Apps und Magazine zum Deutschlernen:Breiter Mund

Die Zahl der Menschen, die Deutsch lernen wollen, wächst. Medienhäuser entdecken ein Publikum, das mit der Sprache, aber auch mit Bieryoga und dem Kölner Dom vertraut gemacht werden will.

Von Kathrin Hollmer

Jojo zieht ihren Rollkoffer durch die Empfangshalle des Kölner Hauptbahnhofs. "Wow, das ist also Köln am Rhein", sagt sie. "Da oben die Kathedrale. Wie sagen sie hier, der Dom? Und eine Kneipe, ein deutsches Brauhaus." Mit diesem Selbstgespräch beginnt die erste Folge von Jojo sucht das Glück. Seit 2010 sendet die Deutsche Welle (DW) die Telenovela für Deutschlerner um die Brasilianerin Jojo, die fürs Studium nach Deutschland zieht. Alle Figuren in der Serie sprechen langsames und einfaches Deutsch, es gibt Untertitel, Lückentexte und Verständnisfragen. Jede Folge dauert ein paar Minuten, inzwischen ist die dritte Staffel gestartet und Jojo längst in Deutschland angekommen - sie erlebt Affären und Intrigen, wie es sich in einer Telenovela gehört.

Jojos Suche ist Teil der Angebote zum Deutschlernen für Fortgeschrittene der DW. Zu denen gehören auch langsam gesprochene Nachrichten, ein "Bandtagebuch", das seit 2013 die Münchner Hip-Hop-Band Einshoch6 begleitet, und die Reportagereihe Deutschlandlabor, die seit Herbst 2015 deutschen Klischees nachspürt. Zu den Formaten gibt es jeweils Übungen und Manuskripte zum Mitlesen.

Angaben des Statistischen Bundesamts zufolge sind 2015 knapp zwei Millionen Menschen aus dem Ausland nach Deutschland gezogen, gleichzeitig verließen 860 000 Migranten das Land wieder. Zwei Millionen neue Migranten und Flüchtlinge bedeuten zwei Millionen potenzielle neue Deutschlerner - und für die Verlage und Sender einen großen Markt: In den vergangenen Jahren haben sie ihr Medienangebot für Deutschlerner ausgebaut.

Der typische Käufer von "Deutsch perfekt" ist um die 40, Italienerin, und hat studiert

Bei der DW spürt man die Veränderung nicht nur bei den Sprachlernangeboten. "Der Zugriff auf unsere arabischsprachigen Seiten aus Deutschland hat sich 2015 vervierfacht", sagt Christoph Jumpelt, Sprecher der DW. "Wir erklären uns das so, dass die Migranten und Flüchtlinge bereits in ihrer Heimat unser Angebot gekannt haben und hier weiter nutzen." Der staatliche Auslandsrundfunk sendet Radio und TV in etwa 30 Sprachen, veröffentlicht online, Audio- und Videobeiträge auch als Podcast. Jumpelt zufolge verzeichnen seine Online-Sprachkurse um die sieben Millionen Seitenaufrufe im Monat. "Unsere primäre Zielgruppe sind Deutschlerner im Ausland", sagt Jumpelt, der aber auch signalisiert, dass sich inzwischen neue Aufgaben im Inland stellen: "Allerdings haben wir auf die Flüchtlingssituation reagiert und geben Informationen über unsere Deutschkurse seit dem vergangenen Jahr gezielt an Flüchtlingsunterkünfte und Hilfsorganisationen." 2015 hat die DW ihr Sprachkursangebot ausgeweitet und für Flüchtlinge unter anderem die Informationsplattform "Erste Schritte in Deutschland" aufgesetzt.

Intensiv-Deutschkurs für Flüchtlinge

Deutschgrundlagen: Phrasen an der Tafel in einem Kurs für Anfänger.

(Foto: Bernd Wüstneck/dpa)

Auch für gedruckte Medien zum Sprachenlernen in Deutschland ist im vergangenen Jahr diese Zielgruppe wichtiger geworden - auch wenn sie nicht die einzige ist. Seit 2005 erscheint das Magazin für Deutschlerner Deutsch perfekt monatlich im Spotlight Verlag in Planegg bei München. In dem Magazin, das als Heft am Kiosk 7,50 Euro kostet, sind die Texte auf drei Niveaustufen von leicht bis schwer verteilt; sie drehen sich um Politik, Wirtschaft, Leben und um Praktisches wie Deutschkurse, dazu gibt es Grammatikübungen und Vokabeln.

In der aktuellen Mai-Ausgabe findet sich ein Interview mit einer Bieryoga-Trainerin und ein Pro und Kontra über Lobbyismus als Gefahr für die Demokratie. "Deutsch perfekt war zunächst für alle konzipiert, die Deutsch lernen", sagt der Chefredakteur Jörg Walser. "Bald merkten wir, dass unsere Leser hochgebildet sind. 90 Prozent haben studiert." Den typischen Leser beschreibt er so: eine Frau in den Vierzigern aus Italien, die studiert hat und Deutsch lernt, weil sie sich für Sprache interessiert. Aktuell verkauft Deutsch perfekt knapp 24 000 Hefte im Monat, die Hälfte davon im Ausland; das Magazin wird in 100 Länder verschickt. Jeder fünfte Abonnent liest das Magazin inzwischen bereits als E-Paper. "Weltweit wächst das Interesse an der deutschen Sprache", bemerkt Walser. Migranten und Flüchtlinge im Land sind für ihn ebenfalls eine "wichtige Zielgruppe". Die Auflage von Deutsch perfekt steige seit Jahren, im ersten Quartal 2016 lag sie laut Verlag um 7,5 Prozent höher als im Vorjahr. Im Sommer steht ein Relaunch des Heftes an, das auch an seine Mitarbeiter besondere Anforderungen stellt. "Es dauert etwa sechs Monate, bis Journalisten eingearbeitet sind und in sehr einfachem Deutsch schreiben können", sagt Walser und erklärt: "Auf dem untersten Niveau stehen nur etwa 1000 Wörter zur Verfügung, alle anderen muss man gut erklären. Der Klassiker ist bei uns die Erklärung des Verbs 'lächeln': den Mund breiter machen, um Freude zu zeigen."

Während man für Deutsch perfekt Grundkenntnisse in der deutschen Sprache haben sollte, haben der Bayerische Rundfunk, das Goethe-Institut, das Bundesamt für Migration und die Bundesagentur für Arbeit vor wenigen Monaten die kostenlose App "Ankommen" für Flüchtlinge vorgestellt, die erst seit Kurzem in Deutschland sind. Mit den Ausgangssprachen Arabisch, Englisch, Farsi/Persisch und Französisch wird Deutsch in einem multimedialen Kurs auf dem Niveau A1 vermittelt, dazu gibt es Antworten auf Alltagsfragen.

Fast 135 000 Downloads meldete das Goethe-Institut Anfang Mai, gut drei Monate nach dem Start. "Sehr gut angenommen werden die arabische und die englische Version der App", sagt Klaus Krischok, Abteilungsleiter Information beim Goethe-Institut. "Man sieht, dass die App die Zielgruppe erreicht und nicht bei Beratern oder Ehrenamtlichen stecken bleibt, die sie empfehlen." Besonders freue ihn, "dass mehr als 60 Prozent der Nutzer die App auf ihrem Gerät behalten, auch wenn sie schon mal durchgearbeitet wurde". Die Stiftung Warentest hat im April zwölf Deutschlern-Apps getestet und "Ankommen" neben "Lern Deutsch - Stadt der Wörter" vom Goethe-Institut als einzige mit "gut" bewertet. Der Test wurde auch ins Arabische übersetzt.

Im vergangenen Jahr starteten online und im Radio viele Projekte speziell für Flüchtlinge

Online starten seit dem vergangenen Jahr besonders viele Medienprojekte für Flüchtlinge, darunter mehrsprachige Online- und Radioprojekte sowie Ausgaben, Beilagen oder Kolumnen von Zeitungen. Andere Medienhäuser wollen beim Deutschlernen unterstützen, wie das Projekt "Hier in Wiesbaden" des Wiesbadener Kuriers und des Wiesbadener Tagblatts: eine Zeitung für Migranten mit Informationen zum Leben in der Stadt, verfasst auf Deutsch im Sprachniveau A2, das nur einfache Sprachkenntnisse voraussetzt.

Für Deutschlerner starten Sender und Verlage nicht nur multimediale Formate, sondern sie treten auch direkt an ihre neue Zielgruppe heran: Plakate und Flyer über diese Medienangebote werden in Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt, die Portalseiten der DW sind seit Kurzem in den zehn meistgesprochenen Flüchtlingssprachen aufgesetzt. Schließlich warten Neuankömmlinge oft Monate auf freie Plätze in staatlich finanzierten Deutschkursen - viele von ihnen besitzen aber ein Smartphone.

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