ARD-Krimi:Ein "Tatort" ohne Täter

Tatort; Tatort München Die Wahrheit BR Batic Leitmayr

Wie soll es weitergehen? Bei den Kommissaren Leitmayr (l.) und Batic liegen die Nerven blank.

(Foto: BR/X Filme/Hagen Keller)

Die Münchner Kommissare wollen einen Mord auf offener Straße aufklären, schaffen es aber nicht. Wie lebt man, ohne die Wahrheit zu kennen? Die Nachlese.

Kolumne von Carolin Gasteiger

Erkenntnis:

"Die Wahrheit" ist ein Tatort, der mehr Fragen aufwirft, als er Antworten bringt. Der Fall thematisiert in verfremdeter Form den bis heute ungeklärte "Isarmord", die Münchner Polizei begleitet die Ausstrahlung mit einer Aktion auf Twitter. Was passiert, wenn den Kommissaren die Wahrheit verborgen bleibt, wenn sie den Mörder nicht finden? Wie gehen die Angehörigen damit um? Alle suchen nach der Wahrheit in diesem Tatort - und doch hat jeder eine eigene.

Was passiert?

Vor einer Bankfiliale liegt ein Mann auf dem Boden. Ben Schröder will ihm helfen, wird dann aber vor den Augen seiner Frau Ayumi und seines Sohnes Taro von dem Unbekannten niedergestochen und erliegt später seinen Verletzungen. Die Tat passiert ohne Vorwarnung, Vorgeschichte und ohne erkennbares Motiv. Täter und Opfer kannten sich nicht. An sich genug, um die Ermittlungen zu erschweren. Batic und Leitmayr können aber darüber hinaus mit den wirren und teils widersprüchlichen Zeugenaussagen nichts anfangen. Sie fangen bei Null an - und sie bleiben dort stehen. Das zehrt an den Nerven.

Bezeichnender Dialog:

Ivo Batic entwickelt eine besondere Beziehung zu Ayumi Schröder und ihrem Sohn Taro. Als der Junge Geburtstag hat, besucht Batic die Familie und wundert sich über das Tischgebet vor dem Abendessen.

Batic: Sind Sie Christin?

Schröder: Ben war Christ, ich habe mit Gott nichts zu tun.

Batic: Aber Sie beten trotzdem mit Taro.

Schröder: Dass sein Papa im Himmel bei Gott ist, ist für ihn einfacher zu verstehen als die Wahrheit.

Batic: Klingt ein bisschen wie eine Lüge.

Schröder: Ja, kennen Sie das nicht, dass die Wahrheit manchmal einfach nicht das Richtige ist für jemanden?

Batic: Wenn ich es als Polizist nicht so eng nehme mit der Wahrheit - was bleibt dann noch?

Schröder: Haben Sie denn niemanden, für den es sich lohnt zu lügen?

Top I:

Kompliment an das Drehbuch! Irgendwann meint man selbst, diese mühsame, kräftezehrende und nervenaufreibende Tätersuche nicht mehr auszuhalten. Etwa, wenn die Beamten einem Mann nach dem anderen Wattestäbchen in den Mund stecken, wenn ein Indiz nach dem anderen in sich zerfällt und sich die Kommissare aufgrund von Nichtigkeiten fast an die Gurgel gehen. Das stete Auf und Ab aus Hoffnung und Verzweiflung ist spannend inszeniert und, wie gesagt, kaum auszuhalten.

Top II:

Selten ist ein Tatort-Abschied so schnörkellos inszeniert worden wie der von Fallanalytikerin Christine Lerch. Die Profilerin geht zum FBI - und sagt zum Abschied schlicht: "Tschüss Franz, mach's gut!" Mehr ist auch nicht nötig.

Flop:

Höchstens, dass Batic in die ohnehin verzweifelten Ermittlungen ein Burnout hineinkonstruiert wird. Als Lückenfüller fürs Drehbuch wirkt das ein bisschen platt.

Beste Szene:

Mehr als ein halbes Jahr lang sehnte Ayumi Schröder die Antwort auf die Frage herbei, wer der Mörder ihres Mannes ist. Dann bringt ihr Batic die Ermittlungsakte, die Gewissheit bringen soll. Aber Schröder zögert, kann die Akte nicht aufklappen und bricht in Tränen aus. Sie bittet Batic, ihr die Wahrheit zu sagen. Er zögert einen Moment - und er lügt. "Haben Sie niemand, für den es sich zu lügen lohnt?" hatte sie ihn vorher gefragt. Nun ist die Antwort klar.

Bester Auftritt:

Als Witwe und Sohn des Mordopfers verdeutlichen Luka Omoto und Leo Schöne eindrücklich, was es bedeutet, keine Gewissheit zu haben. Und wie unterschiedlich sich das äußern kann. Ayumi Schröder verrennt sich darin, der Polizei scheinbar immer neue Hinweise zur Tat zu liefern, der kleine Taro verstummt fast. In ihrer Trauer und Fassungslosigkeit wirken beide authentisch und berühren.

Schlusspointe:

Leitmayr lässt der Fall keine Ruhe. Er hat die Beweisstücke zwar in eine Kiste gepackt und aus dem Präsidium entfernt. Zu Hause aber steht er vor einer selbst gebastelten Wand, an der er das Material wieder aufgehängt hat. Mit klarem Blick fokussiert er die Wand - bis sich ein "Aha" auf seinem Gesicht abzeichnet. Was er in dem Moment erkennt, bleibt jedoch offen.

Die besten Zuschauerkommentare:

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