ARD:"Anne Will" zu Jamaika: Zweckbeziehung in der Findungsphase

Anne Will; Anne Will am 15.10.2017

Wolfgang Kubicki (FDP, links) ruft bei Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Volker Bouffier (CDU) in der Talksendung skeptische Mimik hervor.

(Foto: NDR/Dietmar Gust)

Die Wahl in Niedersachsen ist der Abschluss im Superwahljahr. Der Weg ist frei für Jamaika im Bund. Die möglichen Koalitionspartner sitzen bei Anne Will - doch können die überhaupt miteinander?

TV-Kritik von Lars Langenau

Eins ist sicher nach diesem Abend bei Anne Will: Der Weg zu einer neuen Regierung in Berlin wird steinig. Unter dem wolkigen Titel "Der Abschluss im Superwahljahr - wird jetzt mal wieder Politik gemacht?" diskutiert die Moderatorin mit drei Jamaika-Verhandlern. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki.

Ein bisschen unbeteiligt wirkt in der Runde Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. Abgesehen von dem SPD-Mann ist es eine potenziell interessante Mischung aus Menschen, die Erfahrungen mit schwierigen Beziehungen haben: Bouffier koaliert in Hessen seit vier Jahren mit den Grünen, Kubickis FDP im Norden seit vier Monaten mit CDU und Grünen - und Göring-Eckardt muss als dem Realo-Flügel der Grünen zugerechnete Spitzenkandidatin damit leben, dass sie von den Linken in der Partei kritisch beäugt wird.

Auf dem ARD-Sofa hat also quasi die neue Bundesregierung Platz genommen. Wohl nicht vollständig personell, aber doch von der Couleur. Doch auch wenn Göring-Eckardt schon einen gelben Blazer trägt, bleibt die Frage: Mögen die sich? Schwierig zu sagen, muss man nach diesem Abend sagen. Die sind in der Findungsphase, würde ein Psychotherapeut wohl angesichts einer so schwierigen Dreiecks- oder - die CSU miteinberechnet - Vierecksbeziehung sagen. Ob die wirklich zusammenbleiben, das wird sich erst nach einer Probephase zeigen. Oder aber, wie der Liberale und die Grüne mehrfach gegenüber dem CDU-Mann betonen: Hier geht es um Verhandlungen "auf Augenhöhe".

Um ein wenig gute Stimmung zu verbreiten, schließt Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Kubicki für Niedersachsen zunächst eine Ampel aus, also ein Bündnis von SPD, FDP und Grünen. Schließlich könnte das als Affront gegen die CDU-Führung in Berlin verstanden werden, die von Mittwoch dieser Woche an mit den beiden kleinen Parteien über Jamaika verhandeln will.

Gibt eben viele Sensibilitäten. Das mögliche neue Bündnis ist keine Liebes-, sondern eine Zweckbeziehung. Und eben auch ein Novum: Schwarz, Tiefschwarz, Gelb und Grün machen auf Bundesebene gemeinsame Sache. Lange war das unvorstellbar. Da waren aber auch noch Volksparteien echte Volksparteien und die anderen nur Mehrheitsbeschaffer. Das hat sich grundlegend geändert. Aber noch mal: Wie sollen CSU und Grüne etwa bei der inneren Sicherheit oder in der Flüchtlingspolitik eine gemeinsame Position finden?

"Wir kommen aus unterschiedlichen Gedankengängen"

Kubicki hat recht, wenn er sagt, dass der Rechtsruck in Österreich die Jamaika-Verhandlungen im Bund belasten könnte. CDU/CSU könnten daraus den Schluss ziehen, "dass - wenn man sich aufstellt wie Herr Kurz in Österreich - man größere Mehrheiten organisieren könnte". Außenminister und ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz hatte im Wahlkampf für einen strengen Anti-Migrations-Kurs geworben. Daraus folgert Kubicki, die Union könne sagen: "Hätten wir uns so aufgestellt in der Flüchtlingspolitik, hätten wir in Bayern 58 Prozent bekommen und keine 38."

"Wir müssen machen, was wir alle nicht wollten", sagt die Grüne Göring-Eckardt und schielt dabei ein wenig mitleidig rüber zu Scholz, dem natürlichen Koalitionspartner, dessen Partei dieses Jahr allein in Niedersachsen gewonnen und ansonsten vier Niederlagen eingesteckt hat. Welche Rolle hat eigentlich der SPD-Mann in dieser Runde? Der verteidigt nochmals die Entscheidung, im Bund in die Opposition zu gehen - und lamentiert mit Blick auf Wien, wie schwierig die Herausforderungen an die Sozialdemokratie doch seien. Eigentlich müsste ihm im Studio ein Katzentisch aufgebaut werden.

"Wir sind in der Sozialpolitik mit Sicherheit eine linke Partei", sagt Göring-Eckardt und versucht sich in der Nachfolge der Sozialdemokraten. Scholz reibt sich dabei vergnügt die Hände, schmunzelt und freut sich auf den absehbaren Streit zwischen Grünen und FDP: eine Partei "für Besserverdiener, eine für Besserwisser", lästert er.

"Wir kommen aus unterschiedlichen Gedankengängen", analysiert Kubicki. Das bedeute, dass Grüne und Liberalen beispielsweise vollkommen andere Dinge unter dem Wort "Solidarität" verstünden. Das sei der eigentliche Knackpunkt und nicht ein Koalitionsvertrag, der "innerhalb von zwei Stunden" stehen könne.

Gleiches sagen, aber Unterschiedliches meinen. Erst wenn dieser Widerspruch aufgelöst oder zwischen den Partnern ausgehalten werden kann, wird es zu einer schwarz-gelb-grünen Verbindung kommen. Aber ob die halten wird, daran sind massive Zweifel angebracht. Eins kann man heute schon mit Sicherheit sagen: Es wird eine schwierige Beziehung.

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