ARD und Kachelmann:Der Mann, der einfach verschwand

Darf über Vorwürfe gegen Jörg Kachelmann berichtet werden? Die ARD-Praxis des Verschweigens gerät in die Kritik.

Franz Baden

Irgendetwas ist anders in der ARD - darauf kann auch der gewöhnliche Fernsehzuschauer in dieser Woche kommen. Wo ist Jörg Kachelmann?

Er war ja angekündigt als Moderator der beliebten Sendung Wetter im Ersten, ein Evergreen kurz vor der Tagesschau und direkt nach den Tagesthemen. Doch anstelle des Schweizer ARD-Meteorologen präsentiert Claudia Kleinert die aktuellen Temperaturwerte.

Kachelmann ist nicht irgendwer

Warum Kachelmann, 51, in dieser Woche nicht zum Star-Aufgebot der ARD gehört, darüber informieren alle anderen im Land. In den Fernsehsendern, Zeitungen und Online-Angeboten ist groß von der Causa Kachelmann die Rede, von den Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Fernsehmann und von der Frage, wer lügt: Die Frau aus Schwetzingen, die behauptet, missbraucht worden zu sein, oder der Prominente, der die Vorwürfe als "falsch und frei erfunden" zurückweisen lässt?

Kachelmann jedenfalls wurde am Samstag, nach der Ankunft aus Vancouver, auf dem Frankfurter Flughafen verhaftet. Er kam in Untersuchungshaft. Darf oder muss darüber berichtet werden? Oder wäre Schweigen in diesem Fall Gold gewesen?

Der Beschuldigte ist ja nicht irgendwer. Er gehört zu den Vorzeigefiguren des öffentlich-rechtlichen Systems, das mit dem Gebührengeld der Bürger finanziert wird und an sich stets besondere Ansprüche stellt.

Kachelmanns Schweizer Firma Meteomedia ist der Großlieferant für ARD-Wetterprognosen geworden und hat hier den einst dominierenden staatlichen Deutschen Wetterdienst abgelöst. Die lockere Art des Wetter-Autodidakten, der beim Schweizer Boulevardblatt Sonntagsblick volontiert hatte, hält mancher in der ARD für Unterhaltungskunst.

Auch im MDR wird geschwiegen

So durfte sich Kachelmann sogar an Kulenkampffs Klassiker Einer wird gewinnen versuchen. Eine neue Heimat aber fand der Schweizer in Leipzig, beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Hier moderierte er jahrelang die Talkshow Riverboat und hat zudem eine Plauderrunde namens Kachelmanns Spätausgabe.

Wie im Ersten ist auch im MDR nicht wegen des Verdachts der Vergewaltigung berichtet worden. Das kritisiert Rundfunkratmitglied Bernd Müller-Kaller, der sächsische Landesvorsitzende der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. Er legt sogar für den Verband Programmbeschwerde beim MDR ein. Grund: Der Sender sei ja laut Staatsvertrag zur objektiven und umfassenden Berichterstattung verpflichtet.

Der Sender aber sieht das anders. Die Redaktion von MDR aktuell habe sich der Entscheidung der ARD angeschlossen, "diesen Verdacht nicht als Nachricht aufzunehmen, sondern erst dann zu berichten, wenn relativ gesicherte Angaben vorliegen". In einigen MDR-Radiosendern und anderen Fernsehsendungen sei aber über den Fall berichtet worden, teilte der Sender mit.

Auf der nächsten Seite: ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke rechtfertigt seine Entscheidung.

"Der Wetterkundler kann doch jetzt schon einpacken"

In der Tagesschau habe der Fall im jetzigen Stadium "nix verloren"

In seinem Blog legte der ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke breit dar, warum das Erste am Montag, "einem prallen Nachrichtentag mit vielen wichtigen Themen", auf die Causa Kachelmann verzichtete. "Wir waren uns wohl bewusst, dass man uns morgen vorwerfen wird, dass wir die Nachricht von der Verhaftung des Wetteransagers unterdrückt hätten. Trotzdem haben wir uns gegen eine Meldung in dieser Sache entschieden", führt Gniffke aus.

Man habe den Fall mit anderen Fernsehschaffenden durchgespielt, mit Moderatoren, Schauspielern und Showstars von ZDF, RTL oder Sat 1 - in keinem vergleichbaren Fall hätte man eine Meldung in Erwägung gezogen. "Warum dann also bei Kachelmann?", fragt sich der Chefredakteur. "Weil er ein ARD-Gesicht ist? Nur damit uns ja keiner Parteilichkeit vorwirft?"

Er finde es absolut legitim, dass die ARD in Brisant zu diesem Thema einen Bericht gemacht hat, aber diese "Promi-Krimi-Vorwurf-Mixtur" habe in einer Tagesschau im jetzigen Stadium "nix verloren". Außerdem gelte die Unschuldsvermutung. Und wenn sich die Unschuld herausstellen sollte, "dann machen wir eine saubere Meldung, dass der ganze Medienzauber halt nur ein klitzekleiner Irrtum war", so Gniffke: "Dabei kann nach der heutigen Berichterstattung der Wetterkundler doch jetzt schon einpacken."

"Gesellschaftliche Prangerwirkung"

Was das bedeutet, darüber kann gerätselt werden. Wird der findige Wetterunternehmer Kachelmann nicht mehr in der ARD zu sehen sein? Wie wird das Publikum über die Sache und den Fall denken?

Im April 2009 hatte die Verhaftung der Popsängerin Nadja Benaissa von der Gruppe No Angels für Schlagzeilen gesorgt. Später bekannte sie sich offen zur Aids-Erkrankung, die in dem Fall eine Rolle gespielt hatte. Ihr Anwalt Felix Damm kritisiert nun die Berichterstattung über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Kachelmann.

Der Fall sei mit dem seiner Mandantin vergleichbar, weil beiden "ein nachhaltig zersetzender Vorwurf gemacht wird, dem eine enorme gesellschaftliche Prangerwirkung zukommt", so der Jurist in der Frankfurter Rundschau.

Die Medienberichte "über angeblich verübte Straftaten beeinträchtigen den Beschuldigten stets ausgesprochen erheblich in seinem Persönlichkeitsrecht", findet Damm. Es seien Nachteile im persönlichen Umfeld und im Beruf zu erwarten. Die Medien sollten sich bei der Nennung von Namen bei Ermittlungsverfahren "der Tragweite ihres Tuns bewusst sein", fordert der Anwalt.

Je größer die Nähe des strafrechtlichen Vorwurfs zu den Umständen und Gründen der Prominenz stehe, desto eher sei die Namensnennung möglich. "Über einen hochrangigen Vertreter aus der Wirtschaft dürfte sicherlich wegen eines Ermittlungsverfahrens wegen Insiderhandels berichtet werden. Ob der gleiche Vertreter die Berichterstattung wegen des Verdachts der Vergewaltigung hinzunehmen haben würde, ist nicht so sicher", sagte Damm.

Im Fall Kachelmann hat eine Frau Strafanzeige erstattet - und das Amtsgericht Mannheim Haftbefehl erlassen, als sich der Tatverdacht erhärtet habe. Darüber wird berichtet werden müssen. Aber auch, wenn sich das Ganze als riesiger Justizskandal erweisen sollte.

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