"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" auf Arte:Verschollen im Romanmassiv

Viertausend Seiten in vier Stunden: Es dürfte unmöglich sein, Marcel Prousts hochkomplexe Erzählung "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" angemessen zu verfilmen. Nina Companéez hat sich dennoch an den Stoff gewagt. Arte zeigt das Desaster in zwei Teilen.

Johannes Willms

Mit dem Film ist es wie mit dem richtigen Leben: Kaum ein Regisseur lernt aus den Fehlern anderer. Den Beweis dafür liefert jetzt die 232 Minuten lange Verfilmung eines der Hauptwerke der Weltliteratur: "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust, eine hochkomplexe Erzählung, die thematisch aus sieben miteinander verknüpften Romanen besteht, in denen ein Erzähler als Protagonist auftritt.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Szene aus der Arte-Sendung "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Ein Fernseh-Zweiteiler soll alle sieben Achttausender des von Marcel Proust (Foto) geschaffenen Prosagebirges dem Publikum vermitteln. Das musste, wie erahnbar, schiefgehen. Bild: Sendeanstalt/Copyright

(Foto: Jacques Morell)

Diesen gewaltigen Stoff, dessen Akteure so gut wie ausschließlich den oberen Schichten der französischen Gesellschaft des Fin de Siècle angehören, deren Leben und Treiben bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg im Roman aber lediglich die Staffage der Handlung ist, hat Nina Companéez in einen aufwendig gestalteten Fernsehfilm übersetzt.

Die, die sich wie Volker Schlöndorff oder Raúl Ruiz zuvor dem Stoff zuwandten, beschieden sich jedoch damit, nur einen Gipfel dieses Romanmassivs filmisch zu bezwingen. Nina Companéez plagte indes der Ehrgeiz, alle sieben Achttausender, um im Bild zu bleiben, des von Proust geschaffenen Prosagebirges mit einem Fernseh-Zweiteilers dem Publikum zu vermitteln. Das musste, wie erahnbar, schiefgehen.

Die Schwächen, mit denen schon die Versuche ihrer Vorgänger behaftet waren, werden hier nicht einfach nur verdoppelt oder verdreifacht, sondern summieren sich zu einem Desaster, von dem man nur hoffen kann, dass es jede und jeden, die oder der es künftig besser machen will, wenigstens eines Besseren belehrt.

Dieses Desaster erhellt exemplarisch, dass die Dramaturgie eines Spielfilms ganz wesentlich durch das Mit- oder Gegeneinander der die Handlung tragenden Personen bestimmt wird. Diese Baustruktur weisen auch sehr viele Romane auf, die sich allein deshalb für Verfilmungen eignen nach dem Motto: je trivialer, desto besser oder eben Pilcher. Das trifft aber leider auf Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" so gar nicht zu.

Von Kindheits- und Jugenderinnerungen besessen

Die in diesem Erzählwerk agierenden Figuren sind ausnahmslos nur Randfiguren, die jeweils durch die Erinnerung des Protagonisten, des Erzählers, durch die Empfindungen, die sie in ihm zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten weckten, modelliert werden. Was ihnen Bedeutung verleiht, sie als Personen konturiert, sind jeweils die Projektionen des Erzählers, die sich mit seiner Lebenszeit ebenso wandeln wie das Erleben der Orte, die von dem Glanz glücklicher Erinnerung umflossen sind.

Für den von seinen Kindheits- und Jugenderinnerungen besessenen Erzähler erwächst in seinem weiteren Leben daraus ein Erfahrungsverlust, der ihn umso mehr umtreibt, als ihm das Erleben seines früheren Selbst in den ausgiebigen Tagträumereien, denen er sich hingibt, stets präsent ist.

Schon zu Beginn schwant Unschönes

Diese Diskrepanz, die den Protagonisten prägt, dessen übersteigerte Sensibilität durch ein Asthmaleiden somatisch charakterisiert wird, ist das Kernelement der erzählerischen Dramaturgie des Romans. Damit wird jedoch ein ebenso verzwickter wie komplexer Anspruch formuliert, der eine werkgetreue filmische Umsetzung unmöglich macht.

Marcel Proust

Ein Fernseh-Zweiteiler soll alle sieben Achttausender des von Marcel Proust (Foto) geschaffenen Prosagebirges dem Publikum vermitteln. Das musste, wie erahnbar, schiefgehen.

(Foto: DPA)

Das Dilemma, das sich damit stellt, wird umso größer, wenn man sich vornimmt, das ganze Romanwerk zum Sujet eines Films zu machen. Was dabei herauskommt, dafür ist der Fernseh-Zweiteiler der Französin Nina Companéez ein ernüchterndes Beispiel.

Die von der Erinnerung des Erzählers geformten und nur durch diese mit Bedeutung ausgestatteten Figuranten einer sehr gehobenen Schicht, die sich zumeist bei gesellschaftlichen und ebenso öden Gelegenheiten begegnen, werden im Film zu selbständigen Handlungsträgern aufgeblasen. Das aber ist eine Rolle, die für sie nicht vorgesehen war - und die sie auch trotz aufwendiger Kostümierung und gestelzter Sprache nicht auszufüllen vermögen.

Zwischen ihnen irrt der von Micha Lescot verkörperte Erzähler herum, der dieses leidige Treiben mit einer seine Befindlichkeit unablässig reflektierenden Emphase erleidet. Wenn er gleich zu Anfang des Films als Jugendlicher im Zugabteil auf der Fahrt in den mondänen Badeort Balbec in der Normandie sitzend ausruft: "Dieses Blau des Stores! Seit dem Tag meiner Geburt habe ich keine schönere Farbe gesehen!", schwant einem bereits, wohin man mit dieser Verfilmung unterwegs ist.

"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"; Arte, 20.15 Uhr; Teil zwei um 22.10 Uhr.

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