"Auslandseinsatz" im Ersten:Was tun wir hier eigentlich?

Sie sind völlig fremd in einem Land und sollen helfen. Stattdessen geraten sie an die Grenzen ihrer eigenen Möglichkeiten. Zum ersten Mal zeigt die ARD einen erstaunlich authentischen Spielfilm über deutsche Soldaten in Afghanistan.

Joachim Käppner

Auslandseinsatz ARD Film über Soldaten in Afghanistan

Im engsten Kontakt mit der Zivilbevölkerung: Ronnie (Hanno Koffler) und Yasin (Ayoub Tarchani), der Sohn des Malik, werden Freunde.

(Foto: WDR/Relevant Film/Grischa Schmit)

Ein Bus in Nato-Tarnfarbe rumpelt durch die afghanische Wüste, auf dem Weg zu einem Außenposten der Bundeswehr. Die Neulinge drinnen, junge Soldaten, starren bedrückt auf die Mondlandschaft. Einer sagt zu seinem Kameraden mit Migrationshintergrund: "Mensch Ali, das wird nicht leicht für dich hier. Weit und breit keine Dönerbude." Antwort: "Ich bin kein Türke, du Patient."

So ungefähr reden, nicht ganz ernst gemeint, Soldaten gern mal miteinander. So beginnt Auslandseinsatz, ein von Till Endemann inszeniertes WDR-Drama über die Bundeswehr und den Krieg in Afghanistan. Und eigentlich ist es nicht ein, sondern überhaupt der erste deutsche Spielfilm, der sich wirklich mit der Realität im Einsatzland auseinandersetzt: zwölf Jahre nach Beginn der Mission, bei der Dutzende Soldaten gefallen sind.

Allein dieser Umstand symbolisiert das Desinteresse, das große Teile der Gesellschaft an dem haben, was ihre Soldaten dort in der Fremde erleiden und erleben. Es gibt natürlich Dokudramen - derzeit wird Entscheidung bei Kunduz gedreht, mit Matthias Brandt als Oberst Klein, der 2009 jenen verhängnisvollen Bombenangriff von Kundus anordnete. Fiktional ist wenig entstanden: einige Filme über die Probleme traumatisierter Rückkehrer (Nacht vor Augen); der Einsatz dient immer mal wieder als erzählerischer Hintergrund, etwa für den Tatort; es gibt einzelne gelungene Romane (Dirk Kurbjuweit, Die Kriegsbraut) und Erinnerungen von Ex-Soldaten, die nicht viele Leser finden. In den Öffentlich-Rechtlichen ging der Spruch um: Afghanistan zur besten Sendezeit, um 20.15 Uhr, das gehe gar nicht.

Der Krieg kommt ins Wohnzimmer

Jetzt geht es, dank eines ehrgeizigen Produktionsteams, also doch. Der Krieg, der so lange offiziell keiner sein durfte, kommt ins Wohnzimmer. Natürlich, dies ist keine Dokumentation, sondern ein Spielfilm, er erlaubt sich einige Freiheiten, begonnen beim bemerkenswerten Ungeschick der Hauptfiguren im Umgang mit ihrem Gewehr. Als es ihnen dennoch gelingt, in einem Feuergefecht mehrere in dieser Hinsicht noch unbegabtere Talibankämpfer niederzustrecken, vertuscht ihr Offizier den Vorfall. Die Heimat dürfe nicht erfahren, dass hier wirklich Krieg herrsche. Wer auch nur eine vage Ahnung vom bürokratischen Apparat der Bundeswehr hat, der weiß: Dieser Mann würde, wenn überhaupt, seine Karriere beim Bewachen eines Munitionslagers in der ostdeutschen Provinz beenden.

Auch der schnarrende Appell im Feldlager ist dort eher weniger angesagt, da ist das Militär lockerer als der Film. Und wenn der Hauptfeldwebel mit einem Dorfältesten den Deal macht, dass seine Soldaten dessen Opiumfelder bewachen und die Mädchen des Dorfs dafür zur Schule gehen dürfen, ist das ein Märchen aus tausendundeiner afghanischen Nacht.

Dennoch ist Auslandseinsatz ein atmosphärisch dichter, gelungener Film; er zeigt auf allen Seiten Menschen vor Entscheidungen, auf die sie nichts und niemand vorbereitet hat. Vor allem schildert er Soldaten in einem unvorstellbar fremden Land, die sich sehr bald die Frage stellen: Was tun wir hier eigentlich? Welchen Sinn hat es? Und wenn es überhaupt Sinn hat, warum wollen wir dann so schnell wie möglich abziehen?

Frauen als Kollateralnutzen

Im Mittelpunkt steht ein "Cimic"-Team, Soldaten der Truppe von der "zivil-militärischen Zusammenarbeit", wenn man so will bewaffnete Entwicklungshelfer der Bundeswehr; eine gute Idee des Drehbuchs. Diese Teams sind jene, die den engsten Kontakt mit der Zivilbevölkerung haben. Der Idealist Daniel Gerber (Max Riemelt), der ruppige Ronnie Klein (Hanno Koffler, der schon in Nacht vor Augen mitgespielt hat) und der afghanischstämmige Unteroffizier Emal Demir (Omar El-Saeidi) bauen in Milanh eine Schule auf - und werden bald Teil der afghanischen Tragödie, als sie versuchen, einem traumatisierten Mädchen zu helfen.

Das ist ein interessanter Aspekt des Films, ein klein wenig blauäugig, aber im Kern durchaus realitätsnah. Cimic-Einheiten versuchen tatsächlich, Schulausbildung und Status der Mädchen in Afghanistan zu verbessern; die Bundeswehr beschäftigt eigene Gender-Beraterinnen, und bei den Abzugsplanern ist die Sorge erheblich, was denn nach 2014 Afghanistans Frauen und Mädchen droht, sollten die Taliban wieder an die Macht kommen.

Was droht, zeigt der Film in brutaler Form: Übergriffe der Untergrundkämpfer, Terror gegen Kinder, abgeschnittene Finger, Zwangsheirat. Das Argument, der Nato-Einsatz gegen Taliban und al-Qaida nach 9/11 habe die Frauen, quasi als Kollateralnutzen, zumindest aus einem Zustand der völligen Rechtlosigkeit befreit, gilt in deutschen Friedenskreisen übrigens als politisch unkorrekter Versuch, vom Nato-Militarismus abzulenken. Offensichtlich kennt auch die Gleichberechtigung Grenzen.

In seinen besseren Momenten hat Auslandseinsatz etwas von der Wucht amerikanischer Kriegsfilme wie The Hurt Locker, welche die Verlorenheit des Einzelnen in einer brutalen Welt zum Thema haben. Sie zweifeln immer mehr an dem, was sie tun sollen, bis sie in Situationen geraten, in denen Befehl gegen Gewissen steht, jede Wahl die zwischen zwei Übeln ist.

Authentischer Soldaten-Alltag

Der Film zeigt überdies relativ authentisch den Alltag vieler Soldaten: der staubige Außenposten, die mit Glühbirnenkette und Flachbildschirm ausgestattete "Betreuungseinrichtung"; vor allem aber die Grenzen der eigenen Möglichkeiten, etwas zu verbessern in einem Land, auf dem Hass und Gewalt liegen wie ein alttestamentarischer Fluch. Was er nicht zeigt, und in der verdichteten Handlung auch nicht zeigen kann, ist die Monotonie, die Ödnis gleichförmiger Dienste.

Gedreht wurde natürlich nicht in Afghanistan, sondern in Marokko, das ganz ähnlich entrückte Landschaften bietet. So oft waren vor allem angelsächsische Regisseure schon dort, dass die üblichen Taliban-und Terroristendarsteller, wie das Filmteam erlebte, sich ihre Fundamentalistenbärte erst gar nicht mehr abrasieren.

Auslandseinsatz entwickelt sich immer mehr zu einem düsteren Film. Ideale werden zerrieben, Hoffnungen geweckt und zerstört, Menschen getötet. Das Dorf Milanh und sein Ältester Jamil (Vedat Erincin) versuchen zu überleben und geraten zwischen alle Fronten: Mördertrupps der Taliban, schießwütige US Special Forces - und die Aufbauhelfer der Bundeswehr, die das Beste wollen, aber damit eine Eskalation der Gewalt auslösen, die Jamal nicht mehr kontrollieren kann. "Ich wollte jemanden zeigen, der letztlich den Preis für die Vorstellungen und Überzeugungen anderer zahlen muss", sagte Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt: "Jamal repräsentiert jene Afghanen, die von den Taliban ermordet werden, wenn sich die Nato-Truppen in zwei Jahren aus dem Land zurückziehen." Es ist zu fürchten, dass er recht hat. Und sich die Frage nach dem Sinn dieses Einsatzes dann erst richtig stellen wird.

Auslandseinsatz. ARD, Mittwoch, 20:15 Uhr

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