verbracht hat und vom ZDF zum Ende seiner Karriere noch die Literatursendung Das Blaue Sofa geschenkt bekam, hat ein Buch geschrieben, in dem er ARD und ZDF für Substanzverlust und Quotenwahn geißelt, für teure Sportrechtekäufe, Gebührenbräsigkeit und Markus Lanz - und er hat dafür viel Beifall erhalten. In Die Gefallsüchtigen betextet Herles auf mehr als 200 Seiten die ganze Misere. Und es erscheint leider erst kurz bevor er in Rente geht.

Die zweite prominente Abrechnung lieferte diese Woche Bettina Reitz. Die scheidende Fernsehdirektorin des BR, die als Präsidentin zur Münchner Hochschule für Fernsehen und Film wechselt, erklärte im Gespräch mit der Zeit, die Jugend sei für das öffentlich-rechtliche Fernsehen sowieso schon verloren. Der "gesamtgesellschaftlichen Aufgabe", die Jugend einzubinden, hätten sich Sender und Politik gemeinsam stellen müssen. Das sei aber nicht geschehen: "Man sollte die Kleinteiligkeit der Entscheidungen in einem Hörfunk- und TV-System wie der ARD nicht unterschätzen", sagte Reitz und bestätigte das, was Kritiker schon immer behauptet hatten: "Jeder agiert nach seinen Interessen, es gibt keine Gesamtstrategie". Zudem, so Reitz, sei die Kultur in die Ecke geschoben worden. "Meine eigenen Interessen, all das, was ich mit Freunden diskutiere, findet nicht genügend Widerhall."

Dazu muss man sagen, dass Bettina Reitz in den vergangenen zehn Jahren als Wunderfrau der ARD gehandelt wurde, als Kraft mit Intendantenbefähigung. Sie setzte als Fernsehspielchefin des BR die Ko-Finanzierung der später mit dem Oscar ausgezeichneten Filme Das Leben der Anderen und Das weiße Band durch und verantwortete Türkisch für Anfänger; ihr exzellenter Ruf brachte sie 2011 an die Spitze der ARD-Filmtochter Degeto, die sie schon nach einem Jahr verließ, um BR-Fernsehdirektorin zu werden. Der BR aber glänzte zuletzt eher nicht mit tollen TV-Serien für junge Zuschauer, die Reitz jetzt fordert, sondern fiel mit einem Werbeauftritt von Markus Söder in der Soap Dahoam is dahoam auf. In diesen Jahren war Bettina Reitz verantwortlich.

Wäre, ganz ernsthaft, dieses öffentlich finanzierte Rundfunksystem mit sieben Milliarden Budget jährlich nicht ein ganz anderes, wenn Leute wie Herles und Reitz Debatten in aller Öffentlichkeit schon anzetteln würden, so lange sie damit noch etwas ändern können? Und gibt es eine geheime Macht bei ARD und ZDF, die sie daran hindert? Ist es vielleicht die Macht des öffentlich-rechtlich gesicherten Gehalts?

Es ist aber vielleicht nicht zu spät. Nur so eine Idee: Muss Lutz Marmor für Montag nicht ganz, ganz dringend Bettina Reitz und Wolfgang Herles einladen?

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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