Arte-Film "Der große Kater":Wenn nur die Macht noch zählt

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Schweiz, Ende der 1970er Jahre, idyllisch und farbsatt: Der Bundespräsident Hans Hürlimann gerät in eine Glaubwürdigkeitskrise, weil er die Krebserkrankung seines Kindes der absoluten Macht und dem Nimbus des perfekten Funktionierens unterordnet. "Der große Kater" stellt die Frage, was Politik eigentlich noch mit dem Leben zu tun hat.

Fritz Göttler

Das hat es so noch nicht gegeben. Ein solches Durcheinander. Eine Protestwelle rollt durch die Stadt, die Bürger gehen auf die Straße. Der Bundespräsident befindet sich in einer Glaubwürdigkeitskrise. Tomaten und Eier landen auf der Windschutzscheibe seiner Limousine, unterwegs zum Bundeshaus in Bern.

Bruno Ganz spielt den Präsidenten, der sein Kind verstecken will. Marie Bäumer, seine Frau, tritt daraufhin in Streik. (Foto: dapd)

Es ist die Schweiz, Ende der Siebziger, idyllisch und sonnig, farbsatt. Der große Kater wurde der Präsident vom Volk genannt vor der Krise, ein Vollblutpolitiker. Der große Kater heißt der Erfolgsroman von Thomas Hürlimann (erschienen 1998), der von dieser Krise erzählt. Seine Hauptfigur hat ein Vorbild in der Schweizer politischen Realität - Hans Hürlimann, den Vater des Autors. 2008 ist das Buch verfilmt worden von Wolfgang Panzer.

Es ist eine traurige Geschichte, denn der Präsident hat ein Geheimnis. Sein kleiner Sohn hat Krebs, aber das soll die Öffentlichkeit nicht wissen. Ist der Präsident von seinem eigenen Nimbus, seinem Erfolg, seinem perfekten Funktionieren fasziniert? Dass er das sterbenskranke Kind in einer Klinik versteckt und dass er ihm die Wahrheit über seinen Zustand verheimlicht, entfremdet ihn seiner Frau. Plötzlich steht die Klinik auf dem Besuchsprogramm der spanischen Königin, die mit ihrem Mann Bern besucht. Eine Intrige. Ein Skandal, möglicherweise. Ein Politmärchen.

Bruno Ganz ist der Präsident, er hat ja schon ein wenig Erfahrung mit autoritären Politfiguren, aber als großer Kater schaut er unglaublich sexy aus. Braungebrannt, nicht bunkerbleich, sein Bart ist richtig voll, und die Augen können fröhlich und draufgängerisch blitzen. Marie Bäumer ist seine Frau, als sie das mit der königlichen Krankenhaus-Visite mitkriegt, glaubt sie an einen bösen PR-Effekt ihres Mannes - aber es steckt nur der ewige Konkurrent dahinter. Marie Bäumer tritt in Streik, und ihre Verbitterung macht sie erst richtig attraktiv.

Spirituosen-Batterie als "political wellness"

Einmal sind die beiden nach einem gemeinsamen Auftritt in ihrer Limousine unterwegs, aber plötzlich wollen sie nicht mehr nach Hause, der Fahrer soll abdrehen, und ab geht's in die Wellmann AG. Das ist ein merkwürdiger Flachbau in der Landschaft, aber drinnen ist es ein professionelles Etablissement, das eine reiche Spirituosen-Batterie an der Wand hat und große moderne Kunst. Und große Schlafräume mit breiten Betten und wollüstigem Luxusüberzug. Political Wellness.

In die Intrige sind große deutsche Schauspieler verstrickt, Ulrich Tukur und Christiane Paul und Edgar Selge als Nuntius, und sie dürfen alle kräftig chargieren. (Für die Schweizer Fassung wurden sie wohl nachsynchronisiert, das würde man gern doch einmal sehen!)

Was das Leben ist und die Politik, davon erzählt der Film, und was die Politik eigentlich noch mit dem Leben zu tun hat, mit seiner Intensität, seiner Augenblicklichkeit. Der große Kater liebt die Uhren, belustigt, dass sie so tun, als hätten sie die Zeit im Griff, und in einer schönen behutsamen Rahmenszene erinnert er sich: "Ja, die Zeit . . . Augustinus sagt, es gibt keine Gegenwart. Wenn ich ,jetzt' sage, ist ,jetzt' schon vorbei . . . Aber ich habe einmal die Gegenwart gespürt. Wiedergespürt. Damals."

Der große Kater, Arte, 6. Jan., 20.15 Uhr.

© SZ vom 05.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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