ARD-Doku zur Spiegel-Affäre:Nostalgie statt Einordnung

Vorauseilender Jubiläumsjournalismus ist eine Marotte geworden. Nun legt die ARD eine Dokumentation zur "Spiegel"-Affäre vor, drei Monate vor dem 50. Jahrestag. Und dann ist der Film auch noch schlecht.

Hans-Jürgen Jakobs

Bei Jubiläen fällt auf, dass sie immer öfter gefeiert werden. Was früher eine Randnotiz wert gewesen wäre, ist heute eine große Sause. Darüber hinaus ist beachtlich, dass es gewissermaßen einen Erstzugriffswettstreit um das Jubiläum gibt: Jeder will vor all den anderen den runden Geburtstag würdigen, auch wenn der noch in weiter Ferne liegt. Die Frage ist aber wirklich, ob man schon Ende Juli 2012 ein Ereignis würdigen soll, dass sich am 26. Oktober 1962 abgespielt hat, also vor 49 Jahren und neun Monaten? Wohl eher nicht - vor allem, wenn das Resultat dieses Praecox-Journalismus von der Wucht der Geschichte geradezu erdrückt wird.

Proteste im Rahmen der Spiegel-Affäre

Neue Protestkultur von Studenten auf der Straße (vor der Frankfurter Hauptwache), die sich anlässlich der Spiegel-Affäre 1962 gegen den Staat richtete.

(Foto: dpa)

Es geht also um die "Spiegel-Affäre". Sie hätte eine würdigere Erstbegleitung verdient, als es die früh drehende ARD-Dokumentation zum Thema zu leisten vermag. Damals, vor 49 Jahren und neun Monaten, war die Polizei auf Geheiß des Staatsanwalts, also auf Geheiß des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß, ins Pressehaus am Hamburger Speersort eingefallen, hatte beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel reichlich konfisziert und am Ende mehrere Verantwortliche verhaftet, darunter Gründer Rudolf Augstein.

Eine Story über die Bundeswehr hatte die Bundesregierung an einen "Abgrund von Landesverrat" (Konrad Adenauer) glauben lassen. Die Vorwürfe lösten sich auf, Strauß trat zurück, und der Spiegel-Mythos war geboren, der Mythos des investigativen Journalismus, der sich gegen Gewalt von oben behauptet. Der Film Wegelagerer und Wichtigtuer - wie die Spiegel-Affäre die Republik veränderte wird jedoch weder der Dramatik von damals gerecht, noch zieht er geordnet die wichtigen Linien zu Journalismus und Politik in heutiger Zeit.

Natürlich haben Original-Schwarz-Weiß-Bilder aus der Ära Flimmerkiste ihren eigenen nostalgischen Reiz. Da ziehen die Schutzmänner auf, Augstein geht vor Säulen, Demonstranten laufen mit Schildern umher ("Spiegel tot, die Freiheit tot") und die Frau des Reporters erzählt, dass es "gebumst" habe an der Hoteltür in Spanien, wo sich die zur Verhaftung angetretenen Gendarmen bemerkbar machten. Es gibt etwas Atmosphäre. Einordnung, Hintergrund? Fehlt weitgehend. Wurden einst den Zuschauern in den ARD-ZDF-Dokumentationen zum Nazi-Reich ganz viele Zeitzeugen aufs Stühlchen gesetzt, so redet zur Spiegel-Affäre nur der unverwüstliche Theo Sommer, der gute Geist des Wochenblatts Die Zeit, der damals den Polizei-Aufmarsch vor Ort mitbekam und sich über den "Kordon" wunderte.

So etwas wie die neue Spiegel-Affäre

Dass die Zeit dem dezimierten Spiegel-Team half, doch eine Ausgabe an den Kiosk zu bringen, ist nett, bringt aber wenig zur Erklärung des Bürgeraufstands pro Augstein. Die vielen Demos waren ja das bis dahin lauteste Zeichen von Zivilcourage in einer Republik, die sich mit Wohlstand im Wohnzimmer beschäftigt und die Nazi-Last geistig-seelisch entsorgt hatte. Es war auch die erste Andeutung einer neuen Protestkultur, die zu 1967 und 1968 führte. Hier, vor und mit dem Spiegel, formierte sich, gegen den Obrigkeitsstaat, die Demokratie. Helmut Schmidt mischte sich ein, Horst Ehmke arbeitete an Augsteins Verteidigung. Von all dem erfährt man von den ARD-Autoren Grit Fischer und Maik Gizinski so gut wie nichts. Hier ist das politische Geschacher um den geschassten ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender so etwas wie die neue Spiegel-Affäre.

Einen großen Teil nehmen Befindlichkeitsbetrachtungen des Gewerbes ein. Wer sind wir? Wie waren wir? Wie könnte es sein? So beklagen die interviewten Journalisten das erhöhte Tempo im Gewerbe, den Kampf ums beste Bild. Wolfgang Schäuble mahnt mehr Rücksicht an, sonst falle er noch mal aus dem Rollstuhl. Das Quoten- und Marketingdenken kommt vor, die mangelnde Bereitschaft zur Selbstkritik, das Eitle, und natürlich zeigen die Bilder einen der Berliner Abend-Events, bei denen Politiker und Journalisten einträchtig zusammensitzen.

Das Schmiermittel Nähe ist auf Sicht gefährlicher als die Rambo-Politik von Strauß und der Interventionismus des verhärteten Otto Schily, der 2005 die Cicero-Redaktion durchsuchen ließ. Das große Lob gilt dem Lokaljournalismus. Und am Ende des Films säuselt die Off-Sprecherin "Sag, was ist" als Mantra des guten Journalismus dahin, ein angebliches Augstein-Zitat, der aber, ganz Print-Mann, verfügte: "Schreiben, was ist".

Georg Mascolo, aktueller Spiegel-Chefredakteur, sagt in dieser Stoffsammlung noch das Klügste. Er ist am Tag der Spiegel-Affäre geboren, am 26. Oktober, allerdings erst 1964, zwei Jahre später. Augsteins Wort vom "Sturmgeschütz der Demokratie" will er nur für wilde Zeiten gelten lassen, das Vermächtnis der Alten gilt ihm aber als "Ansporn". Und die Spiegel-Affäre wird Mascolo selbst im Spiegel groß aufarbeiten, auch mit einer Historikerkonferenz im September. Es ist ja noch ein wenig Zeit.

Wegelagerer und Wichtigtuer, ARD, 23.40 Uhr.

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