Argumente für eine regelmäßige ARD-Wahlarena:Hört uns endlich zu

Wahlarena

Peer Steinbrück in der ARD-Wahlarena: "Was machen Sie konkret für Hebammen?"

(Foto: dpa)

Kein Getöse, kein Zoff, kein verbales K.-O.-Schlagen: Die wunderbar unspektakuläre ARD-Wahlarena bricht mit den Talkshow-Gepflogenheiten und zwingt Politiker endlich dazu, konkrete Fragen zu beantworten. Die Sendung sollte in Serie gehen.

Von Tobias Dorfer

Am Montagabend zeigte die ARD zwei unterschiedliche Formen einer politischen Talkshow. Die eine: vorhersehbar, öde, langweilig. Die andere: aufschlussreich, überraschend, kontrovers.

Frank Plasberg sprach in "Hart aber Fair" über "Rente, Arbeit, Mindestlohn - wer sorgt für Gerechtigkeit?" über gerechte Bezahlung, fiese Leiharbeit und zu niedrige Altersbezüge. Prominente Politiker aller Couleur waren dabei, der Zoff-Faktor war hoch - das normale Talkshow-Programm. Und damit das schlechte Beispiel.

Das Format Talkshow, das die ARD derzeit noch mit fünf wechselnden Moderatoren zelebriert, hat Schwächen, die nun durch die Wahlarena deutlich wurden. Maximaler Streit gleich maximaler Erfolg - diese Formel gilt nicht mehr.

Hier sitzen "echte" Wähler im Studio, Menschen, die sich mit Handzeichen melden und der Bundeskanzlerin Fragen stellen. Wie eine Bürgersprechstunde, allerdings mit dem Unterschied, dass vier Millionen zuschauten. Zwei Journalisten lenken die Diskussion unaufdringlich, haken bei Bedarf noch einmal nach und präzisieren wenn nötig Fragen. Ein Konzept, so simpel wie genial. Die Wahlarena ist das gute Beispiel.

PlasbergWillIllnerJauchMaischbergerBeckmann sind Gefangene eines Systems: Moderatoren stellen die immergleichen Fragen. Politiker antworten mit den immergleichen Floskeln, mundgerecht vorbereitet von der Parteipressestelle. Positionen sind bereits vor der Sendung klar. Die Debatte ist zwar dann - welche Ironie!- trotzdem hitzig, aber dabei so vorhersehbar, wie eine Portion Kartoffelpüree aus der Tüte. Das schmeckt auch immer gleich. Gleich öde.

Bei der Wahlarena-Ausgabe am Mittwochabend mit SPD-Kandidat Peer Steinbrück schalteten fast vier Millionen Zuschauer ein. Vor allem die Jüngeren begeisterten sich für das Format, die Marktanteile der ARD lagen bei den 14-49-Jährigen deutlich über dem Senderschnitt.

Warum nur?

  • Weil es um die Sache geht. Klar, das behauptet jeder Politiker von seinem Talkshow-Auftritt. Aber ist das wirklich so? Geht es nicht vor allem darum, in 60 oder 75 Minuten möglichst viel zu reden und den politischen Gegner verbal k.o. zu schlagen? In der Wahlarena gibt es keine politischen Gegner. Da gibt es Menschen, die etwas wissen wollen. Und sich glücklicherweise (und anders als so mancher Talkshow-Moderator) nicht damit zufrieden geben, wenn Politiker mal wieder Phrasen dreschen.
  • Weil es um die Zukunft geht. Wichtigster Talkshow-Satz für CDU-Vertreter: "Das hat doch damals Rot-Grün entschieden." Dick unterstrichen im SPD-Handbuch für erfolgreiche Talkshowauftritte: "Dieses Thema hat Schwarz-Gelb vier Jahre lang verschlafen." Warum interessiert Politiker eigentlich die Vergangenheit so sehr? Weil man da keine konkreten Vorschläge machen muss, an denen man sich messen lassen kann? Genau das wollen die Bürger aber. Wie möchte Peer Steinbrück konkret die Situation der Hebammen verbessern? Was plant Angela Merkel, um Exzesse bei der Zeitarbeit zu begrenzen? Wie will die Kanzlerin Daten im Internet sichern? Welche Ideen hat Peer Steinbrück im Kampf gegen Falschfahrer? Die Wahlarena hat Politik greifbar und, ja, auch messbar gemacht. Angela Merkel hat mehrere Themen "mitgenommen" und versprach, sich zu melden. Hoffentlich tut sie das auch.
  • Weil es um Menschen geht. Vor allem die unteren Schichten sind politikmüde. Weil sich sowieso nichts ändert, sagen sie. Weil sich die Abgeordneten vom wirklichen Leben entfernt haben. Und vor allem: Weil ihnen nicht zugehört wird. In der Tat hört sich Politik vor allem selbst zu. Im Bundestag und Talkshows, auf Delegiertenkonferenzen und auf Parteitagen sind Politiker vor allem von Ihresgleichen oder von Journalisten und Lobbyisten umgeben. Die Zeit, die sich ein Politiker für Bürgersprechstunden reserviert, kann er gleich fürs Abarbeiten von Akten einplanen. Ist häufig eh keiner da. Und doch gibt es Menschen, die Fragen an die Politik haben. Das zeigt sich im Internetportal abgeordnetenwatch.de, in leider erfolgreich versteckten Nischen-Formaten wie log in auf ZDFinfo oder - mit Abstrichen - in der ARD-Sendung "Überzeugt uns!". Wer Politik greifbar machen will, muss sich dem Wähler stellen. Am besten öffentlich.
  • Weil Bürger unbequemer sind als Talkshow-Moderatoren. Auf Twitter haben sich viele User gewundert, als in der Wahlarena eine Frau Angela Merkel fragte, wann sie zuletzt Auto fuhr. Aber warum eigentlich nicht? Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten, und von letzterem gibt es vor allem in deutschen Talkshows viel zu viel. Fragen nach Falschfahrern zwingen Politiker zu Spontaneität und dazu, sich auf die Wähler einzustellen und nicht auf die Moderationskärtchen von Günther Jauch. Sie zwingen sie auch dazu - zumindest für ein paar Minuten - die Maske fallen zu lassen. Wie Angela Merkel, als sie auf die Frage, warum sie gegen ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ist, plötzlich ziemlich unsicher wurde. Oder als ein Leiharbeiter von seiner Situation erzählte. So viel Resonanz gab es schon lange nicht mehr auf eine Talkshow.

Vier Gründe, die den Erfolg der Wahlarena erklären können. Sie machen die ARD-Bürgersprechstunde zu einem klugen und sehenswerten Format, das gerade in seiner Einfachheit um Längen wirkungsvoller ist als das übliche Talkshowgetöse oder gar seltsame Politik-Gameshows, wie sie kürzlich das ZDF ausstrahlte.

Deshalb: Warum nicht die Wahlarena als regelmäßiges Format ins Programm nehmen? Es muss ja nicht immer die Kanzlerin sein. Fragen gibt es genug, auch an weniger bekannte Politiker. Nicht nur vor der Bundestagswahl muss es einen Ort geben, an dem sie gestellt werden können. Das Fernsehen hat die Chance, diesen Raum zu schaffen.

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