Arte-Dokumentation "Rebellen am Ball":Wahrhaftige unter Ignoranten

Auch Fußballer können Haltung zeigen: Éric Cantona war ein erstaunlicher Profispieler, nun verbeugt er sich vor den wenigen Protagonisten seines Sports, die politische Courage zeigten. Seine Dokumentation ist eine Welt- und Zeitreise über Männer wie den Ivorer Didier Drogba oder den Bosnier Predrag Pašic, die in ihren Ländern etwas zum Besseren wendeten.

Gerald Kleffmann

Die Kamera schwenkt in eine Kabine, in der Fußballspieler hüpfen, tanzen, singen, die Freude ist unermesslich, klar, erstmals in der Geschichte des Fußballs hat sich die Elfenbeinküste für eine WM-Endrunde qualifiziert. 2005 war das, es war eine schöne Zeit für jene Profis, die sich stolz die Elefanten nennen. Und es war eine hässliche Zeit, die dazu führte, dass sich ihr strahlendster Vertreter während der Jubelarie ein Mikrofon schnappt, niederkniet und appelliert: "Pardonnez!" - vergebt einander! Didier Drogbas Worte fanden Gehör.

Eric Cantona

Éric Cantona

(Foto: AP)

Ein modernes Märchen? Vielleicht. Zumindest ist die Geschichte, wie der Fußballstar Didier Drogba aus Abidjan seine zerrissene Heimat auf Friedenskurs brachte, einzigartig - und daher darf sie nicht fehlen in der Arte-Dokumentation Rebellen am Ball, die der Oberrebell Éric Cantona mit Gilles Perez und Gilles Rof erstellt hat.

Cantona, der Ende der neunziger Jahre grandiose Tore für Manchester United schoss, spektakulär ausrasten konnte, den hochgestellten Kragen zum Markenzeichen machte und heute schauspielert, ist der passende Präsentator dieser Aneinanderreihung von fünf Lebenswegen, die eines zeigen: Auch Fußballer können Haltung zeigen.

Fußballer reden nicht über Politik, sie sind ignorant, sie leben unter einer Glasglocke. Das war und ist oft das Bild, das sie abgeben. Bezeichnend war einmal der Satz, den der deutsche Stürmer Klaus Fischer 1978 vor der WM sprach: "Die politischen Zustände in Argentinien interessieren mich überhaupt nicht." Dabei herrschte dort eine Militärdiktatur. Cantona erzählt nicht von diesen Momenten, in denen der Fußball und seine Protagonisten versagten. Er erzählt von Männern, die - wie er dramatisch in einem Theater sitzend als Souffleur von sich gibt - " alles in die Waagschale warfen, um etwas zu verändern".

Cantonas Verbeugung beginnt mit Drogba, der 2007 Laurent Gbagbo, dem Präsident der Elfenbeinküste, den Goldenen Ball, eine hohe Auszeichnung, zeigt und sagt: "Dies ist der Ball, der unserem ganzen Land gehört. Bitte erlauben Sie mir, ihn in Bouaké zu präsentieren." Eine wagemutige Bitte. Bouaké war die Hochburg der Rebellenregion. Und tatsächlich, Drogba brachte den Pokal unter Jubel in die Stadt; es folgte dort gar ein Länderspiel der Elfenbeinküste. Kurz darauf wurden im Stadion von Bouaké die ersten Waffen vernichtet.

Das Packende an der Dokumentation ist nicht nur, dass Cantona, dieser Typ, der wie eine Mischung aus Fidel Castro und Robin Hood wirkt, ein glaubwürdiger Laudator ist. Es ist auch so, dass die besungenen Rebellen aus verschiedenen Jahrzehnten stammen - und so eine Zeitreise stattfindet.

Da ist etwa Rachid Mekhloufi noch in Schwarz-Weiß-Bildern zu sehen. Der inzwischen 75-Jährige hatte 1958 Frankreich verlassen, obwohl er dort Nationalspieler war, um in der Auswahl der algerischen Unabhängigkeitsbewegung FLN zu stürmen. Mekhloufis Team war eine Art Harlem Globetrotters mit politischem Kern, die Propaganda-Elf zog umher und warb für ihr Ziel; 1962 wurde Algerien unabhängig.

Das Schicksal des Chilenen Carlos Caszely führt in die siebziger Jahre und verdeutlicht die schlimme Zeit unter Pinochet. Der kleine Stürmer hatte dem Diktator aus Überzeugung den Handschlag verweigert, wofür er büßen musste.

Der 2011 verstorbene Brasilianer Sócrates war in den Achtzigern der Motor einer demokratischen Bewegung bei Corinthians São Paulo, die trotz Militärdiktatur trickreich für ihre Ideale und freie Wahlen kämpfte. Predrag Pašic steht für das engagierte Auftreten eines Bürgers in den Neunzigern. Im besetzten, zerbombten Sarajewo gründete der frühere jugoslawische Nationalspieler eine multi-ethnische Kinderfußballschule.

Als Fußballer muss man immer hungrig bleiben nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Güte", sagt Pašic einmal. Es klingt so banal. Aber das ist es nicht. Nicht in seiner Welt, die auch Cantonas Welt ist, immer noch. "Ich liebe diese Männer", das hatte das Schlitzohr mit der Schiebermütze ja gleich zum Auftakt betont. 90 Minuten später ist klar, warum.

Rebellen am Ball, Arte, Sonntag, 22.40 Uhr

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