ARD-Doku "Mein Freund Rockefeller":Mit dem falschen Rockefeller wollte jeder befreundet sein

"Mein Freund Rockefeller" in der ARD

Eine Karriere als Hochstapler: Der BR erzählt das seltsame Leben des Deutschen Christian Gerhartsreiter, der schon als junger Mann zu überzeugen wusste.

(Foto: BR)

Die ARD zeigt eine Doku über den notorischen Hochstapler Christian Karl Gerhartsreiter. Ein bemerkenswerter Film, denn er zeigt: Verlogenheit kann funktionieren.

TV-Kritik von Ralf Wiegand

Es war 1978, als das Ehepaar Jean und Elmer Kelln aus Kalifornien beschloss, eine Reise nach Afrika zu machen. Zuvor wollten sie sich aber noch ein bisschen Europa ansehen. An einer Autobahnabfahrt in Deutschland nahmen sie einen Anhalter mit, einen sehr netten jungen Mann, der ihnen bald von seinem Traum erzählte, ins amerikanische Filmgeschäft einzusteigen. Sie unterhielten sich, er gab ihnen Tipps für die Übernachtung, sie tauschten Adressen aus.

"Wir dachten, wir würden mal eine Weihnachtskarte von ihm bekommen", sagt Elmer Kelln. Stattdessen stand der Zufallsbekannte aus Deutschland irgendwann vor der Tür des Paares und wurde zum Freund.

Die Kellns aus Kalifornien allerdings wurden zu Opfern. Sie gehören zu den ersten Opfern des notorischen Hochstaplers Christian Karl Gerhartsreiter aus Siegsdorf im Chiemgau, der später unter ähnlich vielen falschen Identitäten gelebt hat wie Leonardo DiCaprio in dem Hochstapler-Blockbuster "Catch me if you can". Und der ähnlich durchtrieben gewesen sein muss wie Matt Damon als der talentierte Mr. Ripley.

Die Gesprächsreise durch Amerika ist kein leichter Stoff

Kinostoff sind solche Leben wie das von Gerhartsreiter, der inzwischen 56 Jahre alt ist und wegen Mordes lebenslang in Haft sitzt. Fürs Kino dürfen sich Drehbuchautoren und Regisseure in solche faszinierenden Persönlichkeiten hineinversetzen, dürfen sich vorstellen, wie es sein muss, so zu leben. Sie können Legenden auflösen mit den Mitteln der Fiktion. Der Spielfilm über die Legende Gerhartsreiter heißt "Wer ist Clark Rockefeller?", er lief 2010 im amerikanischen Fernsehen.

Die Dokumentation, die der Bayerische Rundfunk an diesem Dienstag zeigt, kann das nicht. Dokumentationen, wenn sie etwas auf sich halten, nähern sich der Wahrheit an, so weit es geht. "Mein Freund Rockefeller" sucht die Wahrheit über Gerhartsreiter, indem die Autorin Steffi Kammerer mit dessen Opfern spricht.

Im Prinzip ist jeder, der dem Deutschen in Amerika begegnet ist, ein Opfer, denn niemandem erzählte er, wer er wirklich war oder was er wirklich vorhatte. Alle hielten sie ihn für jemand anderen: für Christopher Chichester, einen Nachkommen britischer Adliger, für Christopher Crowe, den erfolgreichen Wall-Street-Broker, oder für Clark Rockefeller, Mitglied der sagenumwobenen Familie.

Die Eineinhalb-Stunden-Doku ist kein einfacher Stoff, es wird durchgehend gesprochen, Erzählung reiht sich an Erzählung, Erinnerung an Erinnerung. Es empfiehlt sich, die Geschichte des falschen Rockefeller, die bei dessen Verhaftung 2008 weltweit bekannt wurde, wenigstens im Internet nachzulesen, bevor man sich auf die Gesprächsreise quer durch die USA einlässt, dieses Interview-Roadmovie über einen Mann, der nie derjenige war, der er vorgab zu sein. Der sich so in seine eigene Geschichte verstrickt hatte, dass er am Ende womöglich gemordet hat, um seine vielen Geheimnisse zu bewahren. Auch Gerhartsreiter selbst kommt zu Wort - und wundert sich, warum man ihn so interessant findet.

"Mein Freund Rockefeller", der Titel ist fein gewählt, denn der Film deckt auf, wie bereitwillig sich die Menschen den verschiedenen Identitäten des zugereisten Deutschen hingaben; wie er sie beeindruckte mit seinen Manieren, ihnen schmeichelte, wie er stets sagte, was die Society hören wollte. Verlogenheit als Schlüssel zu einer Gesellschaft, das ist ein vernichtendes Urteil über diese Gesellschaft.

Der Vorwurf der Einfallslosigkeit gilt hier ausnahmsweise nicht

Die jüngste Dokumentation aus den Reihen der ARD ist eine bemerkenswerte Fleißarbeit und reiht sich ein in die guten Stoffe, mit denen Das Erste samt einigen seiner Dritten immer mal wieder brilliert - und öfter brillieren könnte. Auf dem Feld der Dokumentation, obwohl auch dort die Internationalität fortschreitet, über Netflix-Produktionen oder große BBC-Arbeiten oder durch eigene Genre-Kanäle im Pay-TV, muss sich das Öffentlich-rechtliche nicht ständig dem Vorwurf der Einfallslosigkeit stellen: austauschbare Shows, schlecht erzählte Stoffe, Talkshow-Terror.

Die guten Doku-Filme landen dennoch meistens im Nachtprogramm, aufwendige Recherchen um 20.15 Uhr zu zeigen traut sich das Erste nur im Sommer, wenn die Freibäder lange aufhaben. Der BR rühmt sich, die Dokumentation gestärkt zu haben, indem er sie seit geraumer Zeit dienstags um 22.30 Uhr zeigt - früher als alle anderen ARD-Sender. Das sagt mehr über die anderen Sender als Gutes über den BR.

So gilt, was immer galt: Geschichten wie die über den Fake-Rockefeller muss man suchen. Wer sie findet, darf sich freuen.

Mein Freund Rockefeller, Bayerischer Rundfunk, Dienstag, 22.30 Uhr.

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