ARD-Doku "Gewalt hinter Gittern":Die Vergessenen

Exclusiv im Ersten: Gewalt hinter Gittern

Knapp 70.000 Menschen sitzen zurzeit in deutschen Gefängnissen ihre Haftstrafe ab. Circa jeder vierte der männlichen Gefangenen berichtet von körperlicher Gewalt.

(Foto: NDR/ARD-Panorama)

Wenn ein Häftling in einem deutschen Gefängnis von Mitgefangenen auf grausamste Weise umgebracht wird, gibt sich alle Welt entsetzt. Dabei ist Gewalt im Gefängnis keine Ausnahme, wie eine ARD-Doku nun eindrucksvoll belegt.

Von Hans Holzhaider

Es gibt grauenhafte Geschichten aus dem Knast. In schlimmster Erinnerung ist der Fall, der sich im November 2006 in der Justizvollzugsanstalt Siegburg ereignete: Drei junge Männer, 17 bis 19 Jahre alt, hatten einen Mitgefangenen über viele Stunden hinweg auf das Grausamste gequält und gedemütigt und ihn schließlich an einem Elektrokabel erhängt.

Alle Welt gab sich entsetzt, aber die, die sich im Strafvollzug auskannten, waren nicht überrascht. So etwas, sagten sie, könne jeden Tag und überall geschehen. Wochenende, Feiertagsbesetzung bei den Beamten, die Gefangenen viele Stunden lang sich selbst überlassen, vier Mann auf 20 Quadratmetern, keine, oder höchstens oberflächliche Kontrollen. Das ideale Biotop für Gewalt.

Was Christian Deker und Nils Naber in ihrem Film Gewalt hinter Gittern zeigen, ist deshalb nicht neu, aber es weckt doch ohnmächtigen Zorn über die Nonchalance, mit der Justizminister jeder Couleur das Phänomen der Gewalt unter Gefangenen immer wieder als "Einzelfall", als "absolute Ausnahme" bagatellisieren.

Alle, die mit der Materie befasst sind, wissen, dass es nicht so ist, und dass es den Autoren gelungen ist, einen Anstaltsleiter vor die Kamera zu bekommen, der das unumwunden zugibt, ist einer der Verdienste dieses Films.

"Mit Gefangenen gewinnt man keine Wahlen"

Andererseits ist es auch falsch, den Eindruck zu erwecken, als herrsche in den deutschen Gefängnissen der blanke Terror. Eine vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführte Befragung unter mehr als 6000 Gefangenen hat ergeben, dass etwa jeder vierte der männlichen Gefangenen von körperlicher Gewalt und gut fünf Prozent von sexuellen Übergriffen berichten.

Das ist dramatisch genug. "Wenn wir die Gefangenen anständig und mit genügend Personal betreuen, hilft das auch gegen Gewalt", sagt der Anstaltsleiter im Film. Aber er weiß auch, woran das scheitert: "Mit Gefangenen gewinnt man keine Wahlen."

Gewalt hinter Gittern, ARD, 21.45 Uhr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: