ARD-Film mit Claudia Michelsen:Pistole statt Lippenstift

Ohne Bedrohung und ohne Hindernisse bewegen sich die beiden Hauptdarsteller in "Sprinter - Haltlos in die Nacht" auf dem Zufallsgleis. Dabei lässt der ARD-Film von Anfang an auf einen Thriller hoffen. Schade, dass niemand die Notbremse zieht.

Hanno Raichle

Treffen sich zwei Fremde im Zug - das ist ein immer wieder gewählter Ausgangspunkt in Filmen. Alfred Hitchcock entwickelte daraus ein Mordkomplott (Strangers on a Train), Richard Linklater eine Romanze (Before Sunrise). Auch im Fernsehfilm Sprinter - Haltlos in die Nacht (Regie und Buch: Petra K. Wagner) werden Henk Madsen (Jens Albinus) und Eva Waltz (Claudia Michelsen) aufs Zufallsgleis gestellt.

Sprinter - Haltlos in die Nacht

Mit der Knarre zwischen Frischfleisch: Claudia Michelsen und Jens Albinus können in "Sprinter - Haltlos in die Nacht" nur wenig von sich preisgeben.

(Foto: HR/Bettina Müller)

Eigentlich wollte Madsen zu seiner Frau nach Wolfsburg, nun sitzt er im Sprinter nach Frankfurt und kann nicht aussteigen. Eva Waltz muss sich sein Dilemma anhören und lächelt freundlich. Tatsächlich ist ihr nicht behaglich, sie glaubt, von einem Mann beobachtet zu werden.

Als sie und Madsen in Frankfurt aussteigen, werden ihre Taschen geraubt. Henk will zur Polizei, Eva nicht. In ihrer Tasche ist offenbar etwas, von dem die Polizei nichts wissen darf. Henk, der sich zunächst bockig gibt, begleitet sie durch die Nacht, und nach und nach zeigt Eva Waltz ein ganz anderes, neues Gesicht. Zunächst mischt sie einen kleinen Drogendealer auf, um an Informationen zu kommen, sie kennt sich bestens aus im kriminellen Milieu. Mit Henk jagt sie ihrer Tasche nach, und sie ist nicht als Einzige am Inhalt interessiert.

Notbremse? Braucht man nicht

So ein Anfang leitet im Kopfkino einen möglichen hard-boiled-Thriller mit Buddy-Movie-Elementen ein. Sprinter zum Beispiel klingt auch nach Adrenalin unter Zeitdruck. Dazu ein ungleiches Paar mit umgekehrten Geschlechterrollen, gespielt von Charakterdarstellern, das ist im Grundsatz gut angelegt.

Auf der einen Seite Henk, der mit seinem dänischem Akzent und einem Teddybär-Charme leicht vertrottelt wirkt, auf der anderen die kühle Eva, die statt Lippenstift eine Pistole in der Handtasche hat. Und doch wird die vielzitierte, weil wahre Weisung Tschechows nicht beachtet: Kein Gewehr auf die Bühne zu bringen, das später nicht abgefeuert wird.

Es ist nicht das einzige Versprechen, das Sprinter nicht einlöst. So haben die beiden genretypisch weder konfliktreiche Hindernisse zu überwinden, noch erzeugt die Geschichte ein Gefühl der Bedrohung für das Paar, die sich auflösen oder die eskalieren kann. Das bremst und taugt nicht einmal für einen Halt auf freier Strecke. Wie soll man da mitgehen, sich mit den Figuren identifizieren?

Die Konsequenz: Es zwängt sich immer mehr Luft zwischen die Szenen, das Tempo wird gedrosselt, die beabsichtigte Spannung fällt stetig ab. Und so ergibt sich der Zuschauer schließlich den Umständen. Es ist ungefähr so, als würde Henk bewusst, dass er gar nicht in einem Sprinter sitzt, sondern nur in einer Regionalbahn. Die bringt die Handlung gemütlich durch den Hauptabend und sicher bis ans Ziel, ohne dass jemand versucht gewesen wäre, die Notbremse zu ziehen. Was für eine vertane Chance, auch für die beiden Hauptdarsteller.

Sprinter - Haltlos in die Nacht, ARD, 20.15 Uhr.

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