Arte-Film über den Fall Gurlitt:Wenn sich der Dokumentar zum Anwalt macht

Der seltsame Herr Gurlitt

Seit dem Bilderfund wird der Kunstbesitzer Cornelius Gurlitt von Fotografen gejagt.

(Foto: Arte)

Plädiert hier einer für einen "mutigen Sammler" und dessen gejagten Sohn? Der Filmemacher Maurice-Philip Remy rollt die Affäre Gurlitt ganz von vorne auf. Das Bild, das er zeichnet, ist zu schön, um echt zu sein.

Von Ira Mazzoni

Die Pointe kommt zum Schluss. In Form eines bei Wahlsendungen obligaten Tortendiagramms: Von 1280 beschlagnahmten Grafiken und Gemälden sollen nur ein "halbes Dutzend" Raubkunst sein. Ein winziger Schnitz in der bunten Torte mit Familienbildern, sogenannter entarteter Kunst und "mehr oder weniger" legal erworbenen Werken.

All dies wäre "zweifellos" dem Erben Cornelius Gurlitt zurückzugeben. Für das halbe Dutzend werde sich eine einvernehmliche Lösung finden, sodass kein Makel bleibt.

Der Dokumentarfilmer Maurice Philip Remy macht sich zum Anwalt der Gurlitts, von Vater und Sohn. Ihre Geschichten werden in zwei Erzählsträngen miteinander verwoben: Einer folgt den Strategien des Journalismus, der mit der Geschichte vom "Nazischatz" eine "Bombe platzen" lässt und einen alten Mann beim Suppenkauf "abschießt".

Doch so medienkritisch sich der Film gibt, ohne das Material von Focus, Paris Match und Spiegel, ohne die Statements der verantwortlichen Redakteure, könnte der instrumental tremolierte Spannungsbogen nicht gehalten werden. Entdeckte Familienfotos tragen keine Handlung. Aber wenn Thomas Röll vom Focus preisgibt, dass er anfangs dem Gerücht nachgegangen sei, der greise Cornelius Gurlitt sei Teil einer Kunstmafia, dann erscheint auch die Beschlagnahmung der Staatsanwaltschaft in einem dramatisch anderen Licht.

Der zweite Erzählstrang folgt brav der Biografie des Kunsthistorikers und Museumsmanns Hildebrand Gurlitt, der sich entschieden früh für die Moderne einsetzt, das Zwickauer Museum mithilfe von Bauhaus-Künstlern entrümpelt, den Neubau des Hamburger Kunstvereins zu einem Forum der Avantgarde macht und sich selbst damit in Gefahr bringt.

Niedrigere Preise im Einkaufsbuch

Natürlich darf die Legende, Hildebrand habe eigenhändig den Fahnenmast des Kunstvereins abgesägt um nicht die Hakenkreuz-Fahne hissen zu müssen, nicht fehlen. Diese Geschichte machte schon auf die Amerikaner Eindruck. Der geschasste Museumsmann wurde Kunsthändler, um zu "überleben".

Gurlitts Seilschaften sind kein Thema. "Kann denn Handel Sünde sein?", fragt der Sprecher kokett. Zehn Einkaufstouren habe Gurlitt nach Paris gemacht, auf "dunklen Kanälen" 200 Kunstobjekte erworben und teuer an die Nazis verkauft: "Profit als Rache am Regime" kommentiert Remy ohne hörbares Fragezeichen.

Wie steht es um Raubkunst? Im Fall des Musikverlegers Henri Hinrichsen lautet das Fazit: Hilfe "auf die Schnelle" - um die Ausreise zu ermöglichen. Dabei werden zwei Dokumente der Devisenstelle Leipzig gezeigt, ohne zu fragen, zu welchen Konditionen Gurlitt 1940 die offizielle Erlaubnis bekam, Bilder zu kaufen, die das Leipziger Museum verschmähte.

Stattdessen wird spekuliert, warum Gurlitt in sein geheimnisumwobenes Einkaufsbuch (von dem eine Seite präsentiert wird) niedrigere Preise eintrug als von der Devisenstelle registriert: Vertuschung zum Eigenschutz "weil er Juden hilft?" Das ist blanker Nonsens, geschuldet dem Willen, den als Nazi-Kunsthändler Diffamierten zu entlasten. Aber das Bild vom mutigen Sammler und Retter ist dann doch zu schön, um wahr zu sein.

Der seltsame Herr Gurlitt, Arte, 21.50 Uhr.

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