ARD-Produktionsfirma Degeto:Wenn die Sonne doch mal untergeht

Mehr als 400 Millionen Euro gibt die mit Gebühren finanzierte Firma Degeto jährlich aus, um Herz-Schmerz-Programm für die ARD zu beschaffen. Jetzt lassen die Intendanten prüfen, warum und wie Geschäftsführer Hans-Wolfgang Jurgan den Etat für Filmproduktionen auf Jahre verplante.

Christopher Keil

Die Adresse, Am Steinernen Stock 1, klingt nicht nach Traumhotel, Sommerlicht oder Verführung in 6 Gängen. Dort, im zweiten Stock eines roten Ziegelbaus in Nähe des Frankfurter Hauptfriedhofes, hat sich Hans-Wolfgang Jurgan eine Fernsehwelt ausgedacht, die ungeachtet aller gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen das kleine private Glück betont beziehungsweise die Suche danach. Globalisiert wurden in den vergangenen Jahren nur die Drehorte: Sri Lanka, Thailand, Südafrika - wo immer sonst die Sonne nie untergeht. Der vollbärtige Volkswirt ist mit seinen saftigen Melodramen zum Märchenerzähler der 60-Jährigen aufgestiegen, und sein Publikum, sagte er einmal, habe es ihm gedankt in Reaktionen wie: "Wir standen knietief in den Tränen."

Der Seerosenteich

Mit Filmen wie "Der Seerosenteich" lässt Hans-Wolfgang Jurgan das kleine private Glück inszenieren. Mehr als 400 Millionen Euro gab die ARD Degeto 2009 aus - das prüfen nun die Intendanten.

(Foto: obs)

Doch einmal geht jede Sonne unter. Seit ein paar Wochen steckt Jurgan knietief in den Zahlen, und er wird wohl so schnell nicht heraus finden. Mit Sorge beschäftigten sich die Intendanten der ARD in der vergangenen Woche auf ihrer Sitzung in Potsdam auch mit dem "Fall Degeto". Für die Jahre 2010 bis vermutlich 2012 hat Degeto-Geschäftsführer Jurgan, 62, offenbar erheblich mehr Programm bestellt beziehungsweise als Lizenz erworben, als das einem internen Mittelwert entsprach. Hat er sich dabei über Vorgaben hinweggesetzt, die ihm durch die ARD, durch den Aufsichtsrat der Degeto, gesetzt waren?

2009 gab das vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), dem Südwestrundfunk (SWR) und dem Bayerischen Rundfunk (BR) maßgeblich betriebene Unternehmen 426 Millionen Euro für Auftrags- und Gemeinschaftsproduktionen, Lizenzeinkäufe, Materialbeschaffung und Synchronisation aus. Die Degeto beschäftigt um die 70 Mitarbeiter und zählt zu den wichtigsten Auftraggebern der deutschsprachigen Filmproduktionswirtschaft.

Seit Mai ist Bettina Reitz, bis dahin Fernsehspielchefin des BR und davor freie Produzentin, für die Inhalte der Degeto-Produktionen verantwortlich. Reitz ersetzt den mittlerweile verstorbenen Jörn Klamroth. Für die Gesellschafter ist sie eine Art Vorsitzende der Degeto-Geschäftsführung. Sie wurde engagiert, die Kitschfabrik neu zu justieren. Vereinfacht ausgedrückt soll sie Kitsch auf Niveau liefern. Die Herzschmerzopern Jurgans sind inzwischen nicht mehr so erfolgreich wie früher.

Dass Bettina Reitz, 48, überhaupt zur Degeto wechselte, war und ist erstaunlich. Sie hat bisher vor allem auf Qualität gesetzt und Regisseure gefördert, die relevante Stoffe inszenierten. Der BR war in ihrer Verantwortung regelmäßig auf Fernsehpreisverleihungen vertreten oder an herausragenden Kinofilmen als Co-Produzent beteiligt - so auch am Stasi-Drama Das Leben der Anderen, das 2007 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Das Profil der Degeto zu verändern, den Auftrag, populäres Unterhaltungsprogramm so zu gestalten, dass auch Menschen unter 60 Jahren angesprochen werden, sei eine Aufgabe, für die es sich lohne zu kämpfen, sagte Reitz im Frühjahr. Ihre Botschaft: Ein Melodrama kann anspruchsvoll umgesetzt werden.

Inzwischen scheint klar zu sein, dass sie kurz- und mittelfristig kaum etwas verändern kann. Ihr Co-Geschäftsführer soll die Mittel der Degeto über Jahre weitgehend gebunden haben und derzeit ein Inventar aller noch von ihm und Klamroth erteilten Aufträge erstellen. Die Intendanten wollen offenbar wissen, was für Zahlungsverpflichtungen im juristischen Sinne bestehen, ob es Vereinbarungen gibt, die zurückgestellt werden können, welche Absichtserklärungen getroffen, welche Verträge geschlossen wurden.

Vom Set zurück zum Aktenberg

ARD-intern wird von einer "Programmhalde" gesprochen, die von der Degeto in Maßen gefüllt werden müsse. Ein geringer Überhang sei erwünscht, weil Sendungen regelmäßig verschoben und die Programmflächen dann spontan alternativ bestückt werden müssen. Doch Jurgan, so ein hochrangiger ARD-Manager, habe "die Halde verhökert". Ein finanzieller Schaden sei der ARD nicht entstanden, eher ein künstlerischer, ein strategischer. Die Intendanten seien verärgert.

Wollte sich Jurgan, bevor Reitz in die Degeto-Geschäftsführung einstieg, noch ausreichende Produktionszuständigkeiten sichern? Die Aufgabenteilung mit Reitz sieht angeblich vor, dass Jurgan sich künftig wieder überwiegend um das Kaufmännische der Degeto kümmern soll. Dass er als Geschäftsführer gerne vor Ort war, vor Ort in Sri Lanka oder Thailand, ist auch bei Intendanten zunehmend ein Thema gewesen. Was überwachte Jurgan auf den Sets? Zumal, wie er sagte, die Reisen auf ARD-Kosten kein Vergnügen gewesen seien: Nach seiner Rückkehr ins Büro habe er Aktenberge auf dem Schreibtisch vorgefunden.

Dass Jurgan jetzt die Degeto-Investitionen umfassend bilanzieren und seine Auftragsvergabe begründen soll, hat sich bei kreativen Partnern der Degeto bereits bemerkbar gemacht. Jedenfalls sind nicht wenige in der deutschen und österreichischen TV-Branche gerade aufgeregt. So sollen Degeto-Projekte, die in der Entwicklung stünden, quasi gestoppt sein, weil es derzeit keine Gespräche mehr gebe. Degeto-Projekte, die zum Drehstart bereit stünden, sollen auf zugesagte, fällige Raten warten. Und Degeto-Projekte, die als Mehrteiler verabredet worden seien, möglicherweise noch ohne konkreten Inhalt, allerdings mit der Absicht, im Ausland an exotischen Plätzen zu drehen, sollen infrage stehen.

Vielleicht stimmt das so, vielleicht in einer etwas anderen Form. Es geht aber auch ums Geld. Schon vor Monaten hatte ARD-Programmchef Volker Herres, 54, verkündet, dass gespart werden müsse, ob nun im Sport-Etat oder beim Melodrama. Die Degeto - wie alle Aggregate der föderalen ARD - kann künftig mit eher weniger als mehr Etat rechnen. Zwar beginnt 2013 eine neue Gebührenperiode, doch eine Gebührenerhöhung wird es nicht geben. Gleichzeitig mutet sich das Erste wie viele Fernsehveranstalter zu, vom Gleichen immer mehr auszuhalten, digitale Angebote beispielsweise.

Andererseits erhalten ARD und ZDF jährlich fast sieben Milliarden Euro für ihren Programmauftrag. Es hat den Anschein, als würde man den bei der Degeto nun auf einmal ganz genau untersuchen. Udo Reiter, der Intendant des MDR und Aufsichtsratsvorsitzender der Degeto ist, sagt: Jurgan habe nicht unkontrolliert gehandelt. Möglicherweise habe er nur "zu kräftig geplant".

Auch der 65-jährige Reiter, der seinen Ruhestand anstrebt, hat kräftig geplant, als er Bettina Reitz für die Degeto-Geschäftsführung vorschlug. Ihr Engagement, ihre Verpflichtung auf die inhaltliche Ausrichtung der mächtigen ARD-Produktionstochter, hat Jurgan automatisch den Platz im Management zugewiesen: als oberster Buchhalter. Dass er auf dieser Position so bald gefordert sein würde, war im Mai allerdings nicht erwartet worden.

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