Aufregung um schwulen Bundesligaprofi:Im Griff der Sensationsgier

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In einem anonymen Interview spricht ein Fußballprofi über seine Angst, sich öffentlich zu seiner Homosexualität zu bekennen. Vor dem Coming-out fürchtet er sich vor allem wegen der Sensationslust der Presse. Wie das Gespräch zustande kam - und warum die Sorge des Fußballers als nicht unbegründet erscheint.

Felicitas Kock

Mit Interesse hatte Adrian Bechtold gerechnet, mit der aktuellen Welle medialer Aufmerksamkeit nicht. Sein Interview in der Onlineausgabe des Jugendmagazins Fluter, das von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird, gibt tiefe Einblicke in das Leben eines schwulen Profifußballers. Dass der Bundesligaspieler dabei anonym bleibt, scheint die Aufregung um das Thema nur weiter anzuheizen.

Der Interviewte beschreibt in knappen Worten die Diskrepanz zwischen seiner Homosexualität und dem "männlichen Stereotyp", das er als Fußballer nach außen hin präsentiert. Er erzählt davon, wie er sein Privatleben für seine Sportlerkarriere opfert - und weist immer wieder darauf hin, dass er kein Einzelfall ist: "Ich weiß von mehreren Spielern in der Liga. (...) Gesprochen wird kaum darüber, aber eigentlich müsste jeder Bescheid wissen."

Im Interview geht es viel um die Angst vor den Fußballfans, vor Anfeindungen innerhalb und außerhalb des Stadions, mit denen der Spieler im Falle eines Outings rechnet. Noch schwerer aber wiegt die Furcht vor einer Hetzjagd in den Medien. "Entweder spaziere ich mit meinem Freund zu einem Event und bin danach drei Wochen in allen Medien oder berufe mich auf meine Privatsphäre und belüge mich selbst. Es gibt einfach keine Lösung", sagt der Fußballprofi im Fluter.

Ein Interview, viele Nachfragen

Das enorme mediale Interesse bekommen der Sportler und vor allem sein Interviewer bereits jetzt zu spüren. Auf seiner privaten Homepage bittet Bechtold um Geduld, da er die vielen eingehenden Presseanfragen nicht alle gleichzeitig beantworten kann. Kaum ist ein Telefongespräch abgeschlossen, folgt das nächste. Auch in seinem E-Mail-Eingang häufen sich die Nachrichten, sagt er.

Dabei hatte er sich gemeinsam mit dem Interviewten gezielt für eine Veröffentlichung in einer kleineren Publikation entschieden - im Fluter. Doch dann wurden andere Medien auf das Interview aufmerksam, Auszüge daraus sind fast überall zu lesen. Spätestens seitdem die Bild-Zeitung und Bild.de Teile des Interviews publiziert hätten, sei das Interesse extrem gewachsen, sagt Bechtold. Am Thema als solchem - aber auch an der Identität des anonymen Fußballprofis.

Eine Fälschung?

"Ich werde vor allem indirekt von Journalistenkollegen danach gefragt", sagt Bechtold, "teilweise auch mit harten Methoden". Ein Reporter einer Boulevard-Zeitung habe versucht, ihn unter anderem mit der Anschuldigung aus der Reserve zu locken, bei dem Interview handle es sich um eine Fälschung.

Ein Vorwurf, den er sich öfter gefallen lassen muss - ein anonymes Interview mit einem angeblich schwulen Fußballprofi ruft Zweifler auf den Plan. Warum sollte sich ein Sportler, der Angst vor einem Coming-Out hat, auch ausgerechnet einem Journalisten anvertrauen?

"Es war ja nicht so, dass ich einfach angerufen habe und wir dann das Interview gemacht haben", erklärt Bechtold. Im Gegenteil, er habe lange zu dem Thema recherchiert, dann ein knappes Jahr immer wieder mit dem Spieler Kontakt gehabt, ohne dass je festgestanden habe, dass einmal ein Interview erscheinen würde. Schließlich habe der Fußballer die Veröffentlichung von sich aus angeregt - unter der Voraussetzung, dass sein Name nie ohne seine Einwilligung an die Öffentlichkeit geraten würde. Auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung ist daher laut Bechtold nur ein kleiner Kreis von Personen eingeweiht.*

Tatsächlich, und so erklärt auch Bechtold seinen Zugang zu dem Thema, gibt es eine Menge Leute, die von der Homosexualität der betreffenden Fußballspieler wissen - oder zu wissen glauben. "Ich habe mich viel mit Kollegen unterhalten und dabei sind immer die Namen von fünf, sechs Profisportlern gefallen", sagt der Journalist. Er habe sich gewundert, warum nie etwas herausgekommen war, obwohl jeder Bescheid zu wissen scheint. Deshalb habe er mit der Recherche begonnen. Die Bereitschaft des Spielers, gerade mit ihm zu sprechen, erklärt sich Bechtold mit der langen Zeit, die er sich genommen habe, um Vertrauen aufzubauen.

In den Medien kochte das Thema "Homosexualität im Profifußball" in jüngerer Vergangenheit immer öfter hoch. Der Begriff "Schwulencombo" fiel mehr als einmal. DFB-Chef Theo Zwanziger sah sich im Jahr 2010 genötigt, vehement ein Ende der Ausgrenzung Homosexueller im Fußball zu fordern. Gibt man bei Google die Namen einzelner Fußballspieler ein, bietet die Suchmaschine in vielen Fällen das Wort "schwul" als automatische Vervollständigung an ( diese Google-Funktion ist aktuell durch den Fall Bettina Wulff in der Diskussion). Obwohl das Thema unübersehbar im Raum steht, hat bislang noch kein aktiver Profifußballer in Deutschland gewagt, offen Stellung zu beziehen.

Im Netz wird Bechtolds Interview von vielen als "erster Schritt in die richtige Richtung" gelobt ( siehe Kommentare bei Fluter). Dass der Interviewte anonym bleiben will, wird hier größtenteils mit Verständnis aufgenommen - auch wenn immer wieder deutlich wird, dass sich viele eine nicht-anonymisierte Stellungnahme gewünscht hätten.

* Nach Veröffentlichung des Artikels hat sich Adrian Bechtold bei Süddeutsche.de gemeldet um klarzustellen, dass er sich mit seiner Aussage, ein kleiner Kreis von Personen sei eingeweiht, nicht auf den Namen des Spielers, sondern lediglich auf Hintergrundinformationen zum Text beziehen wollte. Die Bundeszentrale für politische Bildung bestätigte, dass sie keine Kenntnis vom Namen des Fußballprofis hat.

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